Wer beobachtet eigentlich die Beobachter? Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz jedenfalls scheint sich ziemlich unbeobachtet zu fühlen. Der Nachfolger des zwangsverabschiedeten Hans-Georg Maaßen im Amt hat jetzt der Deutschen Presse Agentur (dpa) ein Interview gegeben. Und tatsächlich könnte man, was Thomas Haldenwang da von sich gibt, für merkwürdig halten.
Zunächst äußert Haldenwang die Hoffnung, dass die Querdenken-Bewegung „mit ihren Verschwörungstheorien nach dem Ende der Corona-Pandemie wieder in den Hintergrund verschwindet“. Der Verfassungsschutz allerdings ist notwendigerweise seinem Wesen nach eine Art seriöser Verschwörungstheoretiker. Denn dort müssen ja zunächst solide Theorien und Thesen aufgestellt werden, wer sich wo und wie gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schaffen macht oder machen könnte. Dann wird beobachtet. Der Anfangsverdacht sollte aber nicht geprägt sein von politischen Erwägungen, sondern alleine der Schutz der Verfassung soll Richtschnur des Handelns sein, sonst wären Amt und Politik eigentlich selbst Beobachtungsfälle. Aber wer soll schauen? Der Sicherheitsausschuss des Bundestages vor dem Haldenwang regelmäßig Rapport ablegen muss? Wie unabhängig aber kann der im Mehltau einer großen Koalition noch sein?
Haldenwangs Amtsvorgänger Hans-Georg Maaßen veröffentlichte übrigens parallel zu dessen jüngstem Interview einen Text mit dem Titel: „So entsteht totalitäres Denken.“ Dabei geht es ihm u.a. um „die Ausgrenzung unbequemer Meinungen aus dem Debattenspektrum“.
Was Haldenwang mit den Mitteln der Theorie und der anschließend ermittelnden Investigation erledigt, tragen die Querdenker auf dem Asphalt der Großstädte aus. So kann man das sehen, wenn man sich nicht an Hare-Krishna-Jüngern und anderen obskuren Gestalten stört, welche die Querdenker mitunter als eine Art Schutzraum und Portal nutzen – hier fällt es leicht, zu sagen, was einem sympathischer ist.
Aber Haldenwang ist lange nicht fertig bei dpa. Er nutzt nicht nur die Mittel der Investigation, er sortiert bzw. diffamiert und vergleicht die Querdenker mit der wie er sagt: „ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung.“ Die Winkelzüge – oder Pirouetten – ziehen sich durch das Gespräch mit dpa. Man bekommt den Eindruck, Haldenwang hätte gedacht, so etwas vor Weihnachten an den kritischen Lesern vorbei zu bekommen.
Pegida, so Haldenwang, sei nach dem Rückgang der Flüchtlingszahlen „allmählich in sich zusammengefallen“. Das ist schon deshalb eine Überprüfung wert, weil die Zahlen eben nicht wirklich zurückgegangen sind. Rechnen wir nur die Asylantragsteller ab 2015, werden es bis heute Tag für Tag mehr und das trotz der Corona-Pandemie. Es gibt keine nennenswerte Bewegung hinsichtlich Rückwanderung. Allenfalls der akute quantitative Druck ist im Vergleich zu 2015 gesunken – aber wäre er das nicht, ständen wir heute möglicherweise schon vor einer humanitären Katastrophe mitten in Deutschland.
Zahlenspielereien. Aber auch Haldenwangs Bezug zur Pegida-Bewegung hinkt. Denn anfangs war diese Bewegung sogar für einen Minister Sigmar Gabriel interessant genug, einmal ein Treffen zu besuchen, ohne dass der Sozialdemokrat deshalb vom Verfassungsschutz beobachtet worden wäre. Ohne Frage: Bei Pegida gab es eine Phase vor einer zweifellos stattgefundenen Radikalisierung. Die interessantere Frage wäre hier, wie nützlich so eine Radikalisierung für eine – von wem auch immer gewünschte – Diskreditierung war.
Haldenwang attestiert dem Rechtsextremismus, es gäbe kleinere Gruppen, die Waffen sammeln und Vorbereitungen für den Tag X treffen. Das trifft unzweifelhaft zu: In Österreich wurde jüngst ein großes Waffenlager ausgehoben, das offenbar auch für deutsche Rechtsextremisten angelegt worden war. Die dpa-Meldung, die in zahlreichen Medien publiziert wurde (zum Beispiel hier) blendet von diesem Warnhinweis dann aber ohne Absatz direkt hinüber zu einer weiteren Aussage Haldenwangs, wonach die „sogenannte Neue Rechte“ sehr geschickt vorgehen würde. „Sie opperiert arbeitsteilig, wobei viele Fäden beim Institut für Staatspolitik in Schnellroda zusammenlaufen.“
Von den vom BKA mit Persilschein ausgestatteten Querdenkern zu rechtsextremen Waffensammlern direkt in die Wohnstube von Götz Kubitschek in Schnellroda. Das muss man erst einmal hinbekommen. Was Haldenwang in seinem aktuellen Verfassungsschutzbericht allerdings nicht hinbekommen hat: Letztgenannten Kopf des Instituts für Staatspolitik dort zu erwähnen.
Und weil in diesem merkwürdigen Interview von Haldenwang für die dpa bislang noch die AfD fehlt, wird auch die noch flugs vom obersten Verfassungsschützer genannt. Es gäbe da ein „Personennetzwerk.“ Zwar hätte sich der Flügel der AfD formell aufgelöst – übrigens erst, nachdem Haldenwang ihn zum Beobachtungsfall gemacht hatte – aber der weiß mehr: „Wir können aber auch wahrnehmen, was außerhalb der Öffentlichkeit gesprochen wird.“
Ist das als eine Drohung Richtung Querdenker gedacht? Oder gar eine gegen jedermann? Thomas Haldenwang bewegt sich in der von ihm selbst erwählten Grauzone auf dünnem Eis. Wollen die Menschen diese Art des Raunens wirklich?