Familiennachzug: Viele reden darüber, aber die Wenigsten wissen wirklich Bescheid. Selbst jene, die Bescheid wissen müssten, rätseln und orakeln über tatsächliche und zu erwartende Zahlen. So kann man die Parteiangehörigkeit von Politikern, die in den Medien und Talkshows zu Wort kommen, leicht daran erkennen, wie hoch oder niedrig ihre Prognosen sind. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) begegnete dem Thema 2017 mit einer Fokusstudie der deutschen nationalen Kontaktstelle für das Europäische Migrationsnetzwerk (EMN). Titel der Studie: „Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland“ im „Working Paper 73“ vom 22.03. 2017. Autor ist Janne Grote.
Über seine Arbeit für das BAMF schreibt er: „Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter der deutschen nationalen Kontaktstelle des Europäischen Migrationsnetzwerkes (EMN), die beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angedockt ist.“
Das soll zunächst reichen um einzuordnen, wen das Bundesamt als einen von fünfundzwanzig „Wissenschaftlichen Mitarbeitern“ aufführt. Das BAMF teilt mit, dass die gewonnenen Erkenntnisse aus Arbeiten dieser Mitarbeiter „für die Migrationssteuerung und Politikberatung verwendet werden“. Präziser: „Zur Gewinnung analytischer Aussagen für die Steuerung der Zuwanderung betreibt das Bundesamt wissenschaftliche Forschung.“
Bereits seit 2008 bildet eine europäische Ratsentscheidung die Rechtsgrundlage, so wurden Nationale Kontaktstellen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (außer Dänemark) geschaffen. «Aufgabe des EMN ist es u.a. nationale Institutionen und Behörden „mit aktuellen, objektiven, verlässlichen und vergleichbaren Informationen über Migration und Asyl im Hinblick auf eine Unterstützung der Politik in diesem Bereich zu versorgen.»
In der Studie findet sich eine Prognose, die das Bundesamt im Juni 2016 zum Familiennachzug veröffentlicht hat. Demnach sei mit einem Nachzug „von 0,9 bis 1,2 Familienangehörigen pro schutzberechtigtem syrischen Geflüchteten zu rechnen ist (BAMF 2016a).“
Zitat: „Die Familienzusammenführung ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Familienleben möglich ist. Sie trägt zur Schaffung soziokultureller Stabilität bei, die die Integration Drittstaatsangehöriger in dem Mitgliedstaat erleichtert; dadurch wird auch der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt gefördert, der als grundlegendes Ziel der Gemeinschaft im Vertrag aufgeführt wird“ (Erwägungsgründe Abs. 4 RL 2003/86/EG).“
Unter Punkt 2, „Nachzugsberechtigte Familienangehörige“ erfährt man weiter, dass das Recht auf Familiennachzug auch für die familiäre Gemeinschaft mit Adoptiv-, Pflege- und Stiefkindern gilt. Nun muss zwar normalerweise bei einem Nachzugsantrag nachgewiesen werden, dass «ausreichender Wohnraum für die aufnehmende und die nachziehende Person zur Verfügung stehen (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) ebenso, wie nachzuweisen ist, dass die aufnehmende Person den Lebensunterhalt „für sich und die nachziehende Person sichern kann». Für Asylberechtigte und andere gilt das allerdings nicht. Sie sind „privilegiert“. Hier ist der Staat für die Sicherung des Lebensunterhaltes vollumfänglich zuständig.
Gleiches gilt auch für die erforderlichen Sprachkenntnisse: zwar sollte man die erbringen, muss man aber nicht. So sollen Kinder, die bereits 16. Jahre alt sind, die deutsche Sprache beherrschen bzw. gewährleisten können, sich in die Lebensverhältnisse in die Bundesrepublik einfügen zu können, aber über allem steht die „Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte“ (§ 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG)“, die für nahezu alle oben genannten Gruppen anwendbar wird. Noch besser: Wer kein Deutsch spricht, kann sogar zum Zwecke des Spracherwerbs einreisen „zunächst durch Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Spracherwerb“ (BVerwG 10 C 12.12, Urt. v. 04.09.2012) (BAMF/EMN 2013: 24f.).
Interessant hier, dass der Familiennachzug von Ehepartnern verweigert werden kann, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde (§ 27 Abs. 2 AufenthG).“ Man darf hier sicher sein, dass dieses Ausschlussverfahren KEIN EINZIGES MAL gegriffen hat oder je greifen wird, wenn man bedenkt, auf welche Weise oft Ehen im arabischen Raum geschlossen werden, nämlich als Verabredung der beiden Familien. Die konsanguine Ehe, also die unter Verwandten, ist dabei nicht einmal eingerechnet. Nebenbei gesagt: Erschreckend hier, was die Berliner Charité berichtet. Nach Angaben der Mediziner kommen bereits 15 Prozent der Stoffwechselerkrankungen aus Verwandtschaftsbeziehungen. Und zwar mehrheitlich unter Immigranten.
Aber zurück zum Familiennachzug. Zur Antragstellung vor Ort. Hier werden zwar eine Reihe von Dokumenten verlangt, aber wo keine vorhanden sind, müssen eben auch keine erbracht werden. Hier reicht beispielsweise der Einbezug von Zeugen oder der – kein Witz – Versand eines „Entnahme-Kits“ für einen Gen-Test. Auch hier darf spekuliert werden, dass diese kostenintensive Maßnahme kaum zur Durchführung kommt, zumal der Umgehung Tür und Tor geöffnet sind – und wer sollte das vor Ort auch vollumfänglich überwachen?
Gebühren vor Ort für den Familiennachzug entfallen ebenfalls, „wenn es mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Gebührenpflichtigen in Deutschland geboten ist“ (§ 53 Abs. 2 AufenthV). Und das wird es in den allermeisten Fällen.
Kommen wir zum Fazit des Autors. Janne Grote verweist hier, wie schon Vorwort, auf Artikel 6 des Grundgesetzes der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt und der die Erziehung der Kinder zum natürlich Recht und zur Pflicht der Eltern erklärt. Der Autor verweist erneut auf die großen Hürden des Familiennachzuges ebenso wie auf die Außerkraftsetzung dieser Hürden bei „Resettlement-Flüchtlingen, anerkannten Asylberechtigten, anerkannten Geflüchteten sowie subsidiär Schutzberechtigten.“
Zusammengefasst und in einem Satz lässt sich jetzt sagen: Familiennachzug unterliegt einem umfänglichen Forderungskatalog, dem sich allerdings Angehörige von Resettlement-Flüchtlinge, Asylberechtigte und subsidiärer Schutzberechtigte nicht oder kaum unterwerfen müssen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teilt dazu auf Nachfrage schriftlich mit:
„Die Zuständigkeit für den Familiennachzug liegt beim Auswärtigen Amt. Vor Inkrafttreten des Asylpakets II (17.03.2106) galt für Personen mit der Rechtsstellung als Flüchtling (Flüchtlingsschutz und Asyl) sowie subsidiär Geschützte das Recht auf privilegierten Familiennachzug. Das bedeutet, dass kein Nachweis der Lebensunterhaltssicherung und ausreichenden Wohnraums als Voraussetzung für die Einreise der Familienangehörigen notwendig ist.“
Der privilegierte Familiennachzug gilt nun aber ausweislich auch im Asylpaket II, denn dort heißt es weiterhin bezogen auf „Asylberechtigte und Flüchtlinge“: „Die Privilegierung der Familienzusammenführung besteht darin, dass von den Erfordernissen des ausreichenden Wohnraums und der Sicherung des Lebensunterhalts abzusehen ist.“
Die Mitarbeiterin des Bundesamtes erinnert den Autor dann noch in einem Nachsatz ihrer Email: „Bitte beachten Sie bei Ihrer Berichterstattung, von dem Begriff Asylant abzusehen, da dieser negativ konnotiert ist. Passende Begriffe sind z.B. Asylbewerber oder Asylsuchender.“ Wie nun allerdings der anerkannte Asylbewerber genannt werden darf oder soll, bleibt offen – wohl „anerkannter Asylbewerber“ statt Asylant. Nun gut …