Tichys Einblick
Kein Fachkräftemangel

Die neuen Spargelstecher sind die alten

Die Erntehelfer aus Polen beim Spargelbauern um die Ecke sind wie all die Jahre schon da und machen eben noch ein paar Tage etwas anderes, bevor der Spargel singt.

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Wer in Braunschweig aufgewachsen ist, musste irgendwann mit einer regionalpatriotischen Enttäuschung fertig werden: Nein, Spargel ist kein rein Braunschweiger Gemüse, der wird auch anderswo angebaut. Die Annahme es wäre anders, ist ein Kinderglaube, der auch darin begründet liegt, das Spargel im Harz- und Heideland eine Art Heiligtum ist, begleitet von einem seufzenden Raunen der Alten, wenn die flüssige Butter über die dampfenden pralldicken Stangen gegossen wird.

Doch, doch, wer auf sich hält, holt hier schon seit Jahrzehnten und über Generationen vom Landwirt seines Vertrauens. Solche Nachbarn, die Spargel vor der Saison beim Edeka kaufen und meinen, es wäre schon wurscht, ob der aus Griechenland, Chile oder gar China, ob der aus der Plastikfolie oder aus Veltenhof nahe Braunschweig aus dem Erntekasten kommt, solche Nachbarn mögen zwar sonst ganz nett sein, aber das sind eben keine echten Braunschweiger.

„Das sind Zugewanderte“, wie es die alte Dame schmunzelnd erklärt, die wir befragen und die selbst weiß, was das bedeutet, war sie doch Vertriebene aus Niederschlesien, die als junge Neubraunschweigerin erst über die Jahre die Faszination der weißen Stangen begreifen lernen musste.

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Wir rufen bei Spargelbauern an, wie das denn nun tatsächlich ist mit der Not an Saisonarbeitern. Angeblich fehlen solche, die wegen Corona nicht mehr einreisen dürften. Eine Schnellrecherche im Internet bei den Jobbörsen zeigt bereits: Händeringend geht jedenfalls anders. So eine Suche im Umkreis von 30 km gleicht der Nadel im Heuhaufen. Werden doch keine gesucht?

Gleich die erste Stimme, die wir erreichen, weiß mehr. Die freundliche Spargelbäuerin lacht, sagt, sie hätte ihre polnischen Helfer schon seit ein paar Tagen auf dem Hof. Die wären problemlos eingereist. Zwar würde sie nicht unter Folie anbauen, also die Ernte frühestens in zwei, drei Wochen beginnen, aber derweil gäbe es auch noch anderes zu tun, man sei halt froh, dass die bewährte Truppe da wäre.

Viel problematischer sei doch die Wiedereinreise nach Polen, da könnte es sein, dass alle erst einmal in Quarantäne müssten. Aber ihre Leute wären in Polen arbeitslos, da hätte man es halt riskiert. Den Helfern aus Ungarn und Rumänien auf anderen Höfen gehe es da ähnlich.

Und im Gespräch werden weitere Vorurteile ausgeräumt: „Nein, Spargelstechen kann nicht jeder. Das muss man lernen.“ Aber darum hätte man sich bisher kaum kümmern müssen, denn immer mal wurden in den letzten Jahrzehnten einfach neue Arbeitskräfte aus Polen mitgebracht und zwischen den Spargelreihen hätten die es sich schon gegenseitig beigebracht.

„Hörst du den Spargel singen?“, fragten Braunschweiger Großeltern ihre Kinder beim Spaziergang durch die Heidelandschaft, vorbei am Spargelfeld. Die Kleinen lauschten, hörten aber nichts und Großmutter lachte, zeigte auf die feinen Risse auf dem Hügel unter dem der Spargel wächst, der da durch die Decke ans Licht will. Und weil kein Bauer in der Nähe, durften die kleinen Finger mal ein bisschen graben und fühlten unter dem Riss tatsächlich die feine Spargelstange.

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Man könnte heute sogar sagen, die Not der Spargelbauer ist eine gesamtgesellschaftliche, weil auch in den bäuerlichen Lebensgemeinschaften die Weitergabe von Wissen über Generationen längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Der eigentliche Jungbauer verdient längst bei Volkswagen ein Vielfaches für deutlich weniger harte Arbeit und ist mit dem Hof der Familie nicht mehr auf die gleiche Weise verbunden, wie Generationen vor ihm. Aber das ist schon die nächste Geschichte.

