Wer die Gelegenheit hatte oder wer in der Zwangslage war, die letzten ein, zwei Wochen einmal nicht rund um die Uhr am aufgeregten inneren oder äußeren Newsdesk zu sitzen, der muss sich die Augen gerieben haben, wie der Autor hier: Nach Myriaden von Abgesängen auf die Kanzlerin in den letzten Jahren nun der Rückzug der alten Dame vom CDU-Parteivorsitz. Aber um auf was zu hoffen? Auf ein frisches Gesicht, in dessen Schatten sich eine sterbenskranke Kanzlerschaft noch ein paar Monate um ihr Ende drücken kann?
Noch irritierender als die Meldung an sich: Tatsächlich wurde mit Friedrich Merz einer aus der Versenkung geholt, der vor rund zehn Jahren aus der Politik und dem Bundestag ausgeschieden war und der anschließend sein politisches Netzwerk in der freien Wirtschaft vergoldete, zuletzt als Aufsichtsratschef und Lobbyist des deutschen Ablegers des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock. Ein global-gigantomaner Vermögensverwalter über den die Zeit-Autorin Heike Buchter (sie schrieb den Bestseller „BlackRock. Eine heimliche Weltmacht greift nach unserem Geld“) sagte: „BlackRock ist ein Unternehmen, das Beteiligungen an so ziemlich allen großen Unternehmen dieser Welt hat. Auf der Kundenliste haben sie die großen Pensionskassen der Welt, Stiftungen, Staatsfonds, sie beraten Zentralbanken, unter anderem auch die Europäische Zentralbank. Sie können nennen, wen oder was Sie wollen, im großen Bereich der Finanzen: BlackRock ist irgendwo mit irgendwas beteiligt.“
Weiter heißt es bei Buchter: „Wir alle müssen uns fragen, wie gut wir darüber Bescheid wissen, was unser Geld anstellt.“ Bei jedem Joghurtkauf sähen wir als Kunden genauer hin und fragten nach, ob die Kühe glücklich gewesen seien. „Bei den Finanzen ist es immer so, dass die Leute sagen: Ja, darum sollen sich die Politiker kümmern.“
Friedrich Merz war Politiker und Merz hat sich gekümmert. Aber nicht als Politiker, sondern als wichtiger Vertreter von BlackRock in Deutschland. Und wer das nun als logische Folge etwa einer Merzschen Brillanz in Wirtschaftsfragen entschuldigt, der irrt. Die Süddeutsche Zeitung wird deutlich: „Viel wertvoller aber sind für Blackrock sein Adressbuch, seine Kontakte in die Politik und in die Chefetagen deutscher Konzerne. Merz sollte als Türöffner fungieren für einen der mächtigsten Finanzkonzerne, die es jemals gab.“
Aber was bedeutet das nun, wenn einer, von dem aus seiner aktiven politischen Zeit den älteren Bundesbürgern im Wesentlichen ein Bierdeckel als Erinnerung geblieben ist, wenn so einer nun antritt, erst Parteivorsitz und dann womöglich das Kanzleramt zu erobern? Wird der Spieß hier einfach umgedreht? War das exzellente Netzwerk in der Politik der Türöffner bei BlackRock, soll nun das exzellente Netzwerk bei BlackRock und Co der Türöffner hin zum Parteivorsitzenden und letztlich ins Kanzleramt werden? Aber was sagt das über diese Ämter, was sagt das über das politische System in Deutschland im Jahre 2018?
Kein Mensch kann aktuell verlässlich sagen, wofür der Widergänger Friedrich Merz heute überhaupt steht. Was ist da passiert in den letzten zehn Jahren mit der politischen Agenda des Sauerländers? Wie konnte der Mann überhaupt wieder auf der Bildfläche erscheinen, der politisch in den letzten Jahren so gut wie keine Statements mehr abgegeben hatte? Der zulässige Schluss: Da wurden im Hintergrund seit Jahren alte Fäden zu Seilen verdickt, die jetzt irgendeine Zugkraft für die lahmende CDU bewirken sollen. Aber was sagen nun alleine diese Hintergrundmauscheleinen über das Vorhaben aus?
Der Ex-Unions-Fraktionschef Merz soll ein hervorragender Wirtschaftsfachmann sein. In einer Umfrage liegt er damit sogar im Ansehen der Bürger vorn, wenn es um das Kandidaten-Karussell für den Parteivorsitz geht. Eine Umfrage, die man getrost als eine der aussagefreisten Erhebungen überhaupt bezeichnen kann. Interessanter wären Fragen gewesen, die einmal ermittelt hätten, was der Bürger überhaupt über den Mann weiß, wenn er denn je etwas von dem Ex-Politiker und späterem BlackRock-Strippenzieher gehört hat. Neben Merz waren Politiker wie Daniel Günther mit in der Umfrage vertreten als Parteivorsitzende. Und der unbekannte Günther bekam noch mehr Zustimmung als die medienaffineren Jens Spahn und Armin Laschet. Wer würde hier in Zweifel ziehen wollen, dass es gerade der fehlende Bekanntheitsgrad Günthers war, der ihn sogar noch ein paar Stellen hinterm Komma an Spahn und Laschet vorbeiziehen ließ, während Merz noch weit an beispielsweise Annegret Kramp-Karrenbauer vorbeirauschen konnte. Ein deutlicheren Beweis für eine Politikerverdrossenheit kann es ja kaum geben.
