Nun ist es soweit: Heinrich Bedford-Strohms Vision eines eigenen Schiffes zur Aufnahme von Menschen vor der libyschen Küste, um sie nach Europa zu bringen und dort Asyl beantragen zu lassen, ist Realität: Das Schiff des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland ist von Kiel nach Spanien und dann nach Libyen ausgelaufen. Der eigenes dafür gegründete Verein United Rescue hatte neben den Berlinern von Sea-Watch weitere Unterstützer ins Boot geholt.
Bedford-Strohm stand in Kiel an Deck der Sea-Watch 4 und sprach ein paar Segensworte, nachdem die Flasche am Seil an der Bordwand zerschellte, beziehungsweise in dem Jutesäckchen, das um sie herum gebunden war, damit die Scherben nicht einfach ins Wasser fallen wie es früher gemacht wurde.
Nachdem er Weggefährten am Kai vor den Kameras mit herzlicher Umarmung begrüßt hatte, gab Bedford-Strohm Interviews: „Leider hat die staatliche Seenotrettung aufgehört. Es gibt keine Seenotrettung der Staaten Europas mehr.“
Der erste Satz also schon Beleg für eine beseelte zwar, aber doch für eine Landratte, wo doch jeder Seemann auf allen Weltmeeren weiß, dass Seenotrettung elementare Verpflichtung ist und keine staatlich zu verteilende Aufgabe. Übrigens auch niemals für die Marine-Operation der EU, die Schlepper verfolgen sollte und ansonsten eben Menschen in Seenot aufnimmt, wie es für jeden Seemann selbstverständliche Pflicht ist.
In der Sprachpraxis von Sea-Watch ist von „Gästen“ die Rede, die auf dem Schiff ausharren und wieder von Bord gehen. Die private Organisation Sea-Watch, die schon seit Jahren mit ihren Schiffen und Suchflugzeugen vor der libyschen Küste das Geschäft der kriminellen Schlepper fördert, klingt hier wie die Arbeitsagentur, wo Arbeitslose „Kunden“ genannt werden und das Arbeitsamt zum „Job-Center“ wird, als ginge es zum vergnüglichen Einkaufen.
„Gäste“ allerdings werden normalerweise eingeladen. Erstaunlich, dass die Nichtregierungsorganisation Sea-Watch nichts dabei findet, Migranten auf ihre Schiffe einzuladen.
Ob das nun von Bedford-Strohm und seinen Mitstreitern willentlich impliziert ist oder nicht: Solche Einladungen werden jedenfalls von den Schlepperbanden seit Jahren schon als solche verstanden und dann sofort die maroden Schlauch- und Holzboote zu Wasser gelassen, wenn Schiffe der Sea-Watch und weiterer Akteure am Horizont ihre Runden drehen.
„Wir retten Menschen auf der Flucht vor dem Ertrinken“. Solche Sätze nach dem aktuellen Erkenntnisstand als Erklärung auf dem Twitter-Account zu formulieren, hat schon etwas Abgebrühtes, wenn sich auf ihrer jüngsten Pressekonferenz selbst Angela Merkel genötigt sah, einmal darauf hinzuweisen, dass eben doch nicht jeder, der sich auf den Weg macht, ein Flüchtling sei – auch wenn sie es schon Minuten später wieder ganz vergessen hatte.
Die Sprache der 2015 in Berlin gegründeten „Rettungsmission“ ist aber auch noch in anderer Hinsicht selbsterklärend: So heißt es mit Meldung von gestern, die Präsidentin der Europäischen Kommission, Frau von der Leyen, möchte dass mehr Kinder sterben. Hier wird Bezug genommen auf den Tod eines Kindes im Mittelmeer. Gleichzeitig wird im Zusammenhang mit dem Schutz der europäischen Außengrenzen von einer „mörderischen“ Abschottung gesprochen und in ganz Deutschland zu Großdemonstrationen aufgerufen.
„Kein Fußbreit“ fordert Sea-Watch. Wer der Mission kritisch gegenüber steht, der ist also gleich Faschist oder Nazi beispielsweise im Sinne von Herbert Grönemeyers gegröltem „Keinen Millimeter“. Da kommt zusammen, was sich schon viel länger zusammengehörig fühlt. Weiter schreibt Sea-Watch aktuell empört über ein verwüstetes Warenhaus für Flüchtlinge auf der Insel Chios – die von marodierenden Migranten („Gästen“?) auf Lesbos verwüstete Kirche allerdings sucht man bei Sea-Watch als Nachricht vergeblich.
Überhaupt scheint die Luft für solche Vereine mancherorts etwas dünner geworden zu sein, wenn aufgebrachte Inselbewohner auf Lesbos in Skala Loutron laut Sea-Watch ein weiteres Schiff einer anderen Organisation attackiert hätten, das daraufhin den Hafen verlassen musste.
