Udo Kellmann ist geschäftsführender Gesellschafter eines Kaufhauses in Bergisch-Gladbach. Wir sprechen mit ihm über das Schicksal der deutschen Unternehmer am Vorabend der als verheerend befürchteten Corona-Ansteckungswelle in Deutschland.
Udo Kellmann: Unser Kaufhaus haben wir vor 22 Jahren von Hertie gekauft. Wir haben insgesamt achteinhalbtausend Quadratmeter Verkaufsfläche, die aktuell komplett geschlossen ist, da wir keine Lebensmittel führen. Das Fitnessstudio als Untermieter bei uns ist ebenfalls geschlossen.
TE: Was verkaufen sie normalerweise?
Wir haben das übliche Sortiment im Sportartikelbereich, Hartwaren weniger, dafür viel Textilien, Marken wie Esprit, S. Oliver, Wäsche, Strümpfe.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie hörten, dass sie dicht machen müssen?
Ich habe morgens gleich beim Ordnungsamt angerufen, weil es abends hieß, der Einzelhandel soll in Nordrhein-Westfalen noch nicht geschlossen werden. Dann kam um Mitternacht die Nachricht, dass doch dicht gemacht wird. Aber beim Ordnungsamt wussten sie auch noch nichts Genaues, die haben uns dann erst am Mittwoch um 16 Uhr gesagt, dass wir dann so langsam schließen sollen.
Mit welcher Begründung? Was wurde Ihnen gesagt?
Es gibt einen Erlass des Ministeriums für Arbeit hier in NRW vom 17. März 2020, darin werden die Bezirksregierungen aufgefordert, die Informationen an die Oberbürgermeister weiterzugeben und an die Bürgermeister. Die eigentliche Anordnung kam dann ja vom Ordnungsamt. Hier sind Mitarbeiter des Amtes und Polizisten durch die Fußgängerzone gegangen und haben jeden einzelnen Ladeninhaber aufgefordert, das Geschäft zu schließen.
Warum haben die Inhaber nicht von sich aus schon im Vorfeld zugemacht?
Einige Filialisten, wie H&M und Peek & Cloppenburg, haben im vorauseilenden Gehorsam sogar schon davor beschlossen zu schließen. Aber die Leute, die dann hier mit ihrem eigenen Geld im Feuer stehen, haben natürlich jede Minute die gerade noch ging, ausgenutzt.
Wie wirkt das Tun der Regierung aktuell auf Sie, speziell als von der Schließung betroffener Unternehmer?
Das ist ja gerade das Paradoxe: Ich betreibe ein Kaufhaus mit über 8.000 Quadratmetern, wo, wenn es einmal hochkommt, hundert Kunden auf einmal einkaufen. Das heißt, jeder Kunde hat hier bald einhundert Quadratmeter für sich alleine, während sich in den Lebensmittelmärkten 300 Kunden auf eintausend Quadratmetern dicht gedrängt versorgen.
In der Metro waren gestern in den Kassenbereichen extra Distanzen am Fußboden abgeklebt, damit die Kunden Abstand zueinander halten. Das sind alles so mehr oder weniger hilflose Maßnahmen. Ich habe für meine Mitarbeiter schon Anfang Februar – man konnte es ja kommen sehen – Desinfektionsmittel bestellt und auch schon bezahlt, aber die sind bis heute nicht eingetroffen. Diese OP-Masken beispielsweise, da kosten einhundert Stück zwei Euro, jedenfalls früher mal. Warum sich unsere Bundesregierung da nicht einfach mal einhundert Millionen irgendwo einlagert für schlechte Zeiten, dass kann ich nicht verstehen. Ebenso wenig wie die fehlende Lagerung von Desinfektionsmitteln.
Die Krankenhäuser klagen doch alle, dass da nichts mehr da ist. Beziehungsweise das, was sie haben, wird noch geklaut. Da war unser Staat leider nicht sonderlich vorbereitet.
Im Kalten Krieg wurde ja alles Mögliche in Atombunkern gelagert und kurz vor Verfallsdatum abverkauft und neu beschafft. Heute beschwert sich ein Landesinnenminister, dass man bei der Schweinegrippe unnötigerweise viel Geld für Impfstoff ausgegeben hätte. Er sagte das quasi als Entschuldigung für die aktuellen Zustände, für den Mangel. Was sagen Sie dazu?
