Tichys Einblick
BAMF sagt nicht, was es weiß

Die Bundesregierung hält Erkenntnisse über Migrationsrouten geheim

Die Bundesregierung sagt, dass Daten aus der Befragung von Asylzuwanderern die Sicherheit des Landes betreffen und daher nicht mitgeteilt werden könnten. Das Motiv dahinter bleibt unausgesprochen.

© Getty Images

Die Bundesregierung veröffentlichte ohne Datum unter „Fakten zur Regierungspolitik“ die Nachricht: „Schutz der EU-Außengrenzen kommt voran.“ Da gibt es Zwischenüberschriften wie „Wir haben schon viel erreicht“ und „Merkel: Eine europäische Lösung nützt Deutschland.“

Die Bundeskanzlerin sagte allerdings schon vor Jahren bei Anne Will etwas vollkommen anderes auf die Frage, ob es einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge geben werde: „Wie soll das funktionieren? Sie können die Grenzen nicht schließen. (…) Es gibt diesen Aufnahmestopp nicht.“ Nun war von „schließen“ gar nicht die Rede – sichern, kontrollieren und im Zweifel abweisen von illegal Einreisenden ist nicht das gleiche wie Grenzen schließen. Und wenn Merkel sagt, man könne Grenzen nicht schließen, als Argument für ungeregelte Zuwanderung, erteilt sie Grenzen per se eine Absage.

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TE will 2021 noch einmal genau wissen, über welche Routen illegale Migranten („illegal“ sind sie auch laut Frontex-Bericht) nach Deutschland kommen. Die Frage dahinter: Warum werden die wichtigsten Zuwanderungstore nicht hinreichend geschützt im Sinne der Aussage der Bundesregierung, der Schutz der EU-Außengrenzen käme voran? Eine flexible Reaktion wäre hier ja die adäquate Antwort. Vorausgesetzt natürlich, die EU-Grenzer von Frontex würden nicht als Asylantragannahmestellen missbraucht.

Mittelmeer, Balkanroute, per Flugzeug – woher kommen die Illegalen und was sind ihre Bewegungsprofile vom Herkunftsland über etliche Landesgrenzen hinweg in die deutschen Sozialsysteme? Man kann wohl annehmen, dass es entsprechende Analysen von diversen Behörden und Diensten geben sollte.

Also fragt TE zunächst beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nach. Das Bundesamt führt schließlich die Asylverfahren durch. Dort sollte man wissen, woher die Migranten kommen und auf welchen Wegen sie wandern.

Die Antwort einer Bamf-Pressesprecherin aus Nürnberg ist ernüchternd:

„Das Bundesamt führt das Asylverfahren durch. Antragstellung, persönliche Anhörung und die Entscheidung ob Schutz zu gewähren oder der Asylantrag abzulehnen ist, erfolgen beim Bundesamt. In diesem Zusammenhang erfragt das Bundesamt auch den Reiseweg von Asylsuchenden. Die auf diese Weise gewonnenen Informationen sind jedoch nicht repräsentativ. Sie leisten aber neben vielen anderen Informationsquellen einen ergänzenden Beitrag zur Analyse und Bewertung der Migrationslage und für die Bekämpfung der illegalen Migration. Die Daten aus der so genannten Reisewegbefragung werden nur für den Dienstgebrauch gesammelt und nicht veröffentlicht.“

Warum sind sie nicht repräsentativ? Zum einen selbstverständlich, weil sie freiwillig erfolgen und diese Aussagen naturgemäß nur schwer überprüft werden können. Und zum anderen, weil auch die verhältnismäßig geringe Zahl der Handyauswertungen letztlich ebenfalls auf diesem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen – diese Überprüfungen werden von autorisierten Personen durchgeführt, wenn aus Mangel an Ausweispapieren ein Identitätsnachweis fehlt. Also eigentlich eine positive Gelegenheit für jeden Asylbewerber, den Wahrheitsgehalt seiner Angaben zu verifzieren, so er keine Ausweispapiere vorlegen kann.

Das Interesse eines Nachweises der Identität über diesen Weg ist aber eher gering, vermutlich weil jemand ohne Ausweis nicht abgeschoben werden kann. Nichtregierungsorganisationen (NGO) haben im Mai 2020 beim Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte einen Bericht eingereicht, der im Zusammenhang mit diesen Handyauslesungen von „modernen Formen von rassistischer Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz“ spricht.

Bleibt die Frage, warum die Auswertungen der „Reisewegbefragung“ nur für den Dienstgebrauch gesammelt und nicht veröffentlicht werden. Was ist da los? Auf Nachfrage verweist eine Sprecherin des Bamf noch einmal auf einen schon in der Erstantwort mitgelieferten Link zu einer Antwort auf eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung vom 2. April 2020.

