Bitte mal ganz entspannt bleiben, denn wenn die deutsche Bestseller-Autorin Juli Zeh jetzt Verfassungsrichterin wird, weil die ländliche SPD das so will, dann geht davon die Republik nicht unter. Sie wird allenfalls aus einen bestimmten politischem Betrachtungswinkel etwas mürber, dazu aber gleich mehr. Denn Zeh wird keineswegs Richterin am Bundesverfassungsgericht, sondern an jenem von Brandenburg. Tatsächlich leistet sich jedes Bundesland ein solches. Kein großer Luxus, sondern ganz normal in föderalistisch gestrickten Republiken. Wo es eine Verfassung gibt – hier die Länderverfassungen – wacht dann auch ein Gericht darüber.
In Niedersachsen beispielsweise heißt das niedersächsische Verfassungsgericht Staatsgerichtshof, klingt aber auch hier dramatischer, als es in Wahrheit ist. Solche Gerichte fallen kaum ins Gewicht. Selbst davon nichts zu wissen, dürfte kein so großes Versäumnis sein. Weshalb also macht Juli Zeh das, wird es vergütet und ist es gerechtfertigt, sich darüber aufzuregen, wenn eine Schriftstellerin, die zwar eine juristische Ausbildung aber keine Erfahrung hat, so ein Amt annimmt?
Natürlich ließe sich über letzteres diskutieren, aber dann weiß man nicht um eine Besonderheit des brandenburgischen Verfassungsgerichtes: Dort nämlich agieren auch Laienrichter. Deren Nichtwissen ist sogar explizit erwünscht. Warum, erklärt die märkische Onlinezeitung: „Als Konsequenz aus der friedlichen Revolution 1989/90 und den Runden Tischen wollten die Verfassungsväter, dass im höchsten Gericht auch Nichtjuristen mitreden. Zurzeit spricht der Regisseur Andreas Dresen als Laienrichter mit acht Juristen Recht im Verfassungsgericht.“
Gewählt werden diese Richter vom Landtag. Und da läuft es dann wie überall: Jede Partei hat ihre Spezis, die aber, wie schon erzählt, deshalb noch lange keine Spezialisten sein müssen. Und zuletzt gab es auch hier Streitereien und Verwunderung über die Kandidatin der AfD. In diesem Falle bekam sie wohl ein paar Stimmen mehr, als die AfD Abgeordnete hat und schon gingen die etablierten Parteien mit Argusaugen ihre eigenen Reihen durch, um die Querschläger zu identifizieren. Soll hier aber nur am Rande interessieren. Die SPD-Fraktion hatte nun also Juli Zeh vorgeschlagen und bekommen. Nun könnte man das ein bisschen peinlich finden, wo die prominente Schriftstellerin seit kurzem bekennendes SPD-Mitglied ist.
Eine Juli Zeh, die ausgerechnet im Fahrwasser des so brutal gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten – herrje, man muss sogar einen Moment innehalten, um sich an den Namen zu erinnern, aber ja: Martin Schulz – die also im Fahrwasser von Schulz den Abwärtstrend der Vorwärts-SPD umkehren und sich zur Arbeiterpartei bekennen wollte: „Ich hab ein Problem mit dieser allgemeinen, immer stärker verächtlichen Haltung gegenüber der Demokratie und ihren Institutionen.“
Nun mag neuerlich manch einer schon verächtlich gefunden haben, dass Zeh nicht wie alle anderen fünf Kandidaten Haltung gegenüber der Demokratie eingenommen und ordnungsgemäß zur Vereidigung im Landtag erschien. Und tatsächlich mutet es seltsam an, fast so, als wären es Starallüren, wenn Zeh sich entschuldigen lässt, weil sie, so mutmaßte beispielsweise die Märkische Zeitung, beim ZDF am selben Abend eine Talk-Show Aufzeichnung anstand. So etwas darf man wohl machen, wenn es darum geht, irgendeinen popligen Preis nicht persönlich abzuholen, aber zur Wahl der Verfassungsrichterin eines Landes sollte man sich bemühen und im Wortsinne Gesicht zeigen. Lampenfieber kann es ja nicht gewesen sein, die Autorin ist gerne und oft auf öffentlichen Bühnen unterwegs. Jetzt also wird die gewählte Verfassungsrichterin Ende Januar einzeln im Plenum ernannt und vereidigt, also rechtzeitig vor der ersten Zusammenkunft des Gerichtes in neuer Besetzung. Der Volksmund nennt so etwas Extrawurst.
Gegenüber Deutschlandfunk hatte Zeh schon im November vergangenen Jahres vorweggenommen, warum sie einen Job wie den jetzigen anzunehmen bereit wäre, wenn sie ziemlich gedrechselt zwar, aber doch unmissverständlich berichtete: „Tatsächlich würde ich mir wünschen, dass sich viel mehr Menschen, die nicht von Berufs wegen Politiker oder Journalisten sind – und das sind ja diese sogenannten Intellektuellen –, also Menschen mit einer öffentlichen Stimme, ohne beruflich schon gebunden zu sein an den Meinungszirkus gewissermaßen, also dass sich solche freie Denker häufiger, engagierter, in größerer Zahl zu Wort melden.“
Ach Du je, wie bitte? Nein, keine Sorge, wenn sie noch keinen echten Zeh gelesen haben, literarisch steht Juli Zeh alias Julia Barbara Finck nicht für solche kryptischen Verwringungen. Die Liste ihrer Romane ist so beeindruckend lang wie überaus erfolgreich. Die Schriftstellerin, die bei öffentlichen Auftreten gerne mal an die raue Sängerin Gianna Nannini erinnert, schrieb schon regelmäßig für den gedruckten Spiegel, als sie neben Jakob Augstein und Jan Fleischhauer die Kolumne „Klassensprecherin“ verfasste und dort unter anderem Nichtwähler an die Urnen treiben wollte. Die gebürtige Bonnerin ist eine Nähe zur Politik in die Wiege gelegt; ihr Vater soll Direktor des deutschen Bundestages gewesen sein.
