Tichys Einblick
Verkehrte Welt

Bei Lanz: Wenn Komiker den Politikern die Sorgen der Menschen erklären müssen

Erst bringt Ingo Appelt bei Markus Lanz für SPD-Vize Kevin Kühnert auf den Punkt, was die (bisherigen) Wähler der SPD umtreibt und beschäftigt - kurz darauf ist es Bülent Ceylan, der Cem Özdemir erklärt, warum er als Innenminister "noch knallhärter" wäre.

Screenprints: ZDF/Marrkus Lanz

Ist das jetzt der neue deutsche Humor, wenn die beiden türkischstämmigen Deutschen Bülent Ceylan (Komiker) und Cem Özdemir (Politiker) sich bei Markus Lanz folgendermaßen in die Sendung einführen:

Lanz fragt, ob sich die beiden kennen, Ceylan lacht, legt Özdemir die Hand auf und sagt: „Klar, Kanaken kennen sich.“ Weiter Ceylan: „Ich habe ihn vorher gefragt, darf ich Kanake sagen? Er so: ja, ist ok.“ Wieder großes Gelächter. Özdemir retourniert aus seiner Schulzeit den damaligen Dauergag auf seine Kosten und auf eine populäre Ratesendung anspielend: „Ich kaufe ein Ö.“ Mitunter also sympathisch alle beide – jenseits ihrer politischen Haltung oder ihrer Tätigkeit.

Weitere schöne Szene ebenfalls, als Özdemir ein wenig selbstironisch wird und sagt: „Wir Grünen erzählen manchmal auch viel Quatsch.“ Und daraufhin der Applaus ein bisschen zu laut ausfällt. „Das war nicht die Erfüllung meiner Träume, mit Christian Lindner vier Wochen in einem Zimmer sein zu müssen.“, geht unter großem Gelächter und Applaus weiter zu den Jamaika-Verhandlungen. Schade nur, dass Lindner nicht auch in der Sendung sitzt, der hätte sicher eine erhellende Antwort parat gehabt. Später stellt sich dann noch heraus, dass die beiden mal gute Freunde waren, was verständlicherweise etwas abgekühlt ist, nachdem Lindner Özdemir den Außenminister versaut hatte.

Interessant ist weiter, dass Özdemir meint, die Grünen müssten in zukünftigen rot-rot-grünen Koalitionen die bürgerliche Stimme sein. Das sagt viel über das Selbstverständnis der Grünen aus, aber noch mehr über den Blick auf die SPD von morgen. Denn wo hat die sich dann positioniert, wenn nicht im bürgerlichen Lager? „In einer Koalition mit den Schwarzen müssten wir diejenigen sein, die auch die Sorgen der Arbeitnehmer im Blickfeld haben.“ Ein Satz, der natürlich sofort die Frage aufwirft, ob den Grünen diese Klientel bisher herzlich wurscht war.

Lanz erinnert daran, dass Ministerpräsident Wilfried Kretschmann, bevor er Özdemir gerade als einen möglichen Kanzlerkandidaten nannte, mal ins Spiel gebracht hätte, dass Özdemir auch gut Bundesinnenminister sein könnte. „Ich kann gar nicht Innenminister werden, ich wäre, glaube ich, viel zu hart. Verhindern Sie das.“, lächelt Özdemir den Vorschlag schnell weg. Das bringt wiederum Bülent Ceylan auf den Plan: „Das wäre der Hammer. Wenn Du dann so richtig einen raufhaust so als Türke, dass wäre mega. Du kannst ja alles machen. Du kannst auch so reden mit den ganzen Kanaken. Du kannst ganz anders mit denen reden.“ Und ans Publikum gewandt: „Man nimmt es ihm nicht übel.“

Bülent Ceylan erzählt davon, dass das durchaus funktioniert. Er ginge selber manchmal an Schulen, da gäbe es eine bestimmte Klientel, da sage er schon mal: „Pass auf, lern deutsch! Sonst Abschiebung!“, lacht er. „Wenn das ein Deutscher macht, dann wäre er Rassist, aber ich als Kanake darf das ein bissl.“ Und weiter sagt Ceylan wir würden immer von Integration reden, „aber wir lassen nie einen Türkischstämmigen (ran), OK, er muss ja nicht gleich Kanzler werden, machen wir erst einmal Innenminister oder Außenminister.“, sagt er bezogen auf zukünftige Rollen von Özdemir. „Schon das Bild alleine, er zu Erdogan, ey alter Vater, das wäre geil. Dann darf ich vielleicht auch mal wieder in die Türkei.“

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Bei den Ceylans gab es jedes Jahr einen Weihnachtsbaum, berichtet der Komiker. Seit die Familie 1958 nach Deutschland kam, der Vater hätte nur statt „Alle Jahre wieder“, „Allah Jahre wieder“ gesungen, scherzt Ceylan oder es war tatsächlich so. Ernster weiter: Sein Vater hätte schon ganz früh vor Erdogan gewarnt, wenn der mal an die Macht käme, das wäre der Untergang für die Türkei. Auch zum Thema Kopftuch wäre der Atatürk-Anhänger rigoros dagegen gewesen. Heute gäbe es in Sachen Kopftuch ja „ein Rollback weltweit“, erinnert Lanz daraufhin. „Mein Vater war erst einmal nur dankbar und offen für alles und hat vieles auch angenommen.“ Man müsse ja nicht gleich Schweinefleisch essen, um wirklich integriert zu sein. „Wenn ich in ein Land gehe und möchte dort leben (…) muss man sich anpassen. Man muss auch die Frau respektieren. Wenn Du in ein Land kommst und hast ein ganz anderes Frauenbild, bist ein junger Kerl, kommst hierher und wirst konfrontiert (beispielsweise mit) Hamburg Reeperbahn, dann bist du geschockt.“

Und weiter: „Man muss denen auch klipp und klar sagen, die Frauen haben sich hier alles erarbeitet. Hier herrscht Gleichberechtigung, man grabscht keine Frau an, egal ob das ein Deutscher ist oder wie auch immer.“ An Özdemir gerichtet: „Als Innenminister wäre ich noch knallhärter.“ „Sehr gut“, wirft Özdemir schon ein bisschen schulmeisterlich ein. „Das sind so Dinge, die haben nichts mit Rassismus zu tun, das ist doch einfach Anstand.“ Ceylan lacht zu Özdemir: „Ich bin eigentlich als Komiker eingeladen worden, jetzt übernehme ich deine Rolle.“ Daumen hoch von Özdemir: „Du machst das sehr gut.“

Klar, