Husten hat jeder einmal. Nun klingt eine jahreszeitlich bedingte Erkältung anders, als ein veritabler chronischer Raucherhusten. Hörte jedenfalls der Arzt des Autors hier ziemlich schnell heraus. Herr Doktor stand damals kurz vor dem verdienten Ruhestand, konnte also auf lange Jahre Berufserfahrung als Heiler am Menschen zurückblicken. Umso mehr überraschte sein ziemlich modernes Rezept: „Herr Wallasch, steigen sie doch mal auf E-Zigarette um.“
Nachdem sich die Verwirrung ob solcher unkonventionellen Ratschläge gelegt hatte, kam die E-Zigarette. Und was klingt, wie aus einer ziemlich dreisten Werbung für solche Produkte, war erlebte Realität: Der Husten war nach drei Tagen spurlos verschwunden und mit ihm verschwanden diverse Sprays, Tabletten und Inhalatoren. Zugegebenermaßen blieb eine diffuse Angst, welche neuen Gefahren mit dem neuen Dampf in die alten Lungen gesaugt werden. Diese Phase währte seine Zeit, solange, bis nach Jahren ein erneuter hartnäckiger Husten auch das Dampfen endgültig beendete und zunächst einmal eine Gewichtszunahme sichtbares Zeichen der Veränderung wurde. Zumindest letztere werden die meisten abstinenten Raucher und Dampfer kennen. Ebenso übrigens wie Uraltwitze zum Thema nach dem Motto: „Rauchen macht schlank“.
Das jedenfalls scheinen die Linken und die Grünen so zu sehen, wenn sie am kommenden Montag jeweils einen Antrag in den Ausschuss für Landwirtschaft und Ernährung gegeben haben, der die Tabakwerbung komplett verbieten will. Aber nicht nur die Werbung für Tabak, sondern auch jene für Produkte wie Elektrozigaretten und andere Verdampfer. Die Linkspartei legt noch eine Schippe drauf, wenn sie der Bundesregierung wörtlich nicht weniger als „Völkerrechtsbruch“ vorwirft. Wie das? Deutschland hätte 2005 eine WHO-Konvention unterschrieben, die unter anderem Tabakwerbung ächtet und diese Konvention nicht eingehalten, würde also Völkerrechtsbruch begehen. Ach du je.
Nun gehört es zur antikapitalistischen Haltung linker politischer Kräfte, generell mit Werbung auf dem Kriegsfuß zu stehen. Die große linke Ikone, die kanadische Journalistin, Globalisierungskritikerin und politische Aktivistin Naomi Klein, schrieb zur Jahrtausendwende einen Weltbestseller mit dem Titel „No Logo“. Darin geht es in etwa darum, sich eine Welt vorzustellen ohne Werbung, ohne die Globalisierung von Marken. Was für die Kanadierin und viele Leser ihres Buches rund um den Globus faszinierend klingt, haben allerdings viele Westdeutsche erlebt, als die Mauer fiel und die Logo-freie DDR für alle begehbar wurde, mal von den politischen Plakatierungen auf rotem Hintergrund abgesehen. Wenn etwas diese gefühlte Tristesse am besten auszudrücken in der Lage war, dann doch die Abwesenheit der Attribute einer kapitalistischen Marktwirtschaft – der Wandel der Litfasssäule vom Polit- und Kulturanzeiger zur Produktwerbung nun auch in Mitteldeutschland.
Am kommenden Montag wird also eine Ausschusssitzung zu den Anträgen der Grünen und der Linken zum vollständigen Tabakwerbeverbot beraten. Aber die großen Tabakkonzerne sind längst selbst mindestens ambivalent eingestellt, was dieses Thema angeht. Beispielsweise die Phillip Morris GmbH schreibt in einer Pressemitteilung mit dem Titel: „Studie: Alternativen zur Zigarette können die Lebensqualität verbessern“ dazu: „Die Transformation der Tabakindustrie hin zu weniger schädlichen Produkten wird kommen, die Frage ist nur wie schnell. Politik hat entscheidenden Einfluss, ob die Raucherinnen und Raucher risikoreduzierte Alternativen akzeptieren oder nicht.“
Mit anderen Worten: Die nikotinverabreichende Industrie (als solche will man mittlerweile verstanden werden) gibt der Politik den Handschuh zurück und sagt: Wenn ihr uns keine Werbung für unsere weniger schädlichen Nikotinprodukte machen lasst, dann verhindert ihr, dass Raucher ihr Leben verbessern können hin zu weniger gesundheitsgefährdenden Produkten oder sogar irgendwann ganz weg davon.