Das Engagement der Sea-Watch geht tatsächlich weit über ihre so genannten „Seenotrettungen“ hinaus: Den Mitgliedern geht es unübersehbar generell um offene Grenzen für ganz Europa. An die SPD-Vorderen Heiko Maas, Kevin Kühnert und Saskia Esken richtete die Organisation gestern einen Appell, in welchem die Sozialdemokratie aufgefordert wird, endlich die große Koalition aufzukündigen, weil Abgeordnete der CDU den Schutz der europäischen Außengrenzen gefeiert hätten. Deshalb wäre diese Koalition „menschenfeindlich“.
Sea-Watch befindet dazu weiter: „Was wir in den letzten 48 Stunden an der europäischen Außengrenze erleben, ist vollständige Auflösung der Europäischen Union als sogenannte Verteidigerin der Menschenrechte.“ Und den grünen Koalitionspartner des österreichischen Bundeskanzlers wird gleich mal angeraten, sich zu schämen, vor Kurz das Haupt zu neigen.
Den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland schert das alles offenbar nicht. Heinrich Bedford-Strohm hat sein Ziel erreicht: Sein Seenotrettungsschiff ist in See gestochen. Bedford-Strohm war selbst schon „Gast“ auf einem der Sea-Watch-Schiffe und schickte damals seine Erlebnisberichte via Internettagebuch in die Welt: Zeugnisse, die aufgrund ihrer Eitelkeit sogar noch in Kirchenkreisen für heftige Kritik sorgten.
Aber zurück zur Sea-Watch: Zwar werden deren Schiffe mittlerweile kaum noch daran gehindert, ihre „Gäste“ in italienischen Häfen von Bord gehen zu lassen. Dafür beschwert sich die Organisation jetzt über Quarantäne-Maßnahmen, diese wären ein „bloßer Vorwand, um NGOs und gerettete Menschen zu diskriminieren.“
Und um gleich mal klar zu machen, wer jetzt auch in den italienischen Häfen die Hosen an hat, werden staatliche Maßnahmen wie ein erster Gesundheitscheck nicht mehr nur von dafür zuständigen italienischen Ärzteteams vorgenommen. Auch hier wähnt sich die Sea-Watch auf Augenhöhe und schreibt via Twitter selbstbewusst: „Unser fünfköpfiges Ärtzeteam hat gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium Italiens alle Gäste beim Verlassen des Schiffes gecheckt, ohne Auffälligkeiten.“
Vor der Berliner Dependance der Europäischen Kommission wird derweil demonstriert. Es werden Pappen hochgehalten mit der Aufschrift: „Macht die Grenzen auf!“ – fotografiert und verbreitet von der NGO Sea-Watch und kommentiert: „Europäische Migrationspolitik hat schon viel zu lange getötet.“
Die Organisation „Seebrücke“ fordert derweil zu Demonstrationen in allen deutschen Städten auf, die europäischen Grenzen zu öffnen. Faktisch nicht ganz korrekt, denn es geht ja darum, die geografischen Grenzen unter dem illegalen Ansturm zu echten Grenzen zu machen und für die EU-Mitgliedstaaten darum, wieder die Kontrolle über ihre nationalen Grenzen zurückzugewinnen bzw. endlich so etwas, wie einen Schutz der EU-Außengrenzen zu organisieren, der diesen Namen auch verdient.
Nun also das nächste Schiff der Sea-Watch Richtung Mittelmeer mit dem Namen des Kirchenmannes ins Steuerrad geritzt.
Was übrigens aus Seenot gerettete Frauen und Kinder an Bord angeht, suchen wir einfach mal das erste Bild, dass wir im Twitter-Account der Sea-Watch finden können, stoßen auf eines von „Gästen“, die sich gerade freuen, dass ihnen ein italienischer Hafen zugewiesen wurde. Zusehen sind auch hier ausschließlich junge Männer.
Die Sea-Watch will Speerspitze einer zivilen Seenotrettung sein, nachdem die europäischen Außenminister der Wideraufnahme einer Marine-Mission gerade halbherzig – man will nur im östlichen Mittelmeer operieren – eine Absage erteilt haben. Die Gründe für diese Absage liegen auch im Pull-Faktor begründet. Die EU hat sich mit ihrer Absage also durchgerungen diesen quasi endlich als Fakt anzuerkennen und somit einzugestehen, dass die Anwesenheit von Schiffen mit dem Ziel der Aufnahme von „Gästen“ Menschenleben gefährdet und den Tod vor der Küste Libyens befördert – freilich ohne es so drastisch auszudrücken.
Weshalb allerdings die privaten Schiffe der NGOs nicht von Frontex oder sonst wie an ihrer Zuarbeit für die libyschen kriminellen Schlepper gehindert werden, warum solche Schiffe überhaupt wie die Sea-Watch 4 in Kiel auslaufen dürfen, bleibt weiter rätselhaft. Die EU fällt die bewusste Entscheidung, vor der libyschen Küste nicht aktiv zu werden, überlässt es dann aber den Nichtregierungsorganisationen? Eine Kapitulation.