Tichys Einblick
Untergangssehnsucht? 

Das paradoxe (Wahl)verhalten der Deutschen

Ist das noch eine überwältigende Zustimmung für die Politik der Großen Koalition samt ihrer oppositionellen Satelliten (Grüne, Linke, FDP)? Längst nicht mehr. Dieses Wahlverhalten ist nicht einmal paradox oder rätselhaft, es ist ganz banal der träge Nachhall aus einer besseren Zeit.

© Jens Schlueter/Getty Images

Häufig wird von Regierungskritikern darauf verwiesen – so auch in den Kommentarspalten von TE –  dass der Deutsche ja selber Schuld sei, wenn sein Wahlverhalten darauf schließen lässt, dass er nichts anderes wolle, als was er aktuell bekommt von Habeck bis zur ewigen Kanzlerin (Umfragehoch).

Wenig überraschend bröckelt dieses Bild dieser haushohen Zustimmung für die Arbeit der Regierenden in Bund und Ländern umso mehr, je weiter man von den Meinungsumfragen und Artikeln der früher „Leitmedien“ genannten Zeitungen abrückt und sich direkt ins Gespräch mit den Leuten begibt. Was bleibt, ist ein Paradoxon, ein Wahlverhalten, das dem entgegensteht.

Auch hier ist es noch einmal ein Unterschied, wo man diese Gespräche führt, ob in einem alternativen Café in Berlin oder beispielsweise irgendwo im Harz vor der letzten verbliebenen Bäckerei des Ortes, dem Dönerimbiss in der ehemaligen Fleischerei oder auf der Bank vor der alteingesessenen Eisdiele, die neuerdings eine Station für Secondhand-Bekleidung, Möbel, Elektro- und Haushaltsartikel geworden ist.

Was erwarten die Bürger von der Politik? Doch zunächst einmal, dass ihre Abgeordneten ihre Interessen vertreten. Aber hier beginnt schon der Eiertanz, wenn dem Wähler erklärt wird, das seine ureigensten Interessen hinten anstehen müssen, dass er doch bitte das große Weltganze sehen muss, verstehen muss, warum sein provinzielles Interesse erst an letzter Stelle kommen darf.

So empört sich ein Robert Habeck über eine Rede des amerikanischen Präsidenten im schweizerischen Davos und die Bundeskanzlerin hat es bis heute nicht geschafft, einen deutschen Krisengipfel einzuberufen unter Einbeziehung aller relevanten Stimmen, der sich etwa um die negativen Folgen ihrer Massenzuwanderung kümmert, stattdessen wurde die halbe Welt nach Berlin eingeladen, um ergebnislos über die Zukunft Libyens zu feilschen.

Der Mann aus dem Ruhrpott oder die Frau aus dem Harz bleiben mit ihren Sorgen und Nöten alleine. Keine Lösungsvorschläge in Sicht, keine Mittel zur Verfügung, wenn die Schulen von innen her vergammeln, und alles, was nicht niet und nagelfest ist, unter den Hammer kommt: Diese Privatisierung ist längst noch nicht abgeschlossen. Die gewohnte Welt schrumpft zusammen, die Infrastruktur löst sich auf, Geschäfte schließen vom Tischler bis zum Bäcker, begleitet noch von einem rapide fortschreitenden Rückgang identitätsstiftender kultureller Eigenarten und Gepflogenheiten, wie sie doch zuvor über Generationen nie zur Disposition standen. Bewährt, bindend, gut.

Aber auch ganz einfache Dinge verschwinden, angefangen von der liebevoll gestalteten Blumenrabatte im Vorgarten bis zu den gepflegten Fensterfronten zur Straße hin, wo heute die Springrollos der Baumärkte überwiegen, wo es früher einen Wettstreit um die weißeste Gardine und die schönsten Blüten im Blumentöpfchen dazwischen gegeben hat.

Hinter den Rollos hinter den Fernsehern sitzen Bürger, die solche Nachrichten schauen müssen, die sie nicht mehr mit ihrem Leben zusammenbringen, wenn Politik und Medien die Segnungen einer unbegrenzten Zuwanderung wie ein Mantra vor sich hertragen und gleichzeitig ein Klimawandel Vorbote der Apokalypse sein soll, weil nur ein kleines Mädchen aus Schweden darauf hingewiesen und die Politik diese Stimme vereinnahmt hat quasi als Legitimation für weitere Einschnitte in die Freiheits- und Meinungsrechte, in die Mobilität und in die Art und Weise, wie Bürger zukünftig leben sollen, wenn sie nicht als Querulanten und Klimaleugner kriminalisiert werden wollen.

