Tichys Einblick
"Botswatch"

Berliner „Quatschstudie“ zu Social Bots in Debatte zum Migrationspakt

Die Bot-Analyse wurde am Tag der Verabschiedung des Migrationspakts publik. Das mag Zufall sein oder auch nicht. Sicher ist jedenfalls, dass sie herangezogen werden kann, um Kritiker des Paktes zu diskreditieren und die Debatte darüber als aufgeblasen und fremdgesteuert darzustellen.

Getty Images

Bei „Botswatch“ in Berlin ging auch nach mehrfachen Versuchen leider keiner ans Telefon, aber gut, vielleicht haben wir das kleine Unternehmen, das in den letzten Tagen für so viel Wirbel sorgte, auch in der Mittagspause, Meetings oder sonstigem erwischt. Möglicherweise rief gerade die Werksirene zum Suppe fassen. Es kann aber auch sein, dass die Internetanalysten der Anfragen überdrüssig sind, weil diese sich zu eingehend mit einer Studie der GmbH befasst haben, die in Sachen Internetdebatte zum Migrationspakt behauptet, es gäbe hier auffällig zu viele automatisierte Kommentare, also so genannte Social-Bots. Die sollen nämlich laut Botswatch die Twitter-Diskussion über den UN-Migrationspakt manipuliert haben. Und auch bestimmt?

Einmal mehr ist es der Neuen Zürcher Zeitung zu verdanken, dass ein bisschen Ordnung hineinkommt in den sedierten deutschen Blätterwald, wenn die Schweizer aus Zürich (in diesem Fall) aus ihrem Berliner Büro kritisch herüberschauen, hin zu Botswatch nach Berlin-Mitte.

Nun liest sich, was die Züricher teilweise investigativ ermittelt haben, als müssten die Berliner Startupper ihre Innovationspreise besser zurückgeben. Aber nicht nur die, wenn sich das Unternehmen selbstbewusst auf Twitter so vorstellt: „Cyber Intelligence at a Rapid Scale. SXSW 2018 Interactive Innovation Award Finalist ‚Privacy & Security‘. Winner SXSW ‚New Technologies Startup AI and more‘.“

Tatsächlich: Umso eingehender man sich zunächst oberflächlich mit den Botswatchern beschäftigt, desto mehr drängt sich der Eindruck auf, hier handelt es sich vielmehr um eine Filiale von Böhmermann meets Zentrum für Politische Schönheit meets Martin Sonneborn von Die Partei. Zu merkwürdig oft die Selbstdarstellungen, zu selbstgefällig die Außendarstellung, mit einem Wort: Da läuft irgendetwas unrund, aber was?

Hinzu kommt: Nach der wachsenden Kritik an der Vorgehensweise in Sachen Migrationspakt ist das Unternehmen auf Twitter seit dem 10. Dezember auf Tauchstation gegangen (Stand 15. Dez. 2018 10:35 Uhr). Zuletzt wird hier ein Alexej Hock retweetet, der zum Thema für WELT geschrieben und die „Studie“ von Botswatch gerne unreflektiert übernommen hat, die sich im Gegenzug wiederum mit einer Verbreitung des Artikels bei Twitter bedankten: „Social Bots mischen in der #Migrationspakt-Debatte auf @Twitter in außergewöhnlichem Maße mit – fast 30 Prozent der Tweets sind künstlich, so eine Analyse von @botswatch, die @welt @investigativ_de exklusiv vorliegt.“

Aber kommen wir zurück zur Neuen Zürcher Zeitung, die in der Sache offensichtlich die Ehre der Zunft retten muss, wo deutsche Leitmedien die Nachricht ihrer selbst willen lieben, aufnehmen und ungeprüft veröffentlichen. Die Botswatch-Analyse wurde hier von zahlreichen Medien aufgegriffen und gerne als Tatsache präsentiert. Die pingeligen Schweizer hingegen fassen zunächst zusammen, was das eigentlich ist; was diese Social Bots überhaupt bedeuten. Mit anderen Worten, hier wird nicht willfährig nachgeplappert, was so ungemein modern und innovativ klingen will.

