Der Blick auf das Corona-Virus – doch, das ist schon ein bisschen Mittelalter, damals, als die Menschen ängstlich in die Natur schauten und dort nach Zeichen für die nächste drohende Katastrophe suchten. Aber noch scheint die Sonne über Deutschland oder es regnet eben – nichts Verdächtiges am Himmel, auch der Mond ist noch nicht blutrot angelaufen.
Dafür allerdings gibt es immer konkretere Warnungen der Fachleute und rund um uns herum fallen die vom Corona-Virus noch freien Staaten wie Dominosteine, aber es juckt hierzulande trotzdem immer noch wenige. Klar, Hamsterkäufe werden gemacht. Aber es macht den Eindruck, als wäre auch das eher neuer Volkssport als echte Sorge.
Der anhaltende Wohlstand, ein Leben in Frieden über viele Jahrzehnte hat offensichtlich alle Obacht ausgeschaltet und lahm gelegt. Oder hat sich etwa jeder natürliche Alarmismus, hat sich der Selbsterhaltungstrieb an der als kaum noch vermeidbar beschriebenen Klimakatastrophe verbraucht?
Wer älter ist, der wird sich an dieses Meisterwerk des Filmemachers Werner Herzog erinnern, an seinen Nosferatu, an das drohende Unheil, das dort über die europäischen Städte kommt, an die Hypersensiblen, an die Frauen und Alten, denen schon vor der Katastrophe das Blut in Wallung gerät, die in seltsamen Zungen sprechen, die vor Angst hysterisch werden, die das Verhängnis schon spüren, bevor es die Stadttore erreicht hat – hier als Showdown exemplarisch von Herzog abgefilmt mit einem im Hafen ankommenden Schiff, von dem aus die Ratten in Scharen in jeden Winkel der Stadt stürmen. „Symphonie des Grauens“ – so der Untertitel Herzogs.
Subtil, klar. Aber was Corona angeht, ist diese Phase der Subtilität längst überschritten. Für Arte sendet quasi live aus China ein dort von der Quarantäne eingeschlossener Reporter verheerende wie dystopisch anmutende Bilder. Die Nachrichten zeigen Landkarten des herannahenden Feindes. Italien ist mittlerweile ganz abgeriegelt. Jetzt fehlen nur noch rote Fähnchen auf dem Kartentisch für die gefallenen europäischen Städte.
Die Sorglosigkeit der Deutschen ist im Wortsinne atemberaubend. Unverdrossene pflegen und befördern sogar Verschwörungstheorien, die belegen sollen, dass das alles nur FakeNews sind und nicht schlimmer als eine Erkältung oder Grippe oder dass es hier lediglich um einen Wirtschaftskampf ginge zwischen der Westlichen und der asiatischen Welt, mit dem Ziel der Desinformation und Panikmache, China zu destabilisieren. So wie einst die Katastrophe von Tschernobyl letztlich den Giganten Sowjetunion zu Fall brachte, als bis zu einer Million Soldaten an diesen Katastrophenherd gebunden wurden.
Nun braucht es allerdings nicht einmal ein apokalyptisches Gen, um seinen unbedarften Nachbarn in Panik zu versetzen. Kein geringerer als der Virologe der Berliner Charité malte gerade in einem öffenlich-rechtlichen Podcast ein Bild wie in ÖL auf Eichenholz, der bevorzugten Malweise eines Hieronymus Boschs, der vor über 500 Jahren Berge von Alpträumen festhielt, die bei allem herausragendem Können doch bis heute rätselhaft und verstörend zugleich geblieben sind.
Mit einem Unterschied: Die Prognosen und Zukunftsszenarien von Professor Drosten sind nicht rätselhaft, sondern eindeutig. Und er spricht drastische Warnungen aus, weil er offensichtlich um die anhaltende Lässigkeit der Deutschen im Umgang mit dem Virus weiß.
Drosten wird allgemein als ruhiger und sachlicher Charakter beschrieben. Sein Appell richtet sich in unmissverständlicher Eindringlichkeit an Familien mit Großeltern. Letztere seien besonders zu schützen, denn sonst gäbe es sehr viele Todesfälle. Heißt das übersetzt: Bringt eure Alten mit eurer Lässigkeit dem Virus gegenüber nicht um? So kann man es wohl lesen.