Aber nein, diesen Bürgern macht zunächst nicht diese Prophezeiung einer Apokalypse Angst, Angst macht ihnen, dass von der Politik bis hinüber zur Wirtschaft und den Prominenten des Landes diese Eliten offenbar auf eine Weise von außen beeinflussbar sind, die jedwede Souveränität und Verantwortung ihrem Land und ihren Wählern gegenüber vermissen lässt. Die schon vollkommene Abwesenheit einer sinnstiftenden Kontinuität.

Immer wieder ist in besagten Nachrichten zu hören, wie erfolgreich das Land ist, wie wenig Arbeitslose es gäbe und welche Milliardenüberschüsse wieder erwirtschaftet wurden, aber es kommt in der deutschen Provinz nichts davon an, dort wo nur noch eine Minderheit lebt, wenn Urbanisierung und Landflucht voranschreiten. Und wenn – noch ein vermeintliches Paradoxon – eben diese Großstädter wiederum von einem erfüllten und sinnvollen Leben auf dem Land träumen. Aber es soll bitte ein Land sein, so vollmundig und viel versprechend wie ein kühler Landliebe-Joghurt, gezuckert und mit Erdbeermarmelade im Boden und so mediterran in der Gesamtschau, wie eine mehrseitige Fotostrecke aus einem dieser Landlust-Hochglanzmagazine.

Die immer neuen Erfolgsmeldungen und der nächste Milliardenüberschuss werden begleitet von Milliardenausgaben, die jedem auf der Welt zu Gute zu kommen scheinen, aber am wenigsten den Deutschen mit den beigen Springrollos aus dem Baumarkt vor den Fenstern und einer Bescheidenheit, die bislang darüber hinwegzusehen scheint, das diese Milliarden doch von eben diesen Menschen erarbeitet wurden und noch werden.

Überwiegend fleißige Leute, die schon mal rüde Worten finden, wenn ihnen der Unfleiß neu Hinzugezogener suspekt ist, Zugewanderte, die sie ebenfalls mit ihren Steuergeldern subventionieren und die nun Tür an Tür mit ihnen leben, wenn sie nicht schon nach wenigen Wochen oder Monaten Vorreiter einer wieder neuen Landflucht sind. Denn diese Neuzugezogenen, die hier viel preiswerter untergebracht werden können als in der von Wohnungsnot betroffenen Großstadt, denen fehlen hier die Wurzeln, die Erinnerungen an ein noch von gelebten Werten und einem bescheidenen Stolz auf das Erreichte geprägtem Stück Provinzdeutschland. Ihnen fehlt also die Vision, wie es sein könnte, wenn es wieder besser wäre.

Hier geht es noch um Nachbarn. Um politisch aktive Freunde, wenn im Harzer Wahlkreis 52 zur letzten Bundestagswahl beispielsweise der Kandidat der CDU fast 40 Prozent der Stimme bekam, der Kandidat der AfD bald zehn Prozent und die drei Kandidaten der Grünen, der Linken und der FDP jeweils kaum fünf Prozent. Selbst der Sozialdemokrat konnte sagenhafte 35 Prozent auf sich verbuchen.

Ist das noch eine überwältigende Zustimmung für die Politik der Großen Koalition samt ihrer oppositionellen Satelliten (Grüne, Linke, FDP)? Längst nicht mehr. Dieses Wahlverhalten ist nicht einmal paradox oder rätselhaft, es ist ganz banal der träge Nachhall aus einer besseren Zeit.

Echte Zustimmung sähe ganz anders aus, sie würde sich in einem von Zuversicht, Hoffnung und Lebensfreude bestimmten Alltag der Menschen niederschlagen, aber davon ist weit und breit nichts zu spüren, wenn diese Deutschen zwar ortsansässig bleiben aus Gewohnheit, ihren Lebensmittelpunkt allerdings zunehmend in die neue große Fernseh- und Erlebniswelt von Netflix verlagern, wo die Fantasie der anderen Welten schafft, die so viel attraktiver sind, als all das, was außerhalb der beigen Baumarktspringrollos wartet.

Was für ein provinzieller Begriff ist da nationale Zuversicht. Aber hier geht es nicht vordergründig um Männlichkeit oder etwa um kontaminierte Begriffe wie Gemeinschaft. Hier geht es um den Missbrauch eines schon rührenden Vertrauensvorschusses, um eine immer noch erstaunliche Nibelungentreue dieser schon länger hier Lebenden gegenüber jenen abgehobenen Oberen, die sich im Gegenzug kaum noch darum scheren, was aus denen wird, die ihnen nach wie vor die Stange halten, die Politiker wählen, die darum wetteifern, wer sich mehr für sein Deutschsein schämt, die das letzte, was den Einheimischen an Identifikation geblieben ist, an Fremde wegschenkt, als wäre es nichts: Das erarbeitete bisschen Zuhause.

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