Tichys Einblick
Staatsangehörigkeitsrecht

Die Grünen und ihre verquere Forderung nach forcierter Einbürgerung

Der Vorstoß der Grünen für eine noch schnellere Einbürgerung mit Rechtsanspruch und unbegrenzter Hinnahme von Mehrfachstaatsbürgerschaften ist unvernünftig. Aber nicht vergessen: Hier handelt es sich vermutlich um den kommenden Koalitionspartner der Union.

imago images / Noah Wedel

Nach Robert Habecks (grüner Co-Parteichef) Vorstoß Richtung Wahlalterabsenkung noch vor der nächsten Bundestagswahl, jetzt der nächste Vorstoß – dieses Mal von der Bundestagsfraktion der Grünen, welche die deutsche Staatsangehörigkeit „wieder zur Grundlage eines gleichberechtigten Zusammenlebens machen“ wollen. Dazu stellte die Bundestagsfraktion der Grünen am 28. Mai 2020 einen Antrag, der sich, so das Papier, „gegen die Aushöhlung wichtiger Grundprinzipien des Staatsangehörigkeitsrechts durch die Bundesregierung“ stellen. Die Grünen treiben auch im Windschatten der Corona-Krise ihre Agenda fleißig voran, während sich der kümmerliche Rest an Opposition in Deutschland gerade selbst zerfleischt: Die Linke gelähmt, die FDP abgetaucht und die AfD in einem Tief auch dank einer inneren Aufräumaktion zur Unzeit.

Zunächst mal ist der Vorstoß geschickt verpackt, denn er will über das ideologische Einverständnis zwischen Merkel-Regierung und Grüne hinweg so etwas wie Opposition suggerieren, die es faktisch tatsächlich bei den Grünen nicht mehr gibt. Nein: Die es gar nicht mehr braucht. Längst werden sie als zukünftiger Bundeskoalitionär gehandelt und entsprechend aufgebaut, inklusive bevorzugter Aufmerksamkeit in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Allenfalls die Gefahr einer absoluten Unionsmehrheit steht der kommenden Regierungsbeteiligung wohl noch im Wege. Aber so tollkühn, so eine Erwartungshaltung zum Motor des politischen Handelns zu machen, ist wohl selbst die Union noch nicht.

Die Grünen berufen sich in besagtem Antrag auf das nunmehr zwanzig Jahre alte neue deutsche Staatsangehörigkeitsrecht. Und um das notwendige Drama zu erzeugen, das es braucht, in der dafür so günstigen Corona-Krise Hektik und Handlungsbedarf zu erzeugen, wird eine „schleichende Aushöhlung“ des Zugangs zum Staatsangehörigkeitsrecht behauptet. Gefährdet sei der Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit für Menschen mit Einwanderungsgeschichte.

Es geht den Grünen nicht schnell genug. Klar, wer nicht mehr in Generationen denkt,  und wem das generative Denken abhanden gekommen ist, der hat nur seine eigene Lebensspanne als Maß – also ist Tempo angesagt, will man die Früchte der vorangetriebenen Veränderungen noch selbst ernten.

Das Staatsangehörigkeitsrecht bezeichnet die Zuordnung eines Menschen zu einem Staat – alle Rechten und Pflichten eingeschlossen. Dieses Recht unterscheidet sich auf nationaler Ebene, unterliegt allerdings dem Völkerrecht.

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Jetzt berufen sich die Grünen in ihrem Antrag auf die Modernisierung dieses Staatsangehörigkeitsrechts vom 01.01.2000. Und sie bewerben ihren Antrag auf ihrer Webseite ausgerechnet mit der Abbildung einer Migrantin, die zwei Pässe in die Kamera hält. Damit ignorieren sie allerdings bereits, was das Bundesinnenministerium auf der Informationsseite zum modernisierten Staatsangehörigkeitsrecht ausdrücklich erinnert: „In Deutschland gilt grundsätzlich das Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatlichkeit.“

Es geht den Grünen also um eine unter Zeitdruck verfassten, um eine geradezu panische Vermeidung einer Rückkehr der Bundesregierung zum Recht – diese darf und soll nicht ausscheren, auch nicht unter einem Corona-Krisenaufwind einer nunmehr vierzigprozentigen Zustimmung für die Union laut aktuellen Umfragen.

Gesetz ist: Ab 2000 wurde neben dem bisher allein geltenden Abstammungsprinzip (ius sanguinis) das Geburtsortsprinzip (ius soli) eingeführt. Danach, so heißt es da, können unter bestimmten Voraussetzungen auch in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben.

Und weiter heißt es beim Innenministerium: „Damit war zunächst die Verpflichtung verbunden, sich mit Vollendung des 18. Lebensjahres zwischen der deutschen und ausländischen Staatsangehörigkeit der Eltern zu entscheiden (Optionspflicht).“ Um überhaupt Deutscher werden zu können, waren bis dahin 15 Jahre Aufenthalt notwendig, die nun auf acht Jahre verkürzt wurden. Was allerdings lange noch nicht heißt, dass dieses Angebot nach acht Jahren ein Automatismus wäre. Das Gegenteil ist sogar der Fall.

Und was sagen die Grünen dazu in ihrem Antrag mitten in der Corona-Krise? Da geht es zu wie auf dem Basar: Nein, nicht 15, nein, nicht acht, es sollen jetzt nur noch fünf Jahre sein! Und dann soll es auch keine Option mehr geben, sondern gleich ein Anrecht, Deutscher zu sein.