Kleine Anfrage? Die erste Ahnung bestätigt sich sogleich, Fragenstellerin ist auch hier die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke). Man mag politisch zu ihr stehen wie man will, es gibt kein politische Lager, dass sich nicht immer wieder einmal aus diesen zahlreichen Kleinen Anfragen aus dem Büro Jelpke bedient. So betrachtet leisten Jelpke und ihre Kleine-Anfragen-Fabrik wirklich Erstaunliches. Was für ein produktiver Dorn das ist!

Und das gilt noch einmal im besonderen Maße für diese spezielle Kleine Anfrage. Ulla Jelpke fragte die Bundesregierung – wie TE jetzt das Bamf – nach Erkenntnissen aus den Reisewegbefragungen. Und Jelpke erhält von der Bundesregierung folgende Antwort:

„Soweit parlamentarische Anfragen Umstände betreffen, die aus Gründen des Staatswohls geheimhaltungsbedürftig sind, hat die Bundesregierung zu prüfen, ob und auf welche Weise die Geheimhaltungsbedürftigkeit mit dem parlamentarischen Informationsanspruch in Einklang gebracht werden kann (BVerfGE 124, 161 [189]).“

Die Bundesregierung präzisiert gegenüber Jelpke:

„Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die Frage 7 aus Geheimhaltungsgründen ganz oder teilweise nicht in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil beantwortet werden können (…)  Die erbetenen Auskünfte sind geheimhaltungsbedürftig. Die Daten aus der Reisewegbefragung (RWB) werden nur für den Dienstgebrauch gesammelt und nicht veröffentlicht, da aus diesen Auswertungen Schlussfolgerungen gezogen werden können, die Einfluss auf die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland haben. Hintergrund ist, dass die RWB-Daten – auch wenn sie auf grds. nicht ohne weiteres nachprüfbaren Selbstauskünften der Befragten beruhen – u. a. als Grundlage für die Berichterstattung sicherheitsrelevanter Frühwarnsysteme genutzt werden.“

Die freiwilligen Antworten auf Reisewegbefragungen sind also laut Bundesregierung einerseits nicht aussagefähig, aber nichtsdestotrotz sind sie dann „Grundlage für die Berichterstattung sicherheitsrelevanter Frühwarnsysteme“? Arbeitet man so? Ist das ein weiterer gewichtiger Hinweis darauf, warum diese Massenzuwanderung einfach nicht gestoppt wird/werden kann/werden soll?

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Aber viel fragwürdiger ist hier die Geheimhaltung selbst. Dafür könnte es im Wesentlichen zwei Hauptgründe geben: Zunächst könnte das Motiv sein, weitere illegale Einreisen zu verhindern, indem man die erfolgreichen Reiserouten möglichst geheimhält. Aber ist die Bundesregierung tatsächlich davon überzeugt, dass sich die erfolgreichen Anreisewege so nicht verbreiten? Also die erfolgreich hier im Sozialsystem Angekommenen gegenüber den Willigen dicht halten? Die Schlepperbanden erhalten ja sowieso ein sofortiges Feedback, wie erfolgreich ihre Wege sind. Der Staat kann vor diesen Kriminellen ja nicht geheimhalten, was diese selbst ausgekundschaftet und effektiv ausgebaut haben. Läge es nicht näher, ihnen auf die Finger zu klopfen und dieses Klopfen öffentlich zu machen als Abschreckung?

Der zweite denkbare Beweggrund für die Geheimhaltung ist deshalb wohl wahrscheinlicher: Es geht darum, die europäische und vor allem die deutsche Öffentlichkeit im Unklaren zu belassen, weil die Bürger nach Bekanntwerden der erfolgreichsten Migrationsrouten in ihre Sozialsysteme politisch unangenehme Schlüsse ziehen und Forderungen stellen könnten. Zum Beispiel: Wenn ihr wisst, wie sie kommen, dann verhindert sofort und effektiv, dass sie über diese Wege kommen können.

Oder will man die besagten Haupteinreisewege gar nicht effektiv schützen?

Deshalb hat TE jetzt über eine Reihe weiterer Kanäle recherchiert, was die Bundesregierung hier vor ihren Bürgern geheimhalten will. Wer wissen will, wo genau aktuell die illegale Migration nach Deutschland rund um die West-, Süd- und Ostgrenze der EU stattfindet, muss dafür nur die passenden Puzzleteile zusammenfügen. Dankenswerterweise verweist eine Pressesprecherin des Bamf im Anschluss an die Information über die Geheimhaltung an weitere Ansprechpartner, die TE sogleich kontaktiert und befragt hat. Wenn das Puzzle zusammengefügt ist, erhalten sie hier in einem Folgebericht mindestens Teile jene Informationen, die die Bundesregierung aus unbekannten Gründen lieber geheimhalten möchte.

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