Aber was ist jetzt mit den eingangs erwähnten Weisheiten eines Arztes kurz vor der Rente? Das sind ja keineswegs allgemein anerkannte. Die Frage aller Fragen ist hier doch: Soll die Politik Werbung für Ersatzprodukte wie E-Zigarette und Verdampfer-Zigarette weiter zulassen und nur die sowieso schon eingeschränkte Werbung für die herkömmlichen Zigaretten endgültig verbieten? Oder kann beides weg? Das natürliche Interesse der Tabakindustrie ist klar: Sie wollen ihre neuen Produkte, die weniger schädlich sein sollen weiterhin bewerben dürfen. Sogar eine Studie wurde in Auftrag gegeben mit dem ausufernden Titel: „Die Zukunft der Tabakregulierung in Deutschland Teil III. Das Potenzial risikoreduzierter Tabakprodukte zur Verbesserung der Lebensqualität und Konsequenzen für die Tabakregulierung.“
Lassen wir hier ausnahmsweise einmal die Diskussion außen vor, wer die Studie beauftragt und wer durchgeführt hat. Laut besagter Pressemitteilung jedenfalls will diese Studie untersucht haben, wie stark sich die Krankheitslasten des Rauchens durch den Umstieg auf risikoreduzierte Produkte senken lassen. Konkret will man dort herausgefunden haben:
„Schadstoffreduzierte Alternativen zur Zigarette können Beeinträchtigungen durch rauchbedingte Krankheiten reduzieren und damit Lebensqualität erhöhen. Tabakerhitzer oder E-Zigaretten können die Lebensqualität der Raucher in Deutschland – je nach Szenario – um bis zu 51 Prozent deutlich steigern.”
Nun ist der Autor hier als ehemaliger Raucher und späterer Dampfer möglicherweise befangen. Immerhin kann er individuell bestätigen, was da herausgefunden wurde. Was er allerdings nicht kann, ist einhundertprozentig ausschließen, dass es nicht ganz neue Erkrankungen geben könnte, die durch die Alternativen zum herkömmlichen Rauchen entstehen, aber noch gar nicht bekannt sind. Der Autor hier musste für sich eine Entscheidung treffen, was er meint, was für ihn besser ist. Eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera? Nein, denn zunächst war es eine zwischen Husten und keinem Husten, zwischen Gesundheitsgefährdung und der Hoffnung auf weniger Gesundheitsgefährdung.
Nun also die entscheidende Frage: Warum sollten die Tabakkonzerne nicht wenigstens für ihre alternativen Nikotinverabreichungsprodukte werben dürfen? Dafür spräche, wenn tatsächlich Raucher von herkömmlichen Glimmstengeln durch solche Werbemaßnahmen zur E-Zigarette oder Tabakerhitzern wechseln würden.
Für ein Komplettverbot der Werbung für nikotinhaltige Produkte aus gesundheitspolitischen Aspekten spräche beispielsweise, wenn Nichtraucher von dieser Werbung dazu verführt werden würden, diese neuen Produkte auszuprobieren in der Annahme, sie wären so etwas, wie gesunde Zigaretten, was sich allerdings selbst aus Sicht der Tabakindustrie nicht sind. Behauptet wird hier lediglich: „Die Lebensqualität der Raucher könnte deutlich erhöht werden, wenn Raucher in großer Zahl auf schadstoffreduzierte Alternativen umsteigen.“
Aber vielleicht sollte ja am Montag in besagtem Ausschuss ein viel grundsätzlicherer Ansatz diskutiert werden, wenn es darum geht, die Anträge der Grünen und der Linkspartei zu besprechen. Nämlich die Frage, ob wir wirklich wollen, dass sich das Land mittlerweile in so etwas, wie einen Nanny State verwandelt. Im Mai 2017 sprach Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität auf dem Berliner Symposium mit anderen über diese Gefahr. Moderiert wurde diese Veranstaltung der Ludwig-Erhardt-Stifung https://www.ludwig-erhard.de/termin/berliner-symposion-muendiger-buerger-marschiert-deutschland-in-den-nanny-state/von Roland Tichy.
Norbert Bolz hielt das Impulsreferat mit dem hier so passenden Titel: “Von der Betreuung durch Besserwisser” https://www.ludwig-erhard.de/erhard-aktuell/standpunkt/von-der-betreuung-durch-besserwisser/. Halten wir uns gar nicht lange mit der Herleitung auf, wenn uns doch das Fazit von Bolz den so passenden Schlussatz für diese kurzen Überlegungen Pro oder Contra Werbung für nikotinhaltige Ersatzprodukte liefert:
“Bald wird eine Schwelle erreicht sein, an der sich die Leute das nicht mehr bieten lassen. Das gilt genauso für das Parallel-Phänomen der Political Correctness. Auch da gibt es mittlerweile Widerstand, und die Leute lassen sich nicht mehr jeden Wahnsinn bieten. Es muss ja nicht zu einer Kulturrevolution führen, aber es gibt präzise Sabotageakte gegen diese Politik der Überregulierung. Und ich denke, sie werden zunehmen.”
Was also werden unsere Politiker am Montag im Ausschluss beschließen, wenn es darum geht, die Anträge der Grünen und der Linken zu besprechen? Was glauben Sie?