Das muss man sich einmal vorstellen wollen: Die Bundeskanzlerin stellt in Brüssel zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft gerade erst die Freiheits- und Grundrechte als hohes Gut „in den Fokus“ ihres Interesses und nur wenige Wochen später demonstrieren Angehörige von Merkels Koalitionspartner (und Möchtegernkoalitionspartner) in der Berliner Senatsregierung, was die Uhr tatsächlich geschlagen hat: Demonstrationen am Wochenende gegen die Corona-Maßnahmen – die im Übrigen ihrem Wesen nach ohnehin längst solche gegen die Merkel-Regierung geworden sind – werden verboten.
Wie sagte Merkel in Brüssel? „Die Grundrechte, das ist das erste, was mir in der Ratspräsidentschaft am Herzen liegt.“ Das ist die Dialektik alternder Despoten,
der rasselnde Atem von Erich Mielke: Da, wo die Kritiker vermeintlich zuerst ansetzen könnten, wird vorauseilend ein Dementi platziert. Merkels Angriff auf die Grundrechte werden von ihr um 180 Grad gedreht hin zu einer Herzensangelegenheit, zu einem emotionalen Propagandamoment einer Eiskalten. Merkel gibt den kleinen Lukaschenko mit Luft nach oben, indem sie es sich mit dem Benzinkanister inmitten der von ihr selbst provozierten Auflösungserscheinungen bequem gemacht hat – und nachgießen lässt.
Die kommende Demonstration wurde jetzt also verboten. Wie aber soll der Bürger hier seine Empörung eigentlich noch zivilisiert zum Ausdruck bringen, wenn ihm darüber die Wut so hoch kocht? Schon forderte eim Medienvertreter Wasserwerfer. TE hatte berichtet. Was kommt als Nächstes, wenn die Bürger nicht spuren wollen? Militär?
„Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird. (…) Der Staat lässt sich nicht an der Nase herumführen.“ Geisel erwartet außerdem, dass sich jetzt alle „Demokratinnen und Demokraten“ zu bekennen und zu distanzieren haben. Wie widerlich ist das eigentlich auf dem Boden der Verwerfungen des 20. Jahrhunderts stehend, mitten in Berlin, mit faulem Atem den Vorabend des Faschismus hochleben zu lassen? Ist das eigentlich nur a-historisch oder schon willentlich vollkommen entgrenzt?
Und wer noch meint, solche Anwürfe hier seien etwas zu mächtig, der möge bedenken, dass Geisel im selben Atemzug mit einem „entschiedenen Eintreten der Polizei“ droht. Aber hat der Mann vergessen, wie er diese Polizei in den Monaten zuvor systematisch entmannt, diffamiert, diskreditiert und denunziert hat als potentiell rassistische Nazihorde? Und die will er jetzt gegen demonstrierende Regierungskritiker in Feld führen? Wenn das mal nicht schief geht, Augenzwinker Richtung Polizei.
Aber was genau ist eigentlich verboten? Doch nur eine Versammlung am Freitag und nicht die am Samstag? Schon wird beispielsweise von den Querdenkern verneint, dass es so ein Verbot überhaupt gäbe. Aber selbst wenn dieses Verbot nicht über den Freitag hinaus gelten sollte, wer kommt dann noch am Samstag? Eine empfindliche Dezimierung wäre damit erreicht ohne Waffengang.
Alles was der Berliner Innensenator Andreas Geisel gesagt hat, ist gallig. Voller Gift, wo längst vielfach belegt ist, dass dort in großer Mehrheit die Mitte der Gesellschaft demonstriert hat, Familien, Frauen, Kinder, Alte. Toxisch, wo ausgerechnet Geisel Polizeikonsequenz fordert. Und abstoßend in der Tonalität, denn Hass und Hetze basieren genau auf solchen Frontstellungen, die der Innensenator hier aufstellen will: Mensche aufeinander hetzen um den Hass nach oben nach unten umzulenken: Der dämliche Michelmob soll sich doch selbst verdauen, so lange, bis die Ideologie zur nicht mehr debattierbaren Staatsräson geworden ist.
Längst vergessen ist, dass sich Geisel Parteifreundin, die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht noch Anfang August 2020 gegen ein Verbot der so genannten „Corona-Demonstrationen“ ausgesprochen hatte. Jedenfalls hatte sie – aus heutiger Sicht fast schon heuchlerisch zu nennen – bekundet: „Ich finde es ganz wichtig, dass wieder Demonstrationen stattfinden können und Menschen dort ihre Meinung, auch zur aktuellen Corona-Politik der Bundesregierung, frei und öffentlich äußern können.“ Ach, sei doch einfach still, möchte man ihr jetzt nachrufen.
Die Regierung hat sich entschieden. Und die antifabegeisterte linksgrün- ideologisierte Merkelentourage der Berliner Senatsregierung hat jetzt eiskalt vollstreckt. Die Entscheidung fiel zwischen zwei Alternativen: Was wollen wir riskieren? Wollen wir die Demo zulassen nur um uns dann anschließend wieder um Zahlenspiele bemühen zu müssen und darum, diese Nazis im Demozug zu suchen und zu identifizieren? Oder wollen wir vom Regen in die Traufe und das Ding gleich ganz verbieten über eines der wichtigsten Grundrechte freiheitlicher Gesellschaften hinweg? Ja, man hat sich für letzteres entschieden, als gäbe es keinen dritten Weg, nämlich den des Rechts.
Aber was für ein Bild gibt das ab ausgerechnet in einer Zeit, wo Lukaschenko mit dem Maschinengewehr im Fernsehen auftritt während die Demos gegen seine Politik verboten werden, aber trotzdem passieren? Kann man gegen das Volk regieren und glauben, man könnte dabei die Illusion einer demokratischen Gesellschaft aufrechterhalten?
Natürlich nicht. Aber was soll das dann, was gerade in Berlin passiert und den Charakter eines beginnenden Putsches gegen das Volk bekommt, so der Irrsinn nicht von höheren unabhängigen Instanzen gestoppt wird. Wo sind diese verfassungsgemäß unabhängigen Instanzen in diesem Moment?