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Braunschweiger und Spiegel: Importierter Antisemitismus als Tabu

Die Verleugnung von importiertem Antisemitismus in Deutschland als Pendant zur Verleugnung eines rechten Antisemitismus in der ehemaligen DDR? Frei nach dem Motto: Was nicht sein darf, gibt es auch nicht?

Symbolbild - Participants wearing a kippah during a 'wear a kippah' gathering to protest against anti-Semitism in front of the Jewish Community House on April 25, 2018 in Berlin, Germany.

© Carsten Koall/Getty Images

Braunschweig war die erste Station für den neuen Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung. Jedenfalls erwähnt die Braunschweiger Zeitung in ihrer Samstagsausgabe nicht ohne Stolz, dass Felix Klein seinen ersten öffentlichen Auftritt an der Oker hatte. Genau dort, wo der Österreicher Adolf Hitler einst eingebürgert wurde. Davon aber weiß der neue Beauftragte nichts: „Ausgerechnet, das wusste ich nicht.“ Klein war bisher Sonderbeauftragter für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusfragen im Auswärtigen Amt, ist also kein Quereinsteiger.

Auf der Titelseite stellt die Braunschweiger Zeitung das Interview im Inneren vor. Die Überschrift des mehrzeiligen Teasers lautet: „Judenhass ist nicht importiert.“ Und der Artikel im Inneren beginnt mit dem Satz: „Der neue Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, kritisiert die AfD. Die Partei habe dazu beigetragen, dass der Judenhass in Deutschland unverhohlener geworden sei.“ An anderer Stelle hatte Klein der AfD bereits vorgeworfen, den Erinnerungskonsens aufzukündigen.

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Nun waren es antisemitische Ausfälle von Muslimen auf offener Straße und an Schulen, die Kleins neue Tätigkeit gerade auf besondere Weise gerechtfertigt hatten. Die den Erinnerungskonsens dahingehend verschoben haben, dass zur Erinnerungsarbeit eine weitere Präventiv-Aufgabe dazu kam: Die Abwehr eines importierten Antisemitismus. Dieser Aufgabe muss sich Klein stellen, wenn er seiner Aufgabe gerecht werden will. Wenn er allerdings schon beim ersten öffentlichen Auftritt abwinkt und auf die Kriminalstatistik verweist, bestehen berechtigte Zweifel. Importierter Antisemitismus? Nein, „(d)ie polizeiliche Kriminalstatistik sagt etwas anderes. Denn sie besagt, dass 90 Prozent der erfassten Straftaten vom rechtsradikalen Milieu ausgehen.“ Es gäbe da allerdings die gefühlte Bedrohungslage unter den Juden in Deutschland, die etwas anderes sage.

Das ist ein deutlicher Einstieg des neuen Beauftragten. Noch deutlicher, wenn immerhin ein von der Bundesregierung angeregter unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus eben diese Kriminalstatistik in Frage stellt und damit die „Gefühlslage“ der Juden in Deutschland zu dem macht, was sie auch sein könnte oder in Wahrheit ist: eine echte Bedrohungslage und keine gefühlte. Dann, wenn der Expertenkreis befindet, dass fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten generell immer dann dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität Rechts“ zugeordnet werden, „wenn keine weiteren Spezifika erkennbar“ und „keine Tatverdächtigen bekannt geworden sind“.

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So würde beispielsweise ein Schriftzug wie „Juden raus“ in der Kriminalitätsstatistik als „rechtsextrem“ geführt, obwohl er auch in islamistischen Kreisen benutzt werde. „Damit entsteht möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild“, schrieben die Autoren des Expertenberichts.

Weitere Stimmen widersprechen Klein. So bemängelt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, gegenüber der Augsburger Allgemeinen explizit die genannte Statistik: „An der Art, wie diese Straftaten bisher erfasst werden, sind erhebliche Zweifel angebracht.“ Es sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, was von Muslimen begangene antisemitische Taten betrifft.