Social Bots: „Darunter versteht man automatisierte Programme, die sich in den sozialen Netzwerken als Menschen ausgeben und deren Verhalten imitieren. Falls sie zahlreich auftreten, können sie womöglich das Meinungsklima beeinflussen. Laut einer Analyse des Unternehmens Botswatch stammten rund 28 Prozent aller deutschsprachigen Tweets zum Migrationspakt von Social Bots.“

Und weiter die NZZ mit dem eigentlich Einfachsten und Naheliegendsten, was man als Zeitung machen kann: Sie hinterfragen kritisch und ziehen Experten zu Rate, die nichts mit der kleinen deutschen GmbH zu tun haben. Siehe da, die Resultate sind ernüchternd für die Berliner, wenn die Zürcher und die von ihnen zitierten Experten feststellen: Eine stichprobenhafte Untersuchung kommt „zu dem Schluss, dass der Anteil von Bots in der Debatte um den Migrationspakt bei etwa 6 Prozent liege. Darunter seien allerdings auch automatisierte Accounts von Medienhäusern.“

Es sind demnach noch weniger als die genannte sechs Prozent. Und damit näheren sich die realen Zahlen möglicherweise steil der Behauptung an, dass es gerade in der Migrationspakt-Debatte weniger Social Bots, also weniger automatisierte Kommentare im Vergleich zu thematisch anderen Debatten gegeben haben könnte.

Florian Gallwitz, Professor für Medieninformatik an der Technischen Hochschule Nürnberg zieht den Berliner Botswatchern gleich einen weiteren Zahn, wenn er befindet: „Die Frage, welche Accounts als Bots zu klassifizieren seien, sei wissenschaftlich nicht geklärt.“ Und dann die finale Absage an die Seriosität der Berliner aus Nürnberg: „Deshalb ist jede quantitative Aussage über Bots unseriös.“

Der Social-Media-Analyst Luca Hammer hämmert seinen Sargnagel in besagtes Unternehmen, wenn er daran erinnert, dass das Unternehmen bereits weitere Kurzanalysen mit „fragwürdigen Kriterien“ veröffentlicht hätte. Wieder Gallwitzer sprach gar von einer „gezielt lancierten, unveröffentlichten Quatschstudie ohne belastbare Daten.“

Nun erklärte die Botswatch Geschäftsführerin Tabea Wilke auf die Nachfrage, wie denn ihr Unternehmen nun genau Bots definieren würde und mit welcher Methode man in Berlin Bots von echten Nutzern unterscheidet, das zähle zu den Betriebsgeheimnissen ihres Unternehmens. Die Zürcher erfahren lediglich von Botswatch: „Man habe allerdings einen „ganz eigenen Kriterienkatalog“ entwickelt, um Bots per automatisierter Software aufzuspüren.“

Nun braucht es keines besonderen journalistischen Kriterienkatalogs um zu entscheiden, was das ist, was da in Berlin als vermeintliche Scoop-Meldung zusammengeschustert wurde, Professor Florian Gallwitz hat ja bereits hinreichend zusammengefasst, was von so einer „Studie“ zu halten ist.

Die Schweizer Zeitung weiß aber noch mehr: Die Botswatch-Geschäftsführerin sei CDU-Mitglied und wurde unlängst zu einem nichtöffentlichen Gespräch über künstliche Intelligenz ins Bundeskanzleramt eingeladen. Zwei weitere der fünf Mitglieder des „Advisory Boards“ von Botswatch seien ebenfalls CDU-Mitglieder, so die NZZ. „Zu den Beratern von Botswatch gehöre zudem der bestens vernetzte PR-Fachmann Axel Wallrabenstein, der sich selbst als „Merkel-Fan“ bezeichnet. Außerdem wird Botswatch von dem christlichdemokratischen Bundestagsabgeordneten Kai Whittaker beraten, der Merkel-Kritiker mit „Säuen“ verglich, die sich im Dreck suhlen.“

Was für ein unappetitliches Geflecht ist das nun aber rund um eine Studie, die sich wissenschaftlich nennt, aber den Ruch einer Gefälligkeitsstudie wie einen Mühlstein hinter sich herzieht. Fazit der Kollegen von der Neuen Züricher Zeitung: „Die Bot-Analyse wurde am Tag der Verabschiedung des Migrationspakts publik. Das mag Zufall sein oder auch nicht. Sicher ist jedenfalls, dass sie herangezogen werden kann, um Kritiker des Paktes zu diskreditieren und die Debatte darüber als aufgeblasen und fremdgesteuert darzustellen.“

Die mobile Version verlassen