Tichys Einblick
Papier ade´

Die Tageszeitung „taz“ gibt auf: Ende der Printausgabe angekündigt

Die „taz“ kann über die vier Jahrzehnte ihrer Existenz hinweg als Sprungbrett und Kaderschmiede für eine Anzahl von Journalisten verstanden werden, die später in den etablierten Medien Karriere machten. Sie hat es verstanden, die Strömungen der deutschen Linken und Grünen erfolgreich zu bedienen, währenddessen der Umbau der Gesellschaft auf allen Ebenen vollzogen wurde.

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Die „taz“ („Die Tageszeitung“) hat fertig: „Scheiß auf Print, Papier ist zum Po-Abwischen.“ Was nun so rotzig wie selbstbewusst klingen will, ist wohl eher ein redaktioneller Aufschrei angesichts sinkender Verkäufe der Print-Ausgabe. Aber auch Online sinken die Lesezahlen und dort sogar gegen den allgemeinen Trend.

Zitiert wird der Abwischer aus einem internen „Innovationsreport“. An dem Papier soll ein Team aus „taz“-Mitarbeitern ein paar Monate lang gearbeitet haben.
Nun könnte man sagen: Na und? Ist doch keine Sache. Denn wer liest überhaupt noch die „taz“? Und an welchem Kiosk ist sie zu finden, wenn man sie nicht im Abo hat oder der Weg zur Bahnhofsbuchhandlung wieder zu weit ist?

Wofür also die „taz“, wenn schon alle so geworden sind wie die „taz“? Die Süddeutsche ist „taz“, die WELT, streckenweise die Frankfurter Allgemeine, die Sonntagsausgabe der Frankfurter, der Spiegel sowieso. Aber wenn dem so ist, was ist dann? Ist die Medienlandschaft publizistisch grau in grau? Werden die Probleme der „taz“ aktuell auch deshalb so groß gespielt? Der x-te Bypass für die siechende Mutter aller linken Schlachten? Aber wurde nicht längst aus der hübschen Arabeske die herrschende Lehre, noch dazu eine, die journalistisch eintönig ist? Aber wenn sich diese Klientel zu Tode gesiegt hat, dann war es das. Selbstverständlich kann uns das bei TE auch passieren, wenn bald alle schreiben wie wir. Sind wir deshalb nun ebenfalls verpflichtet ein Loblied auf die „taz“ zu schreiben?

Klar, man kann auch anders auf das in Verlagsgenossenschaft erscheinende Blatt schauen. Auf eine Erfolggeschichte, die 1978 in West-Berlin als Reaktion auf den „Deutsche Herbst“ begann. Zu einer Zeit, als der RAF-Terror mit der Entführung der Landshut, der Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers und der Selbstmorde der inhaftierten RAF-Führung in Stammheim, die außerparlamentarische Linke in Deutschland paralysierte. Ein erfolgreicher Marsch durch die Institutionen schien damals so vollkommen unvorstellbar, wie nie zuvor und auch später nicht mehr. Heute, fünfzig Jahre später, ist das Ziel einer von links dominierten Gesellschaft erreicht.

Die „taz“ hat es über vier Jahrzehnte verstanden, die Strömungen der deutschen Linken und Grünen erfolgreich zu bedienen, währenddessen der Umbau der Gesellschaft auf allen Ebenen vollzogen wurde. Oder wie es Bettina Röhl in „Die RAF hat euch lieb“ auf Seite 249 f. schreibt: „Der Staat (…) hat damals verloren. Er ist seither ein verdächtiger Staat, und das alleine ist bereits die Niederlage: Der Staat ist seit dem Paradigmenwechsel von 68 ein zutiefst im Kern bemakelter, ein im Mark erschütterter Staat.“

Nein, die 68er und ihre Erben ahnten damals noch nicht, wie erfolgreich sie werden würden, als sie Ende der 1970er Jahre den rauchenden Abraum ihrer verbrannten Bewegung in den Händen hielten. Aber es gab Überlebende, als jene, die nicht in der Illegalität oder auf Drogen waren, die „taz“ auf den Weg brachten. Mit dabei als Gründungsmitglied war Anwalt Hans-Christian Ströbele, der im Übrigen fast zeitgleich auch für den Gründungsmythos der grünen Partei eine wichtige Rolle spielen sollte. Eine nicht zufällige zeitliche Nähe und eine willkommene Zielgruppen-Schnittmenge.