Ein Verständnis von Staat und Gesellschaft ist das allerdings, als befänden wir uns am Rande einer weißen Landkarte und die Planwagen-Fahrer warteten nur auf den Startschuss, sich ihren Flecken Land zu erobern um anschließend alle gemeinsam einen Zaun um eine Nation zu ziehen, deren Staatsangehörige sie dann automatisch sind. Groteske Vorstellungen von Deutschland, als hätten die Grünen ihren Antrag parallel zu einem Siedler-Computerspiel in die Tasten gehackt.

Antrag um Antrag, Groteske um Groteske frei nach dem Motto: Stetes Wasser höhlt den Stein.

Und weil ein richtig übler Anwurf bei dem Thema offenbar noch dazugehören muss, selbst dann noch, wenn er sich an die sowieso gefügige Merkel-Regierung richtet – sicher ist sicher – muss die bewährte Nazi-Keule natürlich ebenfalls geschwungen werden. Und wie macht man das? Indem die grünen Antragsteller gleich mal ein NS-Unrecht in Sachen Staatsangehörigkeitsrecht mit ins Spiel bringen, das im Rahmen einer „umfassenden gesetzlichen Wiedergutmachung“ einzubeziehen sei. Jetzt also wird gleich noch an ein deutsches Kolonialunrecht erinnert, schaden kann es ja nicht: „Zur Aufarbeitung des kolonialen Unrechts wollen wir rassistische Ausschlüsse vom Erwerb der Staatsangehörigkeit aus der Vergangenheit und Gegenwart prüfen und beseitigen.“ Was das bedeuten soll, wissen die Grüne wohl selber nicht genau. Meinen sie vielleicht, dass alle Afrikaner, die aktuell auf dem Gebiet ehemaliger deutscher Kolonien leben, nun automatisch Deutsche wären oder ähnliches?

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Wo es zunächst heißt, man wolle wieder zurück zum Recht, als hätte es zwischenzeitlich eine Art konservativer Revolution im Kanzleramt gegeben, oder als stehe diese gerade mit der in Zeiten von Corona anwachsenden Zustimmung zur Union unmittelbar bevor, wird im hinteren Teil des Antrags grüner Tacheles geredet: Natürlich geht es ihnen nicht um eine Restaurierung des Rechts, sondern ganz eigentlich um nicht weniger als eine neuerliche Reform dieses Rechtes: Es geht beispielsweise um eine endgültige Abschaffung des im Gesetz von 2000 festgeschriebenen Optionszwangs im Staatsangehörigkeitsrecht:

„Den Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht, nach welchem sich junge Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft im Alter zwischen 18 und 23 Jahren zwischen dem deutschen und dem ausländischen Pass entscheiden müssen, wollen wir vollständig abschaffen.“

Auch klar: Der so genannte „Leitkultur-Paragraf“ aus dem Sommer 2019 soll gleich ersatzlos gestrichen werden. Der wäre doch sowieso nur „unter großen Protesten der Zivilgesellschaft“ durchgesetzt worden. Aber was soll das sein? Unterliegt das Recht nun schon einer grün autorisierten außerparlamentarische Opposition? Und macht man das so: Unliebsame Gesetze unabhängig von ihrer Entstehungsphase so lange torpedieren, bis sie wieder fallen? In etwa so, wie es die Bundeskanzlerin mittlerweile mit unliebsamen Wahlergebnissen hält? Hier kommt zusammen, was zusammen gehört.

Und weiter ist bei den Grünen nachzulesen, was sie von der gesetzlich verankerten „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ halten: „Eine solche Generalklausel mutet nicht nur nationalistisch und rückwärtsgewandt an, sie ist auch ein praktisches Einfallstor für Behördenwillkür.“ Na, da passt es doch gut zusammen, dass in Berlin gerade der Kampf gegen eine behauptete Antidiskriminierung von Migranten durch Beamte eben diese in eine umgekehrte Beweispflicht bringt.

Und weil die Grünen am Ende wohl selbst merkten, was sie sich da für einen Unsinn zusammengetackert haben, muss eine Eskalation der Forderung den Abschluss ihres Antrages bilden, wenn es wieder auf der Internetseite zur bisherigen Rechtslage (die laut Grünen dringend ein weiteres Mal reformbedürftig sei) heißt:

„Bis ins Mark erschüttert werden dadurch nicht nur die Menschen mit Einwanderungsgeschichte, sondern auch unsere Demokratie.“

Verquere grüne Dialektik wie aus dem Bilderbuch: Ideologisch, möglicherweise gar verfassungsgefährdend, aber auf jeden Fall spalterisch und dem inneren Frieden der Gesellschaft zutiefst abträglich. Alle, die sich von diesem grünen Versuch in Zeiten der Corona-Krise vor sich hergetrieben fühlen, sind jetzt gut beraten, jede Beschäftigung mit diesem gefährlichen Unsinn ad acta zu legen.

Irgendwann oder auch gar nicht wird es einmal Zeit sein, darüber zu streiten. Jetzt ist diese Zeit jedenfalls nicht gekommen. Wer etwas anderes behauptet, wie die Grünen mit diesem Antrag, meint es nicht gut mit dieser Gesellschaft und diesem Deutschland. Der ist nicht daran interessiert um Lösungen zu ringen, der will nur auf Teufel komm raus zum eigenen Vorteil seine Ideologie verfolgen – gegen alle Vernunft. Und letztlich gegen den Staat, das Volk bzw. die Bevölkerung.

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