Tichys Einblick
Im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr)

BfV-Präsident Thomas Haldenwang vor dem Kontrollgremium

Die etablierte Erzählung klammert Linksextremismus weiter aus. Was hat der nach dem Rausschmiss des politisch nicht mehr genehmen Hans-Georg Maaßen der im Bundesamt für Verfassungsschutz implantierte Thomas Haldenwang dem Parlamentarischen Kontrollgremium in der jährlichen öffentlichen Befragung zu sagen?

imago images / IPON

Haldenwang über Linksextremismus: „Der scheinintellektuelle Duktus in den sich linksextremistische Theoretiker gerne kleiden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier Hass und Hetze gegen Menschen gepredigt werden. Sie nennen es Antirepression, Antigentrifizierung oder Antifaschismus. Wir erkennen eine deutliche Steigerung der Militanz, der Aggression sowie eine neue Qualität personenbezogener Gewalt.“

Nicht nur im rechtsradikalen Spektrum muss eine wachsende Gewaltbereitschaft attestiert werden. Linkradikale werden zunehmend von der etablierten Politik und diversen Nichtregierungsorganisationen offen im Wort unterstützt und sogar verdeckt subventioniert. Und das schlägt sich dann auch einer eklatanten Zunahme gewalttätiger Angriffe auf politische Gegner, die Polizei aber auch in Übergriffen gegen eine wohlwollende etablierte Politik nieder.

Die etablierte Erzählung klammert diesen Teil des Extremismus weiter aus. So wurde dann mit einer gewissen Spannung erwartet, was der nach dem Rausschmiss des politisch nicht mehr genehmen Hans-Georg Maaßen an der Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz implantierte Thomas Haldenwang dem Parlamentarischen Kontrollgremium in der jährlichen öffentlichen Befragung zu sagen hat.

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Und die Zuhörer wurden nicht enttäuscht. Überraschend war hier eine gewisse konträre Eigendynamik des Juristen gegenüber der Leitlinie der Merkelregierung. Ebenfalls angehört wurden Bruno Kahl, Chef des Bundesnachrichtendienstes und Christof Gramm für den Militärischen Abschirmdienst. In der Geschichte des parlamentarischen Kontrollgremiums ist das die vierte öffentliche Anhörung seiner Geschichte. Die Veranstaltung kann in der Mediathek des Bundestages in der vollständigen dreistündigen Dauer nachgeschaut und -gehört werden.

„Kontrolle ihres Handels muss im Rechtsstaat auch gewährleistet werden und das haben wir auch in Corona-Zeiten getan, wenn der Bundestag nicht getagt hat“, eröffnet Armin Schuster (CDU) als Vorsitzender des Kontrollgremiums die Anhörung der Chefs der Dienste. Es wird live übertragen und anschließend in die Mediathek überführt.

Die Chefs der Dienste beginnen mit vorbereiteten Statements. BND-Chef Kahl liest von einem Digitalgerät ab. Einer seiner Schlüsselsätze in Zusammenfassung der Erkenntnisse seines BND:

„Allgemein wird das Vertrauen in Multilateralismus, Globalisierung und globale Interdependenzen international beschädigt.“

Feinde des Westens könnten „die Gunst der Stunde nutzen“, rote Linien überschreiten oder sogar neue Fakten schaffen, so Kahl gegenüber dem Gremium, und weiter als Folge der Coronakrise: „Radikalisierung und Migrationsdruck steigen.“ Zentrale Sorge des BND-Chefs in seiner Kick-off-Rede ist die mögliche Einschränkung der Arbeit des BND – das sei unbedingt zu vermeiden.

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Thomas Haldenwang darf als zweiter seine Zusammenfassung der Arbeit des Bundesverfassungsschutzes vortragen. Der rechte, der linke und der salafistische Extremismus seien weiter auf Wachstumskurs. Es gäbe eine zunehmende Gewaltorientierung. Rechtsextremismus und – terrorismus werde weiterhin als größte Bedrohung in Deutschland gewertet. „Die Virtualisierung, Radikalisierung und Entgrenzung bleiben die prägenden Merkmale rechtsradikaler Aktivitätsmuster.“ Um 33 Prozent auf rund 32.000 Personen sei das rechtsextreme Spektrum angestiegen. Die gewaltorientierten Personen darunter seien auf 13.000 angewachsen. Und auch der Anstieg antisemitischer Gewalttaten von Rechtsextremisten sei auffällig und hätte um 17 Prozent („17 Prozent!“ wiederholt Haldenwang) zugenommen.

Angesichts der Pandemiemaßnahmen sieht der oberste Verfassungsschützer „einen bekannten Mechanismus, den wir auch von Akteuren der neuen Rechten kennen. Konfliktpotenziale werden identifiziert, antidemokratische Positionen enttabuisiert und die Entgrenzung extremistischen Denkens praktiziert.“

Der Linksextremismus bestehe aus geistigen Brandstiftern, die sich als vermeintliche Feuerwehr für unterdrückte Werte und Gruppen inszenieren würden, „de facto aber das Löschfahrzeug mit Brennstoff beladen.“ Das Personenpotenzial im Linksextremismus sei hier um 4,7 Prozent angestiegen auf 33.500 Personen. Also noch geringfügig mehr, als Rechtsextremisten gezählt wurden. Allerdings werden demgegenüber lediglich 9.200 dieser Personen als gewaltorientiert gewertet.