Erstaunlich übrigens auch, wie viele erfolgreiche Journalisten heute eine Tätigkeit bei der „taz“ in ihrer Biografie verbuchen können. Tatsächlich kann die „taz“ über die Jahrzehnte hinweg als Sprungbrett und Kaderschmiede für eine Anzahl von Journalisten verstanden werden, die später in den etablierten Medien Karriere machten. Michael Sontheimer war Mitbegründer, jüngere Autoren wie Arno Frank sind heute bei Spiegel Online Vielschreiber. Aber die Liste ist noch viel länger, sie liest sich wie eine mäandernde Reise durch alle Ressorts und vertikal die Etagen der deutschen Leitmedien hinauf, wenn Autoren wie Robin Alexander, Deniz Yücel, Cornelius Tittel, Ines Pohl, Thomas Schmid und sogar der fluidale Feuilletonist Volker Weidemann allesamt „taz“-Blut in ihren Adern haben. Nun ist der Autor hier selbst auch gelegentlicher „taz“-Autor und er erinnert sich gut und gerne daran, wie das war, als die „taz“ zum ersten Mal einen seiner Artikel annahm, wo alle anderen Leitmedien nicht einmal Antwort geben wollten auf unverlangte Zusendungen. Ohne Scham gesprochen: Dieser erste gedruckte Artikel hängt seit zehn Jahren zwar eingestaubt, aber eingerahmt im Hausflur des Autors. Kein Tag, an dem er nicht an ihm vorbei muss, auch zwei Folgetexte sind gerahmt und aufgehängt, das Papier schon so gelb, als wären es noch viel ältere Ausgaben der „taz“.

Nun darf sich Edelfeder nennen, wer es schafft, über eine ganze Seite hinweg in einem der Leitmedien mit einem Feuilletontext abgedruckt zu werden. Und wer wirklich darauf schielt, wer so etwas tatsächlich für die Goldmedaille für Schreiber halten sollte, der hatte wenn, dann bei der „taz“ eine Chance auf Veröffentlichung, wo in anderen Leitmedien eifersüchtig darauf geachtet wird, sich mögliche neue Konkurrenz vom Leibe zu halten. Klar, wer dort angekommen ist, will bleiben, alleine schon der Bezahlung wegen. Währenddessen die Löhne der „taz“ – je nach Familiensituation – die Armutsgrenze schon mal schmerzhaft in Sichtweite halten.

Jedenfalls für die Festangestellten. Was die freien Autoren dort abliefern, ist noch weniger wert, wird allenfalls mit einem symbolischen Betrag belohnt. Hier muss es alleine um Ruhm und Ehre gehen, um die eine Seite „taz“, die man im Flur verstauben lassen kann um davor stehen zu bleiben, dann, wenn gerade keiner schaut. Nun lässt sich ein Online-Artikel nicht einrahmen. Wir dürfen also davon ausgehen, dass nachrückende Ruhm-und-Ehre-Schreiber nicht mehr mit der gleichen Pro-Bono-Begeisterung in der „taz“-Online-Redaktion vorsprechen, wenn die Print-Ausgabe eingestellt wird.

Nun interessiert es den Leser kaum, unter welcher Lupe der Begehrlichkeiten ein Text beim Autor selbst entstanden ist. Die meisten Texte der Zeitung sind sowieso unter enormen Zeitdruck und im Murmeltiermodus produziert. Die wahren Helden sind auch hier die Lückenfüller, dort, wo nur noch Platz für ein Kürzel ist, wenn es nicht Ausdruck eines Understatements ist, dann, wenn zwei Buchstaben ausreichen, eine Geschichte zu erzählen. Nur wenige schaffen das so wie MM. Matthias Matussek allerdings hat nie für die „taz“ geschrieben. Die „taz“ schreibt heute über Matussek.