Wer sich nun vom politischen Engagement der Autorin für die SPD an jenes von Günther Grass erinnert, der liegt noch richtiger, als er glaubt, wenn Zeh im Bundestagswahlkampf 2005 eben an der Seite des Nobelpreisträgers dessen Aufruf zur Unterstützung der rot-grünen Regierung unterschrieb. 2009 war Juli Zeh zudem Mitglied der 13. Bundesversammlung für die SPD.
Ihr literarischer Durchbruch gelang ihr 2004 mit „Spieltrieb“, ein Bestseller, der sie einem größeren Publikum bekannt machte. Ulrich Greiner schrieb damals über einen Abschnitt des Romans: „Solche Sätze ragen heraus aus der braven Deutschleistungsprosa, die man in allen Verlagsprogrammen findet.“ Eine interessante Analyse und offensichtlich wie leider damals über Zeh aufgehängt wie ein Damoklesschwert. Denn wer zuletzt die 640 Seiten „Unterleuten“ gelesen hat, der musste sich durchkämpfen, der mag zwar über die gesamte Strecke das große literarische Können der Künstlerin erlebt und ehrlich bewundert, der könnte aber auch betrübt festgestellt haben, dass nach einige hundert Seiten leider etwas Erstaunliches passiert: „Unterleiten“ langweilt, es wird zäh trotz aller Brillanz dieser Erzählung über die Deutsche Provinz und aufgeschrieben in der deutschen Provinz. Juli Zeh lebt in Barnewitz, einem Dorf im Havelland in Brandenburg. Frau von Zeh auf Zeh im Havelland.
Aber noch mal zurück zur Wahl zur Laienrichterin am Verfassungsgericht in Brandenburg. Schaut man sich die Vita der Schriftstellerin an, ist diese neue Aufgabe keine so große Überraschung. Darf man der SPD hier etwas unterstellen, darf man mutmaßen, hier soll der schrumpfende Zuspruch noch einmal durch eine prominente Intellektuelle aufgehalten werden, hier soll noch einmal an die gute alte Zeit mit Grass und Co angeknüpft werden?
Aber ausgerechnet in Brandenburg? Von hier aus konnte die AfD über die Landesliste fünf Abgeordnete in den deutschen Bundestag entsenden, unter ihnen mit Alexander Gauland auch einer der beiden Parteichefs. Übrigens wie Zeh auch ein ausgebildeter Jurist. Die AfD ist in Brandenburg mit über 20 Prozent zweitstärkste Kraft geworden. Und die in Brandenburg seit 1990 regierende SPD hatte bei der Bundestagswahl ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren. Sie landete am Ende nur bei etwas mehr als 17,6 Prozent.
Aber was soll die ehrenamtliche neue brandenburgische Laienverfassungsrichterin Juli Zeh daran ändern? Was kann sie für ihre Partei erreichen, welchen Einfluss und welche – wenigstens für Brandenburg – medienrelevanten Entscheidungen können da kommen aus diesem schnuckeligen, kaum zweistöckigen kleinen Verfassungsgericht in der Potsdamer Jägerallee?
Verhandelt wird da schon einmal über eine spezifische “sorbische” Architektur und Siedlungsweisen und über was sonst noch so entschieden wird, hat das Juraforum Online zusammengetragen: Da geht es um Pachtverträge und Wegerecht, um Rechte von Klägern und Beklagten an brandenburgischen Gerichten, um so etwas, wie die Durchsetzung rechtlichen Gehörs, um eine Überprüfung der Regelung von Verfahrenkostenhilfen oder um Verstöße gegen das Willkürverbot.
Mit anderen Worten ein zwar hohes Ehrenamt, dass sich dann aber doch noch vor Ablauf der zehnjährigen Wahlperiode anfühlen könnte, wie die Lektüre eines Romans auf literatur-technisch hohem Niveau zwar, aber eben überraschend einschläfernd, noch bevor überhaupt das hohe Bergfest gefeiert werden konnte.
Gut, etwas könnte noch Spannung ins Leben einer Laienverfassungsrichterin mit sozialdemokratischem Parteiausweis bringen. Dann beispielsweise, wenn es um die Beobachtung der AfD durch den brandenburgischen Verfassungsschutz geht, dann wäre eine Beschwerde dagegen beim Landesverfassungsgericht anhängig. Aber im November 2018 wurde diese Beobachtung nicht einmal angestrengt. Der Brandenburger Verfassungsschutz will in der Sache eine Bundesentscheidung abwarten. Und das kann durchaus dauern, wird dort sogar gelegentlich noch von Profis entschieden und noch nicht von parteigebundenen Laienschützern.