Drosten beruft sich unter anderem auf eine eben erschienene neue Studie einer führenden amerikanischen Forschungsgruppe, die aber nur ein Grund für seine Alarmmeldung ist.
„Im Moment ist meine Einschätzung eher, dass wir wahrscheinlich doch eine direkt durchlaufende Infektionswelle bekommen. Wir müssen damit rechnen, dass ein Maximum der Fälle in der Zeit von Juni bis August auftreten wird“, sagte Drosten am Montag in besagtem NDR-Podcast.
Der Fachmann fordert dringend ein Umdenken. Die bisherige Taktik eine Verzögerung der Ansteckung zu erreichen, sei zwar weiterzuführen, aber was bisher vernachlässigt worden sei, sei der Schutz der gefährdeten Bevölkerungsgruppen, der Alten und der Menschen mit Vorerkrankungen. Letztere sollten, so sie noch tätig sind, zeitweise freigestellt werden bzw. wenn möglich im Home-Office weiterarbeiten.
Die Schweiz hatte ihre Schulen vorerst nicht geschlossen um zu vermeiden, dass zu viele Kinder Kontakt mit ihren Großeltern haben, wo die Kinder der berufstätigen Eltern dann in nicht geringer Zahl untergebracht worden wären, wenn die Schulen vor dem Virus schließen.
Was hier noch fast harmlos klingt, wird auf drastische Weise konkreter, wenn Drosten die Sterberaten nennt: Bei der älteren Bevölkerung müsse davon ausgegangen werden, „dass 20 bis 25 Prozent dieser Personen sterben werden. Da schluckt man natürlich. Das muss man aber vermitteln.“ Und er meint hier selbstredend nicht an Alterschwäche, sondern ganz konkret am Virus.
Für Drosten haben jüngere Menschen jetzt auch Aufklärungsarbeit an den Alten zu leisten und sie auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen und ihre Hilfe anzubieten, solange diese für die Alten überhaupt noch gefahrlos angeboten werden kann.
Über die aktuelle Gemütverfassung der Alten berichtet Dorsten: „Sie haben noch nicht verstanden, dass sie die wirklich Betroffenen sind und dass ihr Sozialleben jetzt für einige Monate aufhören muss.“
Nun ist diese Sorglosigkeit kein Privileg der Alten. Auch viele jüngere sind noch ohne Sorge um ihre Alten wie um sich selbst. Viele Familien gehen miteinander um, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Kinder besuchen weiterhin Kitas und Schulen, die ersten Städte wie Halle haben sich nun zu Schließungen entschlossen, weiter in ihrer Freizeit diverse Sport- und andere Vereinstätigkeiten und Desinfektionsmaßnahmen gleich an der Haustür bei der Heimkehr werden nur müde belächelt.
Dass der eigene Vater mitunter schon altersmäßig in die Nähe der Hochrisikogruppe der Alten gerückt ist, wird ebenfalls einfach weggelächelt. Wenn Kinder und Frauen mehr geschützt sind, als Männer in fortgeschrittenem Alter, was bedeutet das dann aber für diese Männer in diesen Sorglosfamilien?
Wird es jetzt Zeit, dass sich diese Väter schon einmal einen Notfallplan B zurecht legen und im Fall der Fälle das Weite suchen selbst vor ihren nächsten Verwandten, wenn diese Sorglosigkeit auch mit zunehmenden Fallzahlen nicht abnimmt?
Männer, wenn es wirklich ernst wird: Bringt euch bitte in Sicherheit vor euren alles weggrinsenden Familien. Jedenfalls dann, wenn diese Gesellschaft die eindringlichen Warnungen des Virologen der Berliner Charité nicht ernst nehmen will und wird. Die richtig Alten bleiben aber Risikogruppe Nr. 1. Nach Drosten werden möglicherweise nach dem Durchmarsch des Virus bei jeder vierten Familie die Großeltern fehlen. Wenn wir nichts dagegen tun.