Ein Berliner Oberstaatsanwalt erklärte es bereits im Interview mit TE: Arabische Großfamilien haben sich in Berlin „in großem Maße sowohl im kriminellen als auch im öffentlichen Leben etabliert.“ Wegen der Größe der Familien würden sich die Aktivitäten der Berliner Clans aber längst nicht mehr nur auf das Stadtgebiet beschränken, „sondern erstrecken sich auf sowohl das übrige Bundesgebiet als auch das Ausland.“
Nun wird oft über die Immobiliengeschäfte dieser Clans berichtet, wenn es darum geht, zu erklären, wie aus kriminellen Geschäften gewonnenes Geld legalisiert wird. Eine Vorgehensweise übrigens, die schon in Hollywood-Produktionen wie „Der Pate“ vorgeführt wurde. Allerdings offenbart nun der aktuelle Streit zwischen dem erfolgreichen Rapper Bushido (bürgerlicher Name: Anis Mohamed Ferchichi) und dem Berliner Abou-Chaker-Clan einen weiteren Geschäftszweig, der noch viel tiefer geht, als nur ein paar Hauskäufe und entsprechende Mieteinnahmen.
Tiefer, weil die Deals zwischen Clans und Musikern aus der Gangster-Rapper-Szene eine kulturelle Komponente haben, die eine Akzeptanz für die kriminellen Machenschaften der Clans längst mitten in der Gesellschaft verankert hat. Oder wie es der Berliner Obertstaatsanwalt Ralph Knispel gegenüber TE erzählte:
„Die Staatsanwaltschaft beobachtet mit außerordentlicher Sorge die insbesondere in den Kreisen junger, aber auch durchaus bürgerlicher Menschen gewachsene Akzeptanz von strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen bestimmter Personenkreise gerade aus dem künstlerischen Bereich. Neben der justiziellen Unnachgiebigkeit bei Straftaten bedarf es auch der gesellschaftlichen Ächtung nicht hinnehmbaren gesetzeswidrigen Verhaltens.“
Um das zu verstehen, muss man begreifen, um was es bei diesem Streit zwischen Bushido und namentlich dem Clan von Arafat Abou-Chaker eigentlich geht, wenn Bushido und seine Frau dem Magazin Stern jetzt ein Interview geben, indem sie erzählen, sie fürchten um ihr Leben: „Natürlich haben wir Angst, dass jemand aus Rache auf mich oder meinen Mann schießt. Eigentlich rechnen wir jeden Tag damit. Aber wir blenden das aus. Etwas anderes bleibt uns nicht übrig.“
Man kann es in Kurzfassung so erzählen: Gangster-Rapper Bushido musste sich einst in Ermanglung einer authentischen kriminellen Vita mit einem Berliner Clan einlassen, dafür fürchten er und seine Frau heute um ihr Leben. Rapper wie Samy Deluxe hingegen verzichteten auf diesen Fingerprint des Bösen, aktuell komponierte und produzierte Samy „Hoch auf die Nachbarschaft“ zum fünfundvierzigsten Jubiläum für den Discounter Penny während sich ein Bushido für angeblich 2,5 Millionen Euro versucht haben soll, aus der „Freundschaft“ mit dem Berliner Clan freizukaufen.
Aber wozu das alles, wenn längst darüber berichtet wird, dass sich der Musiker einem neuen Clan angeschlossen hätte? Offensichtlich funktioniert es in diesen Gangster-Rapper Kreisen nur so, wenn ein wichtiges Element der Musik der verbale Angriff auf andere Rapper ist und diese wiederum von anderen Clans vertreten werden. Solche „Beef“ genannten Auseinandersetzungen müssen eine Art ritualisierter Bandenkrieg sein, der nur theoretisch jederzeit auf die Straße übertragen werden kann – die Musik der Gangster-Rapper lebt davon, dass dieser Übersprung geschehen kann.