„Der scheinintellektuelle Duktus, in den sich linksextremistische Theoretiker gerne kleiden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch hier Hass und Hetze gegen Menschen gepredigt werden. Sie nennen es Antirepression, Antigentrifizierung oder Antifaschismus. Wir erkennen eine deutliche Steigerung der Militanz, der Aggression sowie eine neue Qualität personenbezogener Gewalt. Nicht nur die Taten, auch die Zahlen sind besorgniserregend. Linksextremistisch motivierte Straftaten haben im Jahr 2019 um fast 40 Prozent zugenommen. Darunter waren auch 921 Gewaltdelikte und zwei versuchte Tötungsdelikte.“

Auch die Zahl der Sachbeschädigungen und Brandstiftungen durch Linksextreme sei jeweils um über 50 Prozent angestiegen.

„Um es klar in jede Richtung auszusprechen: Zahlreiche verletzte Personen und ein geschätzter Sachschaden in dreistelliger Millionenhöhe sind eine beschämende Bilanz.“ Und insbesondere wohl in Richtung des Linksextremismus: „Es gibt keine noblen Extremismus, erst recht nicht, wenn er gewaltförmig ist.“

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Haldenwang fühlt sich dann trotz der Kürze der ihm gegebenen Zeit in seiner Auftaktrede veranlasst, auf einen „konkreten Sachverhalt“ im Zusammenhang mit Linksextremismus einzugehen. Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes verweist auf die Partei Die Linke, bei welcher der Verfassungsschutz seit Jahren extremistische Strömungen innerhalb der Partei beobachten würde.

„Ich nenne hier die antikapitalistische Linke, die kommunistische Plattform und die sozialistische Linke. Diese Organisationen wenden sich nicht nur gegen die bestehende Wirtschaftsordnung, sondern sie streben eine mit dem Grundgesetz unvereinbare Staats- und Gesellschaftsform an.“ Einzelne Grundrechte würden hier komplett in Frage gestellt werden.

„Vor diesem Hintergrund finde ich es als Verfassungsschützer unerträglich, wenn ein prominentes Mitglied der erwiesen linksextremistischen Organisation Antikapitalistische Linke (AKL) Mitglied eines Verfassungsgerichtshofes wird.“

Ohne weiter ihren Namen zu nennen greift Thomas Haldenwang den Fall der Linken-Politikerin Barbara Borchardt auf, die mit Stimmen der CDU zur Richterin am Landesverfassungsgericht in Mecklenburg-Vorpommern gewählt wurde.

Die Statements der Dienstschefs dauern zusammengenommen etwas mehr als eine halbe Stunde, es folgten zweieinhalb Stunden individuelle Befragung durch die Mitgleider des Kontrollgremiums aus den im Bundestag vertretenden Parteien.

Der Abgeordnete Uli Grötsch (SPD) will von Haldenwang wissen, wie weit eine angekündigte Kontrollstelle gegen Extremismus im öffentlichen Dienst und bei den Sicherheitsbehörden vorangeschritten sei. Haldenwang bestätigt die Aufnahme der Arbeit dieser Stelle. Allerdings nur gegen Rechtsextremismus, auf den auch die Namensgebung der neuen Zentralstelle „Abteilung Rechtextremismus“ verweist, die ausschließlich Fälle von „Rechtextremismus im Amt“ erfassen und analysieren würde. Ein weiteres Projekt würde sich in Zusammenarbeit mit den Landesämtern um Rechtsextremismus in den Ermittlungsbehörden kümmern. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil der oberste Verfassungsschützer zuvor noch auf den Anstieg und die wachsende Gewaltbereitschaft des Linksextremismus hingewiesen hatte.

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Ein weiteres umfangreiches Thema mit hohem Nachfragebedarf nehmen beim Kontrollgremium die extremistischen Vorfälle innerhalb des KSK (Kommando Spezialkräfte) ein. Hier sind die Dienstchefs offenbar bemüht, vor dem Kontrollgremium Vertrauen in Institution und Kontrollmechanismen zurückzugewinnen. Der Abgeordnete Stephan Thomae (FDP) im Kontrollgremium wünscht sich hier zukünftig eine Art Whistleblower-System oder – Kultur auch in solche Spezialeinheiten implantiert.

