Brüssel, Nizza, Paris, Ansbach, Würzburg, Berlin, London – man vergisst schon fast, man kommt nicht mehr nach, wenn eine nicht abreißende Serie islamistischen Terrors mittlerweile zum europäischen Alltag gehört. Dabei mag man sich kaum vorstellen wollen, wie viele vereitelte Attentate auf jeden durchgeführten kommen. Wie mag das Verhältnis sein? 1:10? Oder gar 1:50?
„Im Kampf gegen jede Form von Terrorismus stehen wir fest und entschlossen an der Seite Großbritanniens.“ Wenn Angela Merkel sich so solidarisch erklärt mit dem britischen Volk, dann ist das nicht nur persönliches Anliegen, sondern ihre Pflicht. Denn damit spricht sie für Millionen Deutsche.
Aber die schmerzhafte Frage muss gerade in diesen Stunden auch gestellt werden, wie zynisch das alles klingen mag, wenn Großbritannien sich gerade erst gegen diese Beistands-Entschlossenheit aus Berlin entschieden und für den Brexit gestimmt hat, auch deshalb, weil man sich eben auch bewusst gegen die Migrationspolitik Europas, also die der Kanzlerin, gestellt hat.
Und weil man sich in letzter Konsequenz auch gegen eine unbekannte Zahl von Terrorverdächtigen unter diesen Geflüchteten entschieden hat, an deren Umverteilung auf die teilnehmenden Länder der EU man nicht mehr als Aufnahmeland zur Verfügung stehen wollten.
Berlin und Wien standen damals noch dicht beieinander, so erklärte beispielsweise Stefan Mayer von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in einem Interview mit der Londoner „Times“: „(W)ir haben jetzt eine solche humanitäre Katastrophe vor uns, da habe ich kein Verständnis und keine Sympathie mehr für Positionen, die nur ihr jeweils eigenes Land im Auge behalten.“
Das Enfant terrible Europas, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban schaute sich das genau an und urteilte auf seine Weise: Er hält die „Flüchtlingskrise“ für den entscheidenden Faktor beim Votum der Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union. Die Briten hätten eine Antwort auf die Frage gesucht, wie man die „moderne Völkerwanderung“ aufhalten und wie sie „ihre Insel erhalten“ könnten.
Nun hat die EU unter Federführung von Angela Merkel mit dem türkischen Präsidenten einen Pakt geschlossen, einen Milliarden teuren „Flüchtlingsdeal“, der die Türkei verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Flucht von vornehmlich syrischen Flüchtlingen nach Europa begrenzt oder gesteuert werden wird. Heute wissen wir, dass Erdogan nicht nur Deniz Yücel, sondern Millionen Menschen als Faustpfand benutzt, wenn Deutschland, wenn Europa nicht durchführt, was er für sich erledigt haben will.
Darf man das nun unter den Eindrücken von London so zuspitzen lassen? Angesichts dieses Terroranschlags muss man das sogar. Denn wenn sogar der Spiegel schon früh schrieb: „Das Risiko, dass sich Extremisten unter Flüchtlinge mischen, ist real.“, dann drohte der französische Minister Großbritannien damals indirekt mit Terrorgefahr, ebenso, wie Erdogan heute Deutschland und Europa damit droht. Der allerdings nahm kein Blatt mehr vor den Mund: „Wenn Sie sich weiterhin so verhalten, dann wird morgen weltweit kein Europäer, kein Bürger des Westens in Sicherheit und Frieden die Straßen betreten können.“
Großbritannien ist per Referendum aus der EU ausgetreten. Das Attentat in London wurde mutmaßlich von einem britischen Staatsbürger mit islamistischem Hintergrund begangen. Der Mann sei sogar in der Grafschaft Kent geboren, teilte Scotland Yard am Donnerstag mit. Der Mann war kein Unbekannter, er sei bereits wegen Gewaltdelikten und unerlaubtem Waffenbesitz bekannt gewesen. „Aus Sorge vor gewalttätigem Extremismus“ ermittelte in der Vergangenheit bereits der britische Inlandsgeheimdienst MI5.
Großbritannien hat also auch hausgemachte Probleme. Der IS reklamierte die Tat umgehend für sich. Und wie die Polizeiakten offenbar bestätigen, ist der Mann kein Unbekannter. Restriktivere Maßnahme hätten das Attentat also möglicherweise verhindern können. Aber um restriktiv vorzugehen, muss man wenigstens Kenntnisse haben darüber, welche Gefährder sich im eigenen Land wo bewegen und welche Gefahren von ihnen ausgehen könnten. So mag die Entscheidung für den EU-Austritt bisher die restriktivste von allen gewesen sein.