Aber die Braunschweiger Zeitung belässt es nicht bei Teaser und AfD-Bezug im Einleitungssatz zum Artikel. Als Nachricht im räumlichen Kontext zum Interview wird von einer 89Jährigen Holocaust-Leugnerin berichtet, die ihre Haftstrafe in der JVA nicht angetreten hat, und die Samstagskarikatur sieht folgendermaßen aus: Eine Tür mit Aufschrift „Flüchtlingsheim Ellwangen“ und davor ein Präsentkorb „Liebe Asylbewerber, wir danken Euch, macht weiter so! Herzlich Eure AfD.“ Ist das witzig? Wäre es vielleicht noch witziger, wenn da gestanden hätte: „Liebe antisemitische Asylbewerber …“? Offensichtlich ist es zu Klein wie zu den Redakteuren noch nicht durchgedrungen: Die europäische Rechte ist seit Jahren auf Pro-Israelkurs.

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Wenn beispielsweise im Europa-Parlament 2014 mehrheitlich für verschiedene Resolutionen Pro-Palästinenserstaat abgestimmt wird, stimmen Rechts- und Euro-kritische Parteien regelmäßig dagegen. Man könnte also sogar behaupten, ein Antisemitismus von Rechts sei auf dem Rückzug. Woran genau das liegt, muss sicher noch an anderer Stelle erörtert werden.

Nun ist die Braunschweiger Zeitung als Tageszeitung in etwa so auflagenstark wie der Spiegel. Von Wolfsburg über Salzgitter bis Wolfenbüttel wird die Region mit individualisierten Ausgaben nach Baukastensystem bedient. Die aktuelle Spiegel-Ausgabe hatte zwar nicht Felix Klein zum Gespräch, dafür stellte sich Günter Morsch über drei Seiten einem Interview. Der 65Jährige Historiker ist Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen. Vom Spiegel auf Mobbing gegen jüdische Schüler angesprochen, den Gürtelangriff auf Kippaträger, Übergriffe, die eine neue Antisemitismusdebatte ausgelöst hätten, antwortet Morsch: „Wir hatten nach der Einheit schon einen massiven Schub an Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus …“ Und er erinnert an eine Reihe antisemitischer Straftaten von Rechts. Die hat es nun zweifellos gegeben. Und sicher gab es in der DDR einen Mangel an Aufklärung, denn was es nicht geben durfte, wurde nicht öffentlich. Aber was haben diese Vorfälle mit den Auslösern dieser neuen Antisemitismus-Debatte zu tun? Der Debatte über einen importierten Antisemitismus von Muslimen?

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Aber Morsch dreht die Schraube einfach weiter in die verkehrte Richtung: „Die Flüchtlingskrise ist wie ein Ventil für die Aversionen gegen alles, was die moderne, offene, tolerante, freiheitliche Gesellschaft ausmacht.“ Also Aversionen von Rechts. Darf man das? Auf diese Weise die besondere Verantwortung Deutschlands am Wohlergehen der Juden instrumentalisieren? Die Verleugnung von importiertem Antisemitismus in Deutschland als Pendant zur Verleugnung eines rechten Antisemitismus in der ehemaligen DDR? Frei nach dem Motto: Was nicht sein darf, gibt es auch nicht?

Morsch erinnert daran, Umfragen hätten ergeben, dass 15-20 Prozent in Deutschland Antisemiten seien. Und die Hemmungen diesen Antisemitismus auch zu äußern, hätte nachgelassen. Hat Morsch einmal nachgeforscht, welche Bevölkerungsteile hier genau gemeint sein könnten?

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Es wird noch schlimmer: Für Morsch ist der Einfachheit halber auch Kritik an der Zuwanderung Antisemitismus wenn er sagt: „Vieles davon wird über Flüchtlinge transportiert, meint aber eigentlich Juden, Roma und andere.“ Das ist ein starkes Stück. Was soll das sein, ein Hinweisgeber, wie Antisemitismus zukünftig addiert werden soll? Demgegenüber ist für Morsch der Antisemitismus der Zuwanderung letztlich eine Israelkritik. „Er speist sich stark aus der Israelkritik oder Israelablehnung.“ Holocaustleugnung, Beschimpfungen, tätliche Angriffe schon an Schulen, und offen geäußerte Vernichtungsfantasien nun also heruntergebrochen auf eine mehr oder weniger doch berechtigte Kritik und Ablehnung der Palästina-Besatzer? Eine neue Rechtfertigung für einen neuen Antisemitismus?

