Aktuelle Entscheidung aus dem Bundesinnenministerium: Der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird ab sofort untersagt, Asylentscheidungen zu treffen. Horst Seehofer (CSU) begründete den Schritt damit, dass das Vertrauen in die Arbeit der Bremer Entscheider „massiv geschädigt“ worden sei.
Bremen als Bauernopfer? Eine interne Revision hatte „deutlich“ ergeben, „dass im Ankunftszentrum Bremen bewusst gesetzliche Regelungen und interne Dienstvorschriften missachtet wurden“. Allerdings zeigt nun ausgerechnet eine kleine Anfrage der Linkspartei aus Herbst 2017, dass der Verdacht bandenmäßiger verabredeter Betrügereien bei Asylentscheiden in Zusammenarbeit zwischen Dolmetschern, Anwälten und BAMF-Mitarbeitern noch für weitere Außenstellen vermutet werden könnte.
Die Linke mutmaßt in ihrer Kleinen Anfrage (auf Basis einer Studie der Uni Konstanz) tatsächlich: „Als mögliche Erklärungsfaktoren für unterschiedliche Anerkennungsquoten wurden (…) „wahrgenommene Befindlichkeiten“ in den jeweiligen Bundesländern, die Einwohnerzahl, Arbeitslosenquote, Schuldenlast und fremdenfeindliche Übergriffe ausgemacht.“
Das Bundesamt hatte die Studie der Konstanzer (zu der wir gleich kommen werden) ebenfalls gelesen und noch am gleichen Tag (!) mit einer Pressemitteilung geantwortet, in der explizit betont wurde, dass die Chancen auf Asyl bundesweit einheitlich seien und im Einzelfall auf gleicher Rechtsgrundlage geprüft würden.
Weiter heißt es in der Kleinen Anfrage: „Vor diesem Hintergrund hat die Fraktion Die Linke die Asylentscheidungspraxis des BAMF für das Jahr 2016 für jeweils identische Herkunftsländer (Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Eritrea), differenziert nach Bundesländern, abgefragt (vgl. Bundestagsdrucksache 18/12623, Frage 1c).“
Diese Daten ließen nach Auffassung der Fragesteller einige signifikante, erklärungsbedürftige Abweichungen zwischen den Schutzquoten in den einzelnen Bundesländern erkennen, die aufgrund der in der Regel großen Fallzahlen auch nicht durch zufällige Anhäufungen besonderer Einzelfälle in einzelnen Bundesländern erklärt werden könnten.
Die Idee der Linkspartei ist klar: Hier wird eine Zurückhaltung bestimmter Außenstellen in der Anerkennung von Asylbewerbern unterstellt, nichts ahnend, dass sich das exakte Gegenteil als wahr erweisen würde, wie Bremen jetzt gezeigt hat.
Nun antwortete die Bundesregierung am 09. Oktober 2017 wie folgt auf Fragen der Linkspartei, wie diese hier:
Frage 3
Wie erklärt die Bundesregierung bzw. wie erklären fachkundige Bundesbedienstete des BAMF die feststellbaren unterschiedlichen Anerkennungs-, Ablehnungs- bzw. Erledigungsquoten zwischen den einzelnen Bundesländern (bitte ausführen)?
Frage 4
Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass die vom BAMF (…) gegebene Erklärung, nicht in jedem Bundesland würde jedes Herkunftsland (gleich stark) bearbeitet, keine taugliche Erklärung für deutliche Unterschiede in der Entscheidungspraxis zwischen den Bundesländern ist, wenn nur Entscheidungen zu identischen Herkunftsländern miteinander verglichen werden (wenn nein, bitte begründen)?
Nun hat Horst Seehofer die Außenstelle Bremen in Sachen Asylentscheidungen vom Netz genommen. Die nur wenige Monate alten Antworten des BAMF auf die Kleine Anfrage der Linkspartei sind also in mindestens diesem Falle schlichtweg unwahr. Die Antwort auf die Kleine Anfrage der Linkspartei umfasst 24 Seiten mit einer Vielzahl von Statistiken wie bereinigte Anerkennungsquoten, die aus heutiger Sicht und mit Bremen als Blaupause klare Fingerzeige geben. Das BAMF geht aber noch weiter und nimmt Stellung zu den auffälligen Unterschieden, welche die Studie der Uni Konstanz festgestellt hatte: „Aus Sicht der Bundesregierung weist die Studie der Uni Konstanz eine Reihe von falschen Annahmen auf. Allein die Nutzung der öffentlich zugänglichen Asylstatistiken ist für eine fundierte Analyse der Unterschiede bei den Anerkennungsquoten nicht geeignet.“
Unabhängig von ihrer inhaltlich korrekten Vermutung, ist die Überschrift der Studie der Uni Konstanz mit Blick auf die jüngsten Vorkommnisse in Bremen geradezu selbsterklärend. Denn dort steht tatsächlich: „Dezentraler Asylvollzug diskriminiert: Anerkennungsquoten von Flüchtlingen im bundesdeutschen Vergleich.“
Merksatz: Die BAMF-Mitarbeiter, die korrekt arbeiten, diskriminieren also Asylbewerber; jene, die mutmaßlich betrügen, sind das Maß aller Dinge.
Für die Studienmacher auch ein Problem des deutschen Föderalismus: „Auch im Bereich der Asylverfahren werden Auswirkungen der föderalen Struktur
in Deutschland sichtbar. Bisher fand jedoch keine systematische Analyse hierüber statt, sodass dieser Artikel eine Forschungslücke schließt.“ Und dann werden Ländernamen genannt bezogen auf den Anerkennungszeitraum 2010-2015:
Die Studie weist eine durchschnittliche Anerkennungsquote im genannten Zeitraum für die Bundesrepublik von insgesamt 31,7 Prozent aus. Aus heutiger Sicht verdächtig und dringend zu überprüfen, sind demnach Außenstellen in Bremen (55,7 Prozent Anerkennung), Saarland (69,0), Mecklenburg-Vorpommern (44,8), Schleswig-Holstein (39,1). Während Außenstellen in Ländern wie beispielsweise Brandenburg, Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen deutlich niedrigere Werte aufweisen. Für die Studienmacher und die anfragenden Linkspartei sind letztere Länder offensichtlich einer restriktiven Anerkennungsquote verdächtig. Jedenfalls bis gestern, denn die aktuellen Ermittlungen der Innenrevision in der Außenstelle in Bremen, stellen diese Vermutungen mal eben auf den Kopf.