Ein weiteres Gespräch mit einem Landwirt am Stadtrand führt zunächst zur Auskunft, dass der gar keinen Spargel anbaue, dafür aber Erdbeeren. Und auch hier wäre das Problem Unwissen. Man will es als Laie oder Kleingärtner kaum glauben, aber auch die professionelle Erdbeere muss man pflücken können. Wer da unbedarft herangehen würde, der würde mehr Schaden anrichten, als wirklich helfen.

Weitere Stichprobengespräche zeigten nun eines durchgehend: Ein Schmunzeln darüber, wie jemand annehmen könnte, dass Asylbewerber oder gar schulfreie Friday-for-future-Kids auf dem Felde ad hoc aushelfen könnten.

Die Erntehelfer aus Polen beim Spargelbauer um die Ecke sind schon da und machen eben noch ein paar Tage etwas anderes, bevor der Spargel singt.

Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner wird am selben Ort bald biblisch, wenn sie erklärt: „Eine Ernte wartet nicht, eine Ernte, die nicht reingeholt wird, die kann man nicht nachholen. Und das, was nicht gepflanzt wird, kann man dann auch nicht ernten.“

Frei nach Galather 6:1-4 „Denn was der Mensch sät, das wird er ernten.“

Die Ministerin hat jetzt die Aufenthaltsfrist für jene Saisonarbeiter, die schon im Lande sind, von eigentlich bisher maximal 70 auf 115 Tage ausgedehnt.

»Corona-Paket«
Bundesregierung gibt den Bauern schlagartig Vorrang
Die Idee allerdings, Asylbewerbern ohne Arbeitserlaubnis eine solche zu erteilen, scheint mit den Bauern kaum abgesprochen. Hier entsteht vielmehr der Verdacht, dass über Umwege diese bisher aus gutem Grund verweigerte Arbeitserlaubnis generell aufgeweicht werden soll. Denn die gilt ja dann nicht nur explizit nur fürs Spargelstechen oder Erdbeerenpflücken.

Markus Drexler, Sprecher des Bayerischen Bauernverbands weiß mehr, wenn er darauf hinweist, dass das Interesse an dieser schlecht bezahlten wie harten körperlichen Arbeit im Freien im Inland bisher kaum nachgefragt wurde. Diese Tätigkeiten werden von Asylanten ebenso wenig nachgefragt wie von Einheimischen. Der Anreiz, eigenes Geld zu verdienen, fehlt also komplett.

Die ersten Flüchtlingsverbände beschweren sich sogar schon über einen angeblichen Missbrauch. So titelt ProAsyl auf ihrer Internetseite: „Zum Spargel stechen gut genug, aber dann keine Perspektive? So nicht!“

Hier wird dankenswerterweise deutlich, worum es wirklich geht – die Aufhebung der Arbeitsbeschränkungen: Die Landwirtschaftsministerin weiß vom Bauernverbandschef, dass diese Klientel eher weniger geeignet ist, für diese Tätigkeiten, fordert aber dennoch eine Aufhebung der Beschränkungen und beispielsweise die Nichtregierungsorganisation ProAsyl legt nach, worum es wirklich geht: „PRO ASYL unterstützt eine Aufhebung von Arbeitsverboten, diese müssen auch nach Corona fortbestehen.“

Anwerbung von gering Qualifizierten
CDU-Abgeordneter will Dienstpflicht für Zuwanderer  
Währenddessen werden im Windschatten der Coronakrise Zuwanderer Flugzeug für Flugzeug eingeflogen, dass sich Flughafenanwohner neuerdings über die vielen Busse voller südländisch aussehenden Menschen wundern und ein Leipziger berichtet uns zudem lachend am Telefon, dass die eingeladenen Freundinnen aus Brasilien vor Tagen einreisen wollten, zunächst abgewiesen worden seien, dann aber den Tipp bekommen hätten, einfach Asyl zu beantragen und schwupps waren sie eingereist (werden wir hier noch genauer nachprüfen). Und das sicher nicht zum Spargelstechen morgens um halb sechs in Deutschland.

Zum Abschluss noch ein Kinderwissen aus der Region: Angeblich soll der Spargel aus Braunschweig unfreiwillig auch tausende Meter unter dem Meer lagern. Die untergegangene Titanic hätte welchen in Dosen dabei gehabt. Die Dose für die Konservierung von Spargel wurde nämlich hier in der Region gleich mit erfunden, Fabriken entstanden und schufen rund um das weiße Gold neue Arbeitsplätze in der Verpackungsindustrie. Heute verweist dort ein Schild auf einen türkischen Großhändler. Ob der auch Spargel im Angebot hat?

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