Dieser Beitrag hat bei Lesern Nachfragen ausgelöst. Wir ergänzen daher die Zahlen und Quellen, auf die der Beitrag basiert, in rot.
Die ZEIT hat schon mal den Kurs von morgen vorgegeben: „Weniger Tote auf
dem Mittelmeer bedeuten absehbar mehr Tote in der Wüste.“ Dem Tagesspiegel gelang mit dem Adjektiv „unbeabsichtigt“ noch am 9. Juli eine Verdrehung, die man erstmal hinbekommen muss, als die Zeitung schrieb: „Die vier Beteiligten, deren Handeln unbeabsichtigt das der jeweils anderen „Spieler“ beeinflusst, sind erstens die Schlepper, zweitens die Küstenwachen (…) drittens private Hilfsorganisationen und NGOs und viertens die libysche Küstenwache.“
Es geht um einen ungeheuren Vorwurf, der sich jetzt leider bewahrheiten könnte: Weniger NGO-Tätigkeiten, weniger Tote auf dem Mittelmeer. Und wer hier bisher den Nichtregierungsorganisationen das Wort geredet hat, von genannten und weiteren Leitmedien mehr bis beispielsweise zur evangelischen Kirche Deutschland, die das Geschäft der „Seenotretter“ querfinanziert hat, der wird sich jetzt erklären müssen.
Die ZEIT legte also vor, einen möglichen Trend zu relativieren, der besagt: Je weniger „Seenotrettungen”, desto weniger Tote im Mittelmeer. Vertraut man den Meldungen des UNHCR und des IOM, ist die Zahl der Ertrunkenen schon im Juli gegenüber Juni signifikant gesunken.
Jeder Ertrunkene ist zu viel. Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu betrachten: Es ist ein sehr kurzer Zeitraum, ein einziger Vorfall kann diesen „Trend“ ins Gegenteil verkehren. Auch wäre zu berücksichtigen, wieviele Menschen die Reise nach Europa antreten. Zahlen dazu liegen uns nicht vor.
Sollte sich dieser Trend, (auf den sich auch DIE ZEIT beruft), in den kommenden Monaten verfestigen, wenn gleichzeitig die NGO-Schiffe weiter in ihrer Tätigkeit massiv eingeschränkt werden, wenn immer weniger Menschen sterben, wie wollen die an diesen „Seenotrettungen“ beteiligten Akteure ihre bisherigen Tätigkeiten rechtfertigen, die eben das verhindern wollten, was sie möglicherweise befördert haben? Kann man diese Schuld tatsächlich damit wegargumentieren, zu behaupten, nun würden eben mehr Menschen in der Wüste sterben? Wäre hier nicht alleine schon der Versuch eine Ungeheuerlichkeit?
Und wie kann dieses Argument langfristig Bestand haben, wenn sich herumsprechen sollte, dass eine erfolgreiche Überfahrt nach Europa durch die NGO-Boote nicht mehr automatisch passiert? Auch hier wird sich eine spürbare Entlastung abzeichnen. Die Kommunikation mag an der Stelle zeitverzögert einsetzen, aber die Meldung einer weniger durchlässigen Mittelmeerroute wird irgendwann noch im hintersten Winkel Afrikas ankommen. Also werden sich auch weniger auf den Weg machen. Demnach besteht die Hoffnung, dass auch weniger Migranten auf dieser Route sterben.
Und es wird auch hier zunehmend schwerer werden, zu argumentieren, dann würden eben mehr Migranten in der Wüste sterben (vom Zynismus hinter dieser Argumentation mal ganz abgesehen), wenn sich aktuell abzeichnet, dass das Engagement des UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen) in Libyen intensiviert wird, sich die Zustände in den libyschen Auffanglagern also dank internationaler Hilfe verbessern.
Nun lässt sich nicht abschließend sagen, welche Effekte wiederum das Engagement des UNHCR und seiner Einrichtungen in Niger hat, das zur Drehscheibe der Wanderungsbewegungen nach Europa geworden ist, welche Hoffnungen also wiederum mit diesen Einrichtungen verbunden werden, wenn von hier aus via Resettlement-Programmen des UNHCR Afrikaner nach Europa „evakuiert“ werden. Und wenn sich dieses System etabliert. Wird es nun einen noch einmal verstärkten Zulauf auf diese Einrichtungen geben?
Aber diese Frage ist eine nachgereichte, zunächst einmal darf man gespannt sein, wie die bisher in der so genannten Seenotrettung engagierten privaten Organisation, ihre kirchlichen, medialen und politischen Unterstützer, erklären wollen, dass ohne sie weniger Einwanderer im Mittelmeer ertrinken – dann, wenn dem tatsächlich so sein sollte. Die Zahlen der kommenden Monate werden darüber noch genauer Auskunft geben können. Diese privaten Organisationen werden erklären müssen, wie es passieren konnte, dass sie sich so lange und so vehement Kausalitäten gegenüber verschließen konnten, die zu begreifen, keiner besonderen Denksportaufgabe bedurfte.
Die Entwicklung zeigt: Wurden 2017 in den Monaten Januar bis Juli 2.409 Tote gezählt, so waren es von Januar bis Juli 2018 1.514.
Screenprint: https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean
Die Zahlen, die hier unter dem Punkt „Fatalities per month“ ausgewiesen werden:
Monate Januar bis Juli 2018: 1.514
Monate Januar bis Juli 2017: 2.409
Monate Januar bis Juli 2016: 3.172
Monate Januar bis Juli 2015: 2.069