Das passiert eben manchmal, dass etwas entsorgt werden muss. Das ist das unternehmerische Risiko beziehungsweise in dem Falle die Daseinsvorsorge, die der Staat für uns bringen muss. Dass sie in der jetzigen Situation schon nicht mehr in der Lage sind, uns zu schützen mit Desinfektionsmitteln oder Masken, das hat der Staat ganz klar zu verantworten, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Und ich erinnere mich noch gut daran, wie die Bertelsmann Stiftung und auch der Herr Lauterbach von der SPD Mitte letzten Jahres noch groß getönt haben, jedes zweite Krankenhaus in Deutschland müsse geschlossen werden, es wären viel zu viele.
Wollen Sie uns ihre aktuelle unternehmerische Situation noch näher schildern, bitte?
Ich bin wie gesagt seit 22 Jahren hier im Haus als Mehrheitsgesellschafter. Ich hafte mit meinem Privatvermögen für meine unternehmerische Tätigkeit, also so wie früher üblich. Und darum hänge ich da natürlich auch mit meinem ganzen Herzblut dran. Wir sind in der Vergangenheit finanziell immer relativ gut aufgestellt gewesen. Ich zahle meine Gehälter immer zur Mitte des Monats für meine Mitarbeiter. Ich habe bis letzte Woche alle meine Rechnungen schon immer binnen zwei, drei Tagen bezahlt, damit ich Skonto ziehen kann. Was mich jetzt natürlich in eine bessere Situation versetzt, als viele meiner Kollegen.
Aber wenn Sie dem Staat jetzt vorwerfen, dass er nicht vorgesorgt hat mit diesen Masken, böse könnte man ja fast sagen, dass der Einzelhändler sich auch einmal eine Kriegskasse hätte anlegen müssen?
Ja, aber wovon denn? Der Einzelhandel steht doch schon seit Jahren, seit diesen berühmten Basel-II-Richtlinien auf der No-Go-Liste der deutschen Banken. Als Einzelhändler bekommt man keine Kredite. Das heißt, der Einzelhandel ist überwiegend aus Eigenkapital finanziert. Wenn du in Deutschland mit einem Geschäft Gewinne machst, steuert dir der Staat sofort die Hälfte des Gewinnes wieder weg, sodass man gar keine großen Chancen hat, sich da groß Grundlagen aufzubauen. Das Problem im Einzelhandel ist ja nicht so, wie jetzt bei einem Restaurant, dass man dort zumacht und keine Einnahmen mehr hat, die Miete weiter bezahlt und eventuell einen Teil der Mitarbeiter. Schlimm genug, und da werden auch viele kaputt gehen. Nein, im Einzelhandel haben sie zusätzlich noch ein zweites Problem: Beispielsweise die Ware im modischen Bereich rollt jetzt komplett vom Produzenten an. Die Ware wird ja acht, neun Monate im Voraus bestellt. Das heißt, der Wareneingang im April, Mai, Juni läuft an und die Lieferanten wollen bezahlt werden. Das wird normalerweise dann immer aus der normalen Liquidität bezahlt, das heißt, sie machen in der einen Woche Umsätze und in der nächsten können sie damit ihre Ware und ihre Mitarbeiter bezahlen. Die Umsätze sind aber jetzt von heute auf morgen weggebrochen. Die Ware rollt aber trotzdem an. Bei uns kommt beispielsweise im April für bis zu 300.000 Euro Einkaufspreis Ware.
Sind Sie sicher, dass die Ware noch ankommt?
Wir haben alle Lieferanten angeschrieben und darum gebeten, die Ware zu stoppen und nicht auszuliefern und liegen zu lassen.
Gemeint waren die Grenzen, glauben Sie, die Waren kommen noch durch?
Aus Italien kommt nicht so viel. Das meiste kommt aus der Türkei und aus Bangladesh, teilweise auch aus China. Das sind ja Sachen, die sind schon längst unterwegs auch auf Containerschiffen. Die werden in Hamburg angeliefert und dann werden die über die Großhandelsläger verteilt. Die deutschen Textilhändler haben im Übrigen fast alle ihre Lieferanten angeschrieben, das bitte zu stoppen. Aber das wird natürlich nicht bei allen fruchten und ein Teil der Ware wird angeliefert werden. Die muss dann auch bezahlt werden beziehungsweise müsste.
Muss diese Ware denn in Quarantäne?
Nein, nein, bei Waren gibt es das nicht. Da gibt es Untersuchungen, in so einem Paket, in einem Container ist nach 24 Stunden alles abgestorben an Viren.
