Erinnert sich noch jemand an die Hoffnungen des „arabischen Frühlings“? Vor zehn Jahren war das. So lange muss nun eine junge Ägypterin ins Gefängnis. Was Frauen im zehnten Jubiläumsjahr dieses Umsturzes hinnehmen müssen, zeigt das ganze Ausmaß des Scheiterns dieses verniedlichend auch „Facebook-Revolution“ genannten Umsturzes.
Haneen Hossam war damals zehn Jahre alt. Bis vor einigen Tagen war sie eine bei Millionen Menschen beliebte Influencerin auf verschiedenen populären Social-Media-Kanälen. Hossam soll jetzt für die nächsten zehn Jahre ins Gefängnis. Und wer den Grund dafür erfahren will, der spürt die Distanz zu unseren westlichen Werten auf besonders schmerzhafte Weise. Die NZZ fasst Hossams Vergehen zusammen:
Die Begründung zur Verurteilung der Influencerinnen gesprochen vom zuständigen Richter Mohamed Ahmad Al-Guindy (auf Basis einer Übersetzung von n-tv):
Die Frauen würden Ausschweifungen nutzen, um die größte Zahl an Followern zu bekommen. Ihr Ziel sei dabei der Zusammenbruch der Werte der ägyptischen Gesellschaft. Die sozialen Medien in denen Hossam und weitere Frauen eine breite Öffentlichkeit hätten, würde die Kinder Ägyptens und ihre Werte angreifen. Diese staatlich instrumentalisierte Unterdrückung individueller Freiheits- und Gleichheitsrechte von Frauen in Ägypten basiert auf einem drei Jahren alten, also nachrevolutionären Gummiparagrafen, einem schwammigem Gesetz, das mit Begriffen operiert, wie „Gefährdung der Familie.“
Es sind nach westlichen Maßstäben geradezu biedere, züchtige Aufnahmen, wie sie in jeder Nachmittagssoap gesendet werden könnten, aber in Ägypten werden sie den angeklagten Frauen als Prostitution ausgelegt. Sind die Abgebildeten minderjährig wie Haneen Hossam, gilt das sogar als Menschenhandel und Missbrauch.
Zum Verhängnis wurde Hossam letztlich, dass sie ein Angebot der chinesischen Plattform Likee annahm, welche die junge Ägypterin engagierten um weitere Influencer-Talente in Ägypten anzuwerben. Im April vor einem Jahr rief Hossam also wunschgemäß in einem Video Frauen über 18 Jahren auf, sich zu bewerben.
Nach der Festnahme Hossam wurden auch gegen mehrere Likee-Mitarbeiter Verfahren eröffnet, unter anderem wegen Gründung einer kriminellen Organisation.
Weltweit gibt es tausende solcher Vorbilder – Frauen, die auch auf Werbeverträge hoffen mit Unternehmen, die ihrerseits den wachsenden Bekanntheitsgrad der Mädchen gerne mitnehmen. Eine weitere Kollegin von Hossam soll für sechs Jahre in Haft.
Die Weltöffentlichkeit lernt also, dass institutionalisierte Unterdrückung und gesellschaftliche Diskriminierung der Frau fester Bestandteil des Lebens in Ägypten bleibt. Jedenfalls muss zu diesem Schluss kommen, wer das Gesamtschicksal der Frauen wie auch das Einzelschicksal von Haneen Hossam betrachtet. Laut einer Uno-Studie aus dem Jahr 2013 wurden mehr als 99 Prozent aller Ägypterinnen mindestens einmal Opfer von Belästigungen – „also quasi alle“, fasst der Spiegel die Gefährdungslage zusammen. „Kairo ist der Thomson Reuters Foundation zufolge derzeit die gefährlichste Megastadt der Welt für Frauen.“
Die Zeitung findet es besonders zynisch, dass Präsident Abdel Fattah el-Sisi das Jahr 2017 zum „Jahr der ägyptischen Frau“ erklärt hatte: „Das ist in vielerlei Hinsicht zynisch. Oft bleibt es nicht bei lautem Zungenschnalzen und Zischeln, vulgären Anmachen oder Grapschereien. Die Gruppen-Vergewaltigungen auf dem Tahrir-Platz während der Demonstrationen für die Absetzung des Autokraten Hosni Mubarak und seines islamistischen Nachfolgers Mohamed Morsi lösten weltweit Entsetzen aus – und waren doch nur die Spitze des Eisberges.“
Um so erstaunlicher, dass sich in diesem frauenfeindlichen Umfeld junge Frauen wie Haneen Hossam eine Nische gesucht und gefunden haben, in der sie sich selbst verwirklichen und von der täglichen Geringschätzung absetzen konnten.
Die Süddeutsche Zeitung empört sich über Ayaan Hirsi Ali
Die vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin, Frauenrechtlerin und Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali musste diese bestürzende Erfahrung gerade wieder mit einer deutschen Zeitung machen: Die Süddeutsche Zeitung rezensierte ihr neues Buch „Beute“ und wirft dabei der Autorin ihre Kritik an islamisch geprägten Ländern vor, denn damit „verklärt sie die westliche Gesellschaft.“
Die Verachtung der SZ-Redakteurin gegenüber den freiheitlichen Errungenschaften des Westens muss groß sein, wenn sie Hirsi Ali ihre Begeisterung für den Westen als „manchmal komisch“ ankreidet. Na klar, wer in Europa immer wieder eine Unterdrückung der Frau durch weiße Männer anprangert, der verteidigt mit allen Mitteln seine Narrative.
Und weil das alles so wenig und niemanden mehr überzeugen kann, schießt die Süddeutschen Zeitung zuletzt noch mit der dicksten denkbaren Kanone gegen die unermüdliche Frauenrechtlerin und Islamkritikerin: „Das Schlimmste an „Beute“ ist, dass es so frauenfeindlich ist.“
Mit diesem Satz hat die Zeitung eine rote Linie überschritten: Wo der Aufschrei gegen die Unterdrückung von Frauen in islamisch geprägten Gesellschaften besonders laut sein muss, wo junge Frauen mehrjährige Gefängnisstrafen für westliches Verhalten erleiden, duckt sich ein deutsches – früher Leitmedium genanntes – Blatt weg und beleidigt lieber eine mutige Autorin, die schon seit Jahren unter Polizeischutz stehen muss.
Ayaan Hirsi Ali wurde im Alter von fünf Jahren auf Betreiben ihrer Großmutter beschnitten. Ein Koranlehrer brach dem Mädchen bei einer Züchtigung den Schädel.
Ayaan Hirsi Ali kennt die Welt des radikalen Islam aus der Innenperspektive und aus einer viele Jahre andauernden Leidensphase, aber Sonja Zekri – so heißt die Autorin der Süddeutschen Zeitung – wirft Ali jetzt Frauenfeindlichkeit vor. Zekri berichtete ein paar Jahre lang als Korrespondentin aus Ägypten. Und vor ein paar Wochen schrieb sie über Palästinenser in Berlin: „Die Sonnenallee heißt in Berlin auch Scharia al-Arab, Straße der Araber. Ein Besuch bei Halal-Metzgern, Konditoren und Schülern, die der Israel-Gaza-Konflikt umtreibt.“