Über eine Fragestellung der Abgeordneten Andrea Lindholz (CSU) findet dann tatsächlich auch noch das Gender-Thema in der Befragung der Dienstchefs statt. Sie möchte wissen, wie es um Frauen im Extremismus steht. Das wäre ja im Bereich Islamismus und IS-Rückkehrerin schon „hier und da“ besprochen worden. Lindholz will wissen, welche Funktionen Frauen hier haben. Nun hatte Haldenwang ja bereits eine extremistische Frau in seiner Auftaktrede explizit erwähnt, als er die linksextremistische Verfassungsrichterin Barbara Borchardt explizit nannte und deren Funktion „unerträglich“ fand. Thomas Haldenwang atmet vor seiner Antwort hörbar tief durch – dachte er an Borchardt? – bevor er dann allerdings ohne Borchardt explizit zur erwähnen antwortet: „Frauen im Extremismus … auch in diesem Bereich sind Frauen auf dem Vormarsch.“

Dann konzentriert sich der Verfassungsschutzpräsident länger auf IS-Kämpferinnen, bevor er auf die hohe Zahl an Frauen gerade im linksextremen Spektrum zu sprechen kommt mit Betonung auf „gerade im gewaltorientierten Linksextremismus“. Er spricht einen besonderen Fall linksextremistischer Frauenschaft an, wo eine Frau Anführerin einer linksextremen Gruppe gewesen sei, die „mit brutalsten Mitteln auf die Gegner eingedroschen haben.“ Bei der Frau seien später auch spektakuläre Waffenwunde gemacht worden. Im Linkextremismus seien Frauen nichts Ungewöhnliches.

In den direkten Straßenschlachten mit der Polizei sollen Frauen laut Haldenwang ebenfalls dabei sein, aber zu geringeren Anteilen. Im Rechtsextremismus würden Frauen aufgrund des „sehr herkömmlichen Weltbildes“ hingegen keine so große Rolle spielen. Sie gehörten „nur so im Umfeld der Gruppierungen irgendwie dazu“, so Haldenwang. Dazu müsste man aber „Prozentzahlen noch einmal erheben“, was der Verfassungsschützer in einer der nächsten Sitzungen gerne einmal tun könne wenn erwünscht, bietet er dem Kontrollgremium an.

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Thomas Haldenwang erzählt weiter, dass man mit den Diensten anderer Länder, mit denen man bisher insbesondere in Sachen IS-Terrorismus zusammengearbeitet hätte, nun auch insbesondere Rechtsextremismus gemeinsam verfolgen würde, wenn dieser grenzüberschreitend tätig wird. Weiter hält es der Präsident des Bundesverfassungsschutzes für eine „sehr erfreuliche Entscheidung“, dass die AfD bis zum Oberverwaltungsgericht damit gescheitert sei, zu verhindern, dass Flügel und Jugendorganisation der Partei im Verfassungsschutzbericht auftauchen.

Das Gericht hätte im Übrigen auch explizit bestätigt, dass es eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes sei, auch politische Parteien zu beschauen: „Auch im Bundestag vertretende Partei können und sollen durch den Verfassungsschutz eben in den Blick genommen werden.“ Der Flügel der AfD hätte sich zwar aufgelöst, der Verfassungsschutz schaue nun aber genauer, wie das weiter wirken würde in der Partei. Deshalb wäre es umso mehr wichtig, „da jetzt genau hinzuschauen.“, so Haldenwang ergänzend.

Der grüne Konstantin von Notz will von den Chefs der Dienste zuletzt noch wissen, wie es um den Antisemitismus bestellt sei. Haldenwang erinnert an eine Studie, die besagen würde, dass bei etwa 20 Prozent der deutschen Bevölkerung eine antisemitische Grundhaltung verbreitet sei. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um eine Studie etwa des Verfassungsschutzes, sondern um eine von Nichtregierungsorganisationen, deren hohe Fehlerhaftigkeit auch TE bereits kurz nach Erscheinen nachgewiesen hatte. U.a. und insbesondere was den fehlenden Anteil der ausführlichen Besprechung eines muslimischen Antisemitismus aus einem bestimmten jüngeren Teils der Bevölkerung angeht.

An diesem Beispiel zeigt sich dann auch, wie sehr Thomas Haldenwang in der Erzählung der etablierten Politik gefangen ist und warum er für diese Kreise der ideale Kandidat war, den unbequemen Präsidenten Maaßen zu ersetzen. Es mag ja Eindruck machen, wenn sich Haldenwang für den Moment die linksextremistische Verfassungsrichterin vornimmt und ihre Ernennung „unerträglich“ findet.

Viel interessanter weil erheblicher allerdings sollte es doch für die Arbeit eines Verfassungsschützers sein, dort zu schauen, wo die Gefahr um ein Vielfaches größer ist. Oder wie es – um nur einen von vielen Kritikern zu nennen – der Verfassungsrechtler und Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz noch Anfang des Jahres 2020 erneuert hat: „Die Migrationsentscheidung vom Herbst 2015 war verfassungswidrig und europarechtswidrig. Ein Zustand der bis heute andauert.“ Nur das Gesetz und die Verfassung seien die maßgebliche Linie. „Keine sogenannte Moral darf sich darüber hinwegsetzen.“ Andernfalls sei der Rechtsstaat am Ende. Soll der Verfassungsschutz nun aber neben den Parteien im Bundestag, wie es Haldenweg explizit erwähnte, nun auch die Bundesregierung selbst beobachten dürfen und müssen?

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