Wer jetzt wie die „taz“ über die Abschaffung seiner Print-Ausgabe nachdenkt, der sollte sich trotzdem Gedanken darüber machen, warum die Zeitung auf dem iPad, Notebook oder Smartphone alles andere als ein durchschlagender Erfolg geworden ist. Gegenüber knapp 16 Millionen verkauften Tageszeitungen stehen im ersten Quartal 2018 gerade einmal etwas mehr als eine Million ePaper. 2014 waren es 19 Millionen Zeitungen und etwas mehr als sechshunderttausend ePaper. In nur vier Jahren sind vier Millionen Zeitungen, ob nun gedruckt oder digital einfach verschwunden. Nun soll getrauert werden, weil nach Selbstauskunft der „taz“ etwa fünfzigtausend „taz“-Zeitungen eingestellt werden sollen, und knapp dreihundert schlecht bezahlte Mitarbeiter weiche Knie bekommen? Nicht zu vergessen: erschwerend kommt hinzu, die „taz“ ist mit ihrer geringen Auflage eine bundesweite Zeitung, jedes Blatt muss also noch zum Leser transportiert werden, egal, ob der in Husum liest oder am Bodensee.

Der Spiegel befand noch 2011: „Statt Möglichkeiten zu nutzen, drücken die Verlage das alte Abo-Modell in einen neuen Vertriebsweg.“ Ist die Zeitung, abgebildet auf elektronischen Endgeräten tatsächlich das Betamax unter den Erscheinungsformen einer Zeitung, selbst dann noch, wenn die Inhalte schon am Vorabend der Print-Veröffentlichung zur Verfügung stehen?

„Das Zeitalter der gedruckten Zeitung ist zu Ende“, verkündete Karl-Heinz Ruch als Geschäftsführer der „taz“ seinen Mitarbeitern. Für Ruch lebt der Journalismus von nun an im Netz weiter. Gut, seine Journalisten lebten bisher eher schlecht als recht von ihren Niedriglöhnen. Besser wird es nun kaum werden, dann, wenn die Print-Ausgabe verschwindet. Denn zunächst einmal müssen dafür neue Bezahlwege gefunden bzw. defizitäre irgendwie verbessert werden. Nur wie?

Wenn Ruch fast hilflos lapidar mitteilt, der digitale Wandel biete dabei eine Chance auf mehr Vielfalt im Journalismus, dann klingt das zum einen wie aus der Mottenkiste der schon über ein Jahrzehnt alten Diskussion um neue Online-Formate, und zum anderen konkurriert es mit dem eigenen linken Selbstverständnis, wenn gleichzeitig viel dafür getan wird, diese leider nur theoretisch erwünschte neue Vielfalt mit einer Bannmeile zu versehen, so sie nicht dem entspricht, was die „taz“ und ihre einflussreichen Ableger in den Schaltzentralen der Leitmedien für politisch korrekt befinden.

Da beißt nun das Elend sinkender Auflagen dem Hund in den Schwanz, der zwar an neuralgischen Stellen in den Leitmedien seinen „taz“-Pfotenabdruck hinterlassen hat, der aber im Chor aufheult, wenn ein paar noch nicht „taz“-domestizierte Wölfe auf der Bildfläche erscheinen und die Reißzähne blecken. Auf der hauseigenen Seite der „taz“: Verbote linksradikale Onlineplattformen? Die Zeitung protestiert vehement. Die Verteidigung eines kritischen Journalismus in der Türkei? Die „taz“ veröffentlicht solidarisch auf Türkisch. So druckt man Vielfalt heute aus.

Aber so eine Vielfalt möge bitte eine begrenzte bleiben. Wie soll das aber gehen? Die Konkurrenz ist online noch viel weniger wegzuschreiben, als noch in der Print-Ausgabe, wo man sich seit vierzig Jahren als rebellische Kindstube zwar, aber erfolgreich an den Rockzipfel der Etablierten angeheftet hatte. Aber die Ehemaligen waren sich bisher noch immer einig, was sie ihrem Brutkasten schuldig sind.

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