Und er passiert, wenn ein Magazin für Rapper berichtet, wie sich Clan-Chefs treffen, um die Streitigkeiten zwischen den jeweils unter ihrem „Schutz“ stehenden Rappern zu schlichten und solche Treffen dann sogar via Facebook-Live-Video dokumentiert werden.
Wie parallel diese Streitigkeiten zwischen Musikern und Musikern und Clan und Clan verlaufen, erzählt auch ein Artikel der Berliner BZ, der von Parallelen zur Boxerszene berichtet, die ja schon traditionell eine Jahrzehnte alte Rotlichtanbindung hat.
Die Umsätze dieser Gangster-Rapper werden immer gewaltiger, ihre Musik immer populärer, neue Musiker rücken nach, die meisten von ihnen ebenfalls mit Clans verbunden. Und alle zusammen sind auf eine Weise mit der etablierten Kulturszene verbunden, die sich, ähnlich, wie früher mit halbseidenen Boxern, gerne mit dieser Zwischenweltkultur schmücken.
Dieser Bushido muss für seine Clans eine besondere Hausnummer sein, wenn seine Autobiografie zum Bestseller wird, später noch verfilmt von Bernd Eichinger mit Moritz Bleibtreu in der Rolle des Arafat Abou‑Chaker. Und Bleibtreu erzählt dann auch brav in die Mikrofone, dass ihm aufgrund seiner Kindheit in Hamburg St. Georg das traditionelle Leben in ausländischen Familien ohnehin näher sei, als das deutsche Familienverständnis.
Die kulturellen Überlappungen sind vielfältig, die Schnittmenge wird größer: Bushidos jetzige Frau ist die Ex-Frau von Mesut Özil. Die wiederum ist die Schwester der erfolgreichen Sängerin Sarah Connor. Özil zuliebe soll sie damals sogar laut Focus zum Islam konvertiert sein, sich die ursprünglich blonden Haare dunkel gefärbt und sich fortan „Melek“ genannt haben, was „Engel“ bedeutet. Auch das sicher wie nebenbei ein Hinweis für die Bewertung der aktuellen Causa Özil.
Nun also im Magazin Stern die große Abrechnung, die Beichte, die Abbitte Bushidos, der heute erzählt, er wäre nur der Hund des Clan-Chefs gewesen, der aber offensichtlich nichts dabei fand, jahrelang unter dem Schutz dieser Leute Kollegen zu beleidigen und diese damit gezielt in der Szene unmöglich zu machen. Denn das gehört wohl ebenfalls zum Spiel dazu: Wer sich nicht wehrt, weil er keine starke Familie im Nacken hat, der geht eben unter, verkauft keine Platten mehr, weil er vor den Hörern dieser Musik das Gesicht verloren hat: Ja, die unbedarften Wohlstandskinder haben sich ebenfalls auf diese mafiösen Denkstrukturen eingelassen und halten sie für unbedingt nötig im Sinne irgendeiner erlebbaren Authentizität.
Bushido hat die Seiten gewechselt. Aber nicht etwa jene, aus dem Clan heraus zurück ins Leben der anderen – nein, Bushido hat nur den Clan gewechselt. Und so darf man annehmen, dass dieses als Lebensbeichte verkaufte Interview im Stern auch nichts anderes sein könnte als ein nachgereichtes Ritual der Unterwerfung für seine neuen Herren, indem er sich noch einmal öffentlich von den alten lossagt. Oder noch einfacher: Eine gelungene PR für das nächste Album.
Neu ist das alles indes nicht. Und dafür muss man sich nur wieder an das Mafia-Epos Der Pate erinnern. Auch dort gibt es die Figur des Hausmusikers des Corleone-Clans. Angelehnt an wahre Begebenheiten rund um Frank Sinatra und dessen Nähe zu Mafiakreisen, wird hier der Sänger „Johnny Fontane“ eingeführt, der in der Talsohle seiner Karriere gerne die Unterstützung der Corleones annimmt, die wichtigen Leuten also Angebote machen, welche diese nicht ablehnen können.