Aber noch mal bitte zurück zum Liquiditätsprobelm. Ich habe das für mein Unternehmen einmal ausgerechnet: Jeder Tag Schließung kostet uns 5.000 Euro, die unwiederbringlich verloren sind.
Jetzt haben ja die Minister Altmaier und Scholz in einer Pressekonferenz am 13. März gesagt und Altmaier später nochmal in einer Talkshow wiederholt, dass niemand Probleme bekommt, weil die „Bazooka“ durchgeladen wird. Aber schon Tage später hieß es von gleichen Akteuren, man könne aber auch nicht mit der Gießkanne über das Land laufen – schließlich sei es das Geld der Steuerzahler. Was sagen Sie dazu?
Diese großspurig verkündete Bazooka ist tatsächlich ein Rohrkrepierer. Das einzige, was der Scholz gemacht hat, ist die altbekannten üblichen KfW-Darlehen (die Red.: www.kfw.de/Darlehen) zu nehmen, da hatte der Bund ja bisher eine Haftungsfreistellung für die Geschäftsbanken von 60 Prozent übernommen, und diese nun auf 80 Prozent erhöht. Ich habe mich deshalb auch gleich am Montagmorgen bei meinen drei Bankern, die ich hier habe, erkundigt. Und die sagten dann aber alle: „Hör mal, ne, so ist das aber nicht. Wir müssen genauso prüfen, ob die nun für 60 oder 80 Prozent haften. Diese Prüfung dauert in guten Zeiten sechs Wochen, jetzt wissen wir gar nicht, wie lange das dauert, weil uns jetzt wahrscheinlich die Tische mit Anträgen zugestapelt werden.“ Rechnen Sie doch mal: Wenn Sie jetzt 500 Milliarden KfW-Darlehen nehmen, dann müssten die deutschen Banken mit hundert Milliarden haften. Da sind die im Moment überhaupt nicht in der Lage zu.
Insbesondere muss man natürlich ehrlich sein: Von diesen 500 Milliarden wird auch ein gravierender Teil wahrscheinlich verloren sein, weil Unternehmen jetzt Kredite aufnehmen, und dann haben wir nicht sechs Wochen, sondern drei oder vier Monate geschlossen und dann kippen die natürlich trotzdem hinten über. Nach vier Monaten beispielsweise ist der Großteil der modische Ware gar nicht mehr verkäuflich und sie müssen die mit 50 Prozent Abschriften vor die Tür stellen – zudem fehlt ihnen dann die Liquidität, um neue Ware zu kaufen. Das ist ein Teufelskreis dann.
Fürchten Sie eigentlich um Ihr generelles Geschäftsmodell, wenn das alles mal vorbei ist und die Menschen möglicherweise auch die Wirtschaft an sich hinterfragen – darauf spekulieren ja schon die Grünen und andere.
Gesellschaftspolitisch betrachtet mache ich mir da keine Sorge, aber dass es natürlich Kriegsgewinnler gibt, die gleich jubeln, dass beispielsweise der CO2-Ausstoß geringer wird, das finde ich schon ein bisschen schäbig. Was mit Sicherheit passieren wird, ist, dass der Internet- genau wie der Lebensmittelhandel boomen werden. Die Leute, die am Amazon-Geschäftsmodell Geschmack gefunden haben, sind dann allerdings erfahrungsgemäß oft auch langfristig weg.
Anderseits wird sich – egal, wie lange es dauert – für den Einzelhandel ein Ausleseprozess manifestieren. Viele Einzelhändler werden ihre Geschäfte eben nicht mehr öffnen, höchstens noch für den Räumungsverkauf. Das ist gar nicht so neu, aber der Trend wird sich jetzt dramatisch beschleunigen. Was sich in den nächsten drei oder vier Jahren sowieso abgewickelt hätte, wird jetzt in den nächsten zwei Wochen krachen gehen. Also so eine Art Gesundschrumpfung, so falsch sich das vom Wort her gerade auch anhören mag. Wir haben in Deutschland dramatisch zu viel Verkaufsfläche im stationären Handel. Das wird sich jetzt mehr oder weniger bereinigen.
Wo kommt das Geld eigentlich her, das jetzt freigestellt werden soll?
