Besser kann man wohl kaum zum Ausdruck bringen, dass Deutschland nicht nur der Zahlmeister, sondern auch noch das Tollhaus der Welt geworden ist: Gerade wurde einer der berüchtigsten Drogendealer aller Zeiten aus einer US-amerikanischen Zeugenschutzhaft nach Deutschland ausgeflogen, um hier seinen Lebensabend zu verbringen, wie einige deutsche Zeitungen es schon nennen.
Und da klingt das dann von Spiegel bis FAZ so, als wäre dieser Carlos Lehder Rivas eine Kultfigur aus Hollywood-Filmen wie „Blow“ mit Johnny Depp oder Weltbestseller-Serien wie „Narcos“ und nicht etwa ein tatsächlich tonnenschwerer Kokain-Dealer und einer der mutmaßlichen Auftraggeber für Dutzende von Morden in den 1980er Jahren. Aber eben auch einer, der Journalisten mit dem Tod bedroht hatte.
TE spricht dazu mit einem hohen Berliner Juristen, der darüber den Kopf schüttelt und dazu nur das Sarrazin-Buch zitiert: „Deutschland schafft sich ab.“ Er glaubt nicht, dass man ein Interview mit Lehder bekommen könnte, da wären sicher Spiegel-TV oder ähnliche Formate viel eher dran.
Der ehemalige Partner von Pablo Escobar, des berüchtigten, später von der Polizei erschossenen Chefs des kolumbianischen Drogen-Kartells, ist 71-jährig am Dienstag mit vorläufigem deutschem Pass aus den USA nach Berlin geflogen, mutmaßlich um sich hier zunächst in ärztliche Behandlung zu begeben.
Gelegenheit, die Lebensgeschichte dieses Sohnes eines deutschen Vaters einmal in Kurzfassung nachzuerzählen. Neben Hollywod-Erzeugnissen wurden in jüngster Zeit etliche Dokumentationen gedreht, die sich mit dem Leben des Schwerkriminellen beschäftigen. Eines Mannes, der ebenso wie Escobar oder auch der fiktive Charakter Tony Montana (Al Pacino) aus dem Gangsterfilm „Scarface“ zu den Vorbildern wohl hunderttausender krimineller Dealer weltweit gehören von Miami bis hinüber zum Berliner Görlitzer Park.
Carlos Lehder Rivas war auch ein großer Hitlerverehrer. Eine erfolglose Razzia, die zu keiner Festnahme geführt hatte, brachte einmal eine Reihe von Hitlerbildern, -büchern und -figuren zum Vorschein, welche der Drogenboss um sich versammelt hatte. In der weltweit erfolgreichen TV-Serie „Narcos“ trägt die Figur des Carlos Lehder eine gigantische Hakenkreuz-Tätowierung auf dem Oberarm. Ein gut aussehender charismatischer wie auch verrückter Charakter. Und nach übereinstimmender Aussage von Zeitgenossen wie auch DEA-Agenten dennoch ein besonders intelligenter wie geschäftstüchtiger Krimineller. Ein Pionier in seinem kriminellen Geschäft, vergleichbar mit den Pionieren aus Silicon-Valley, wie es eine Dokumentation über den Drogenboss fast ehrfürchtig beschreibt.
Die Grundidee seines Erfolgs basiert auf der Idee, zum Kokainschmuggel in die USA eine ganze Flotte von Kleinflugzeugen zu nutzen und diese von einer eigenen Bahamas-Insel 350 Kilometer vor Florida aus nachts in die USA fliegen zu lassen. So soll Carlos Lehder Riva es geschafft haben, in 24 Monaten 18 Tonnen Kokain in die USA eingeflogen zu haben. Zeitweilig lieferte das Imperium des Drogenbosses so 80 Prozent des gesamten Kokains, das in den Staaten auf der Straße gehandelt wurde. Von den Landebahnen seiner Bahamas-Insel starten schon mal 15 Flugzeuge in 15 Minuten. Die Inselbewohner hatte er vertrieben, indem er u.a. finster aussehende schwer bewaffnete deutsche Söldner auf der Insel patrouillieren ließ.
Zusätzlich zu seinem enormen kriminellen Geschick hatte Lehder auch eine politische Komponente in sein Geschäftsmodell eingearbeitet: Die USA waren Imperialisten und der Drogenschmuggel nur ein Angriff auf die Achillesferse einer dekadenten, dem militärisch-imperialistischen Komplex hörigen US-amerikanischen Gesellschaft, wie er es einmal mitten im Urwald in einem Interview äußerte.
Lehder wie Escobar hatten in Kolumbien hauseigene politische Parteien gegründet. Ersterer sogar eine eigene Zeitung gekauft. So erlangten beide zeitweilig Volksheldenstatus. Lehder ließ einmal Flyer in eigener Sache über Nassau abwerfen, an jedem einzelnen Flyer war eine Banknote angeheftet – währenddessen fand die kolumbianische Polizei fast ein Dutzend Personen, die mutmaßlich vom Kartell umgebracht und in Mülltonnen gestopft wurden.
Lehder kehrte nach fünf Jahren auf der Insel nach Kolumbien zurück. Währendessen waren die Gewaltverbrechen und die Beschaffungskriminalität in den USA in wenigen Jahren stark angestiegen. Lehder wurde in der Reagan-Ära Staatsfeind Nr.1 und tauchte lange Zeit in den Urwald unter, um von dort aus kriminell zu operieren.
Im Januar 1981 begannen die illegalen Transporte mit Kleinstflugzeugen, am 4. Februar 1987 wurde der Drogendealer in Kolumbien bei einer Razzia festgenommen, an die USA ausgeliefert und zu einer lebenslangen Haftstrafe plus 135 Jahren verurteilt.
Warum er jetzt plötzlich in Deutschland auftaucht? Weil ausgerechnet die USA schon bald nach Lehders Festnahme ihren ehemaligen Staatsfeind zum politischen Kronzeugen gegen den verhassten Panama-Despoten Noriega gemacht hatten: Denn als sich Lehder anbot, gegen Noriega über dessen Unterstützung und Beteiligung am Drogenhandel auszusagen, wurde seine Strafe zunächst auf 55 Jahre reduziert. Schon wenige Jahre nach der Inhaftierung verschwand er dann ganz aus dem Gefängnis in ein Zeugenschutzprogramm, um nun aus dem Nirgendwo mit Legendenstatus am vergangenen Dienstag in Berlin zu landen. Nein, nicht per Kleinflugzeug, sondern ganz legal von der deutsche Regierung eingeladen.
Mal schauen, was Fernsehproduzenten und Co nun daraus machen, den Kultstatus von Carlos Lehder Rivas noch weiter zu vergrößern. Was Stefan Aust mit seinem später von Bernd Eichinger verfilmten Buch „Der-RAF-Komplex“ gelungen ist – ein Vorbild für etliche Linksradikale zu produzieren – sollte doch hier ein Leichtes sein, wenn sich ab morgen die Dealer im Görlitzer Park auf diesen coolen Kerl berufen, der zudem auch noch gleich ums Ecks wohnen soll.