„Es hilft nichts, jetzt mit dem Finger auf Syrer zu zeigen. Die antisemitischen Bilder, die sie im Kopf haben, sind dem schon sehr ähnlich, was auch Deutsche als Antisemiten kennzeichnet.“, meint Historiker Morsch. Aber was bitte soll das für eine Handlungsanweisung sein? Es hilft nichts, mit dem Finger auf Syrer zu zeigen? Das muss man sich einmal vor Augen führen: importierter Antisemitismus stößt eine Antisemitismus-Debatte an, ein Beauftragter nimmt seine Arbeit auf, der importierte Antisemitismus darf dann aber getrost wegfallen, weil die Rechten, weil die AfD eine willkommene Projektionsfläche für Antisemitismus bieten, die durch nichts getrübt werden darf?

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Dieser Morsch ist offensichtlich ein Drückeberger. Anders ist es doch nicht zu erklären, warum er sich einfach darum drückt, sich einer neuen Bedrohungslage für Juden in Deutschland zu stellen. Zwar hat er durchaus Recht, dass Lehrer früher einschreiten sollten gegen antisemitische Parolen. Aber dann soll Morsch auch Ross und Reiter nennen und nicht erneut den Rückzug antreten in Vorfälle aus den Neunziger Jahren, wie er es gegenüber dem Spiegel macht. Es kann ja sein, dass der 65Jährige in dieser Zeit seine intensivste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema hatte, aber dann soll er bitte Kollegen den Vortritt lassen, wenn es darum geht, gegenwärtigen Antisemitismus zu dechiffrieren, anstatt zu verdrängen, was in seinem Weltbild nicht vorkommen darf. Und bei dieser Kritik an Morsch haben wir eine politische Agenda noch gar nicht unterstellt. Morsch ist in der DDR groß geworden, wie er im Interview erzählt. Deshalb ist er auch nicht für Pflichtbesuche von muslimischen Schülern in KZ-Gedenkstätten. Er wüsste schließlich als ehemaliger DDR-Bürger, was Pflichtbesuche bedeuten. Die Besuchszahlen Berliner Schulen in der von ihm geleiteten KZ-Gedenkstätte sinken seit Jahren.

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Interessant wird es auch da, wo Morsch indirekt und sicher ungewollt in die Björn Höcke Verteidigung geht, wenn er Gerhard Schröder zitiert, der „einen Hauch von positiven Schlussstrich“ hätte ziehen wollen unter die Erinnerungskultur, die Morsch mittlerweile als „Erinnerungsstolz“ bezeichnet. Die Menschen sind stolz auf diese Erinnerungskultur. So, wie Rechte „stolz“ sind auf ihr Deutschland? Morsch klingt hier so, wie er wohl meint, dass Höcke klingen würde, wo er zwar zugesteht, sich mit dem Antisemitismus der Einwanderer befassen zu müssen, aber doch bitte nicht mit „moralischen Vorwürfen“.

Zum Schluss dann noch die Bitte von Morsch, doch mehr finanzielle Mittel zu bekommen. Und in Richtung von AfD-Parlamentariern, die sich für einen Besuch in der KZ-Gedenkstelle angemeldet haben, lautet seine Botschaft via Spiegel-Interview: „…wir haben mit unseren Guides besprochen, dass es klare Linien gibt und wir bei Überschreitungen vom Hausrecht Gebrauch machen.“ Morsch unterstellt den AfD-Abgeordneten hier nicht weniger Potenzial als jenes: „Geschichte zu leugnen, Verbrechen zu relativieren, Sachsenhausen zu relativieren, indem man etwa nur auf das sowjetische Speziallager abhebt, das hier von 1945 bis 1950 bestand.“ Aber auf was hebt Morsch eigentlich ab?

Zwei Zeitungen, zwei Interviewpartner: Der eine hat sein Amt gerade angetreten, der andere geht in Kürze in Ruhestand. Beiden gemeinsam ist leider die eklatante Verweigerung, eingewanderten Antisemitismus von Muslimen in Deutschland bekämpfen zu wollen. Zuwanderer dürfen nicht kritisiert werden, denn damit macht man das Geschäft der AfD. Da muss man Prioritäten setzen. Auf Kosten der jüdischen Gemeinde in Deutschland?

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