Wo das Geld herkommt, ist nicht das Problem, das wird einfach abgeschöpft bei der Europäischen Zentralbank (EZB), das ist kein Problem. Dass das natürlich mittel- und langfristig zu Inflation führen könnte, ist auch klar. Aber die EZB macht das ja jetzt schon jeden Monat mit diesen Anleiheaufkäufen, da schöpfen die ja jetzt jeden Monat siebenhundertfünfzig Milliarden. Da jetzt noch einmal eine Billion für die deutsche Wirtschaft loszumachen, das ist nicht das Problem. Schlimmer ist es mit diesen vollmundigen Versprechungen, ich denke da immer an Goethe: Die Botschaft hört ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Denn unbürokratisch läuft in Deutschland gar nichts. Ich sitze hier jetzt seit drei Tagen an Anträgen für meine drei Geschäftsbanken.
Freuen Sie sich doch einfach, dass das Finanzamt jetzt erst einmal nichts von Ihnen will …
Warum? Umsatzsteuer ist bezahlt. Die nächsten Steuervorauszahlungen werden erst Mitte Mai fällig. Und Umsatzsteuer für März bekomme ich ja sogar noch was zurück vom Finanzamt, denn die Ware läuft rein und wir haben keine Umsätze. Da bekomme ich doch Riesensummen zurück. Aber das kann womöglich dauern. Wir sind gut aufgestellt, weil wir erfolgreiche Jahre hatten und Rücklagen gebildet haben. Aber ich weiß von vielen kleineren Einzelhändlern, die schon länger von der Hand in den Mund leben.
Dann sagen Sie doch mal: Wenn man Ihnen das Zepter in die Hand drücken würde, was würden sie besser machen?
Ich würde die Haftungsfreistellung für KfW-Mittel auf einhundert Prozent erhöhen. Einfach, damit die Geschäftbanken die das prüfen, komplett aus dem Risiko heraus sind. Damit die viel entspannter prüfen können, denn prüfen müssen sie natürlich. So aber ginge alles innerhalb von zwei, drei Wochen über die Bühne und dann müsste der Staat bei der Einkommenssteuererklärung beziehungsweise bei der Vorlage der Jahresergebnisse im Sommer 2021 eben genau gucken. Unternehmen, die seit Jahren immer Gewinne gemacht haben – da müsste das Darlehen um diesen Verlust gekürzt werden.
Noch Mal zu Ihnen persönlich. Sie haben Publikumsverkehr, Sie kommen im Unternehmen viel unter Leute, wie groß ist Ihre Sorge rund um Corona, was Sie selbst angeht?
Ach, Männer sind da ja meistens anders gestrickt. Um so etwas macht man sich keine Sorgen. Wir sind ja alle unsterblich. Wenn es einen trifft, dann wird man da schon irgendwie durchkommen. Ich bin jetzt 62, groß und stark (lacht) und habe mir da persönlich bisher keine Sorgen gemacht. Bei uns ist allerdings auch nicht so ein Gedränge wie in so einem Edekamarkt um die Ecke. Solche Dinge verdrängt man ja meist. So ein Virus ist halt unsichtbar. Ich biete meinen Leuten hier übrigens seit Jahren Grippeschutzimpfungen an. Aber von den einhundert Leuten, die ich beschäftige, nehmen da jedes Mal nur ungefähr zehn oder fünfzehn daran teil, der Rest sagt, brauche ich nicht. Ich denke mal, das wird sich in den nächsten Jahren ändern, dann stehen da 95 an und lassen sich impfen.
Gut, das ist ein sozialer Aspekt. Aber sicher doch auch ein wirtschaftlicher, wenn Ihnen die Leute drohen krank zu werden, ist das ja ein offensichtlicher Vorteil für Sie, so eine Impfung anzubieten.
Ja, klar. Aber darum geht es ja eigentlich nicht. Wir hatten bisher gottseidank keine Erkrankungen. Die meisten Mitarbeiter sind zu Hause bis auf wenige, die noch anlaufende Arbeiten erledigen.
Was war Ihr – nennen wir es mal: – Ausnahmeangebot an Ihre Mitarbeiter?
Wir haben mit unseren Mitarbeitern gestern und vorgestern Besprechung gemacht. Die Gehälter für März sind alle bezahlt. Ab April wird Kurzarbeitergeld beantragt. Aber wir werden das dann soweit aufstocken hier aus unserer Unternehmenskasse, dass die Mitarbeiter da gut mit über die Runden kommen. Und wenn einer Probleme hat, haben wir vereinbart, bekommt der zinslose Vorschüsse, die er erst nächstes Jahr irgendwann zurückzahlt.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Sie, Ihre Mitarbeiter und Ihr Unternehmen.