Nun also einer, der mit seinem exzellenten Adressbuch aus der Wirtschaft die deutsche Politik umkrempeln soll? Aber um was zu tun? Um Deutschland als Wirtschaftsstandort attraktiver zu machen? Um Arbeitslosigkeit abzubauen? Sind das wirklich die gefühlten Probleme unserer Zeit? Oder soll die noch hinter dem Steuerbierdeckel vergilbte merzsche Leitkultur darüber hinwegtäuschen, dass es dem BlackRock-Vertreter für Deutschland nun in der Politik auf einmal um so etwas ginge wie etwa eine Liebe zu Deutschland?
Nein, diese Mogelpackung hat ein Verfallsdatum noch unter dem des passionierten EU-Politikers Martin Schulz, der vorgab, irgendwas aus Liebe zu Deutschland erledigen zu wollen, während er die EU oder wen oder was auch immer meinte. Die offensichtlich in weiten Teilen der CDU in Heilandsgeschwindigkeit populärer promovierte Idee, diesen Merz zum neuen Parteivorsitzenden zu machen, lässt hier eine Blindheit gegenüber den aktuellen Stimmungslagen im Land erkennen, die tatsächlich betroffen machen muss. Wer auf die Idee kommt, in dem Moment, wo es um Fragen der Identität und Stärkung des Selbstbewusstseins der verunsicherten und sich unversöhnlich gegenüberstehenden Deutschen geht, auf Wirtschaftskompetenz und irgendwelche merzschen Global-Player-Netzwerke zu setzen, der hat den Kontakt zum Bürger endgültig verloren.
Wer heute wieder Glaubwürdigkeit in der Politik vermitteln will, der muss erkennbar brennen für sein Land und das nicht nur als Lippenbekenntnis. Noch mehr, wenn so viele Politiker für alles brennen, nur nicht für die Bürger und das Land, dass sie zu regieren ja eigentlich die Verantwortung übernommen haben. Wenn Angela Merkel sich nun in Raten aus der Verantwortung für ihr politisches Handeln stiehlt, dann wird auch das nicht unbeobachtet passieren. Zwar gibt es in Demokratien keine persönliche Verantwortung jener, die in Regierungsverantwortung dem Land und seinen Bürgern durch Schlechtleistung Schaden zugefügt hat, dennoch kann sich niemand aus der politischen Verantwortung stehlen, selbst dann nicht, wenn diese nicht geahndet werden kann. So muss dann die Partei die Zeche bezahlen. Und die Rechnung wurde der CDU in Bayern und Hessen bereits präsentiert. Wer nicht für Deutschland brennt, der verbrennt. Wer nicht da Position bezieht, wo klare Positionen verlangt sind, der geht unter.
Wer also glaubt, Friedrich Merz könnte irgendeine neue „Klarheit über den Markenkern der CDU“ schaffen, der gibt dem reanimierten Politiker hier Vorschusslorbeeren mit auf den Weg, die noch schneller im Winde verweht sein werden, als bei Martin Schulz, als der die SPD in einer kurzen Supernova über die 30-Prozent-Hürde blähte, bevor die Partei endgültig in sich zusammenfiel.
Nein, Merz hat nichts zu bieten außer die Tatsache, dass er einmal Streit mit Angela Merkel hatte, also damit für den Moment mit einer wachsenden Zahl von Wählern d’accord gehen kann, die sich ebenfalls von Merkel abgewandt haben. Aber was dann? So schnell, wie sich der lange abwesende Merz zum Kandidaten hat machen lassen, so schnell wird der Parteitag Anfang Dezember kommen, der ihn wählen soll, während beispielsweise fast zeitgleich im Windschatten dieses Medienereignisses in Marokko die Migrationspolitik der Kanzlerin auf eine neue Stufe gehievt wird, wenn sich die meisten Staaten Europas, allen voran Deutschland, für eine Migrationspolitik verpflichten werden, welche die Konflikte der Gegenwart noch weiter anheizen und die Frage der Identitäten der Völker und Kuöturen so wie ein friedliches und selbst bestimmtes Zusammenleben der europäischen Völker in ihren Ländern möglicherweise weiter vakant stellen wird.
Friedrich Merz lässt von alledem nichts erkennen. Friedrich Merz weiß im Moment noch am genauesten um die Wünsche von BlackRock. Wird er die globalen Pläne seines ehemaligen Arbeitgebers und anderer durchkreuzen, wenn er politisch an Einfluss gewonnen hat? Und was sagt das dann wiederum über Loyalitäten aus? Nein, Friedrich Merz brennt nicht für Deutschland. Aber ohne diese Glut wird es nicht funktionieren.