Tichys Einblick
Hauptsache gehört werden

Der politische Spagat des Christian Wulff

Christdemokrat Wulff versucht einen Spagat, wenn er einerseits auf Göring-Eckardt macht und anderseits noch vor Monaten und im Zusammenhang mit Migration eine „konsequente Law-and-Order-Politik bei innerer Sicherheit, Abschiebungen und in der Justiz“ einforderte.

imago images / localpic

Der Niedersachse, der als Bundespräsident so viele Probleme nicht nur mit seinem Amt, sondern auch privat hatte, ist in Wahrheit immer Präsident geblieben. Aber nicht mehr von Deutschland, sondern als Präsident des Deutschen Chorverbandes. Nun dürfte man annehmen, dass jemand in so einer Position vielleicht Sängerfeste planen und organisieren muss oder bei Gelegenheit das deutsche Liedgut öffentlich loben darf. Ja, man darf annehmen, dass er sogar selbst einmal seine Singstimme erhebt. Möglicherweise hat Christian Wulff einen samtweichen Bariton, der dem Gehörgang schmeichelt.

Für den zehnten Bundespräsidenten (mit der kürzesten Amtszeit aller Kollegen) ist sein neues Amt als Sängerkönig allerdings mehr als nur eine Stimmbandmassage, wenn er diese Tätigkeit so begründet: Ich bin Präsident des Deutschen Chorverbandes geworden, weil „Chöre und Vereine geben Rückhalt und schaffen Heimat. Heimat und Heimatgefühl entstehen auch nicht durch die Gründung von Heimatministerien, sondern vor Ort!“ Also beispielsweise in Hannover.

Nun ist der Boss der Chöre gerade 60 Jahre alt geworden. Ein Magazin aus seiner Region (Hannover/Braunschweig) ist willens, über den Jubilar zu berichten bzw. mit ihm zu sprechen. Aber auch RTL beschäftigt sich mit Christian Wulff. Die Headline beim Sender klingt allerdings so, als ginge es mehr um einen Nachruf auf Harald Juhnke, der vor kurzem 90 Jahre alt geworden wäre: „Ein Leben auf der Achterbahn“. Ja, das ist natürlich Quatsch. Denn ein Leben auf der Achterbahn meint ja ein wildes Auf und Ab. Sicher gab es das für den Ex-Ministerpräsidenten, den Ex-Bundespräsidenten und den mal als zukünftigen Kanzler gehandelten Christdemokraten. Aber doch wohl eine Achterbahnfahrt auf hohem Niveau, die nie wirklich in der Gosse angekommen ist. Oder jedenfalls nicht dort, wo die normalen Leute wohnen.

Liegt es daran, dass, was Wulff zu sagen hat, leider oft über den Charakter einer Schwätzerei nicht hinaus kommt, wenn er jetzt anlässlich seines 60sten bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung – sicher für viele ein einschneidendes Alter, das symbolisch für den Beginn des Rentnerlebens steht – wenn Wulff jetzt auch gegenüber des besagten kleinen Magazins aus Braunschweig die Migration von hunderttausenden – vorwiegend jungen nicht ausgebildeten – Muslimen nach Deutschland als großen Glücksfall feiert?

Und nicht etwa, weil damit viele neue Sänger in die deutschen Chöre nachrücken – bisher ist es eher ein dissonanter Chor auf dem Sozialamt: eine Bewegung in die Sozialsysteme – nein, Wulff feiert die Massenzuwanderung seiner Kanzlerin, die er einst beerben wollte und von der er dann auf den Präsidentenschleudersitz gesetzt wurde. Wulff feiert diese ungeordnete Völkerwanderung als etwas, das sich zu einem ähnlichen Glücksfall entwickeln werde wie die deutsche Einheit. Wulff macht also Göring-Eckardt, die ähnliches schon vor Jahren geäußert hat, Wulff schiebt sich damit also wie ein vorlauter Fotobomber in diesen grellen Scheinwerferkegel, der die Grünen gerade von Erfolg zu Erfolg ausleuchtet.

Prophetisch singt Wulff weiter im Sound von Göring-Eckardt. „Die Chancen sind groß, dass der Flüchtlingszuzug zu einem Glücksfall der deutschen Geschichte wird.“

Und er lobte schon einmal die fremdländisch klingenden Namen der deutsche Sieger der Leichtathletik-Europameisterschaft in Berlin und kommentierte diese so: „Wir profitieren enorm von Einwanderung.“ Und als Sängerführer erinnerte er auch daran, dass die beliebte Sängerin Helene Fischer bei Geburt Jelena Petrowna Fischer hieß.“ Aha.

Noch vor wenigen Monaten allerdings war das alles für den Achterbahn fahrenden gefallenen Chorpräsidenten gar nicht so eindeutig, wenn er befand: „Deutschland ist ein wundervolles Land, in dem Menschen gerne leben. Wir Deutschen können in 165 Länder der Welt visafrei reisen, auch deshalb, weil man dort weiß, dass wir nach Deutschland zurückkehren.“

Nun ist Christian Wulff aus Hannover allerdings nicht nur Chorpräsident, sondern er darf auch Vorsitzender des Stiftungsrates der Deutschlandstiftung Integration sein. Im Lichte der grünen Überflieger versucht der Christdemokrat Wulff auch hier einen Spagat, obwohl doch gerade er wissen müsste, wohin ihn solche Verrenkungen führen, wenn er einerseits auf Göring-Eckardt macht und anderseits noch vor Monaten und im Zusammenhang mit Migration eine „konsequente Law-and-Order-Politik bei innerer Sicherheit, Abschiebungen und in der Justiz“ einforderte.

Wullfs Niedersächsischenspagat geht so: „Mir geht es um zweierlei: Einerseits die Integration zu fördern, andererseits die Einhaltung unserer Regeln klar einzufordern.“ Oder so: „Der Rechtsstaat muss Zähne zeigen, zugleich aber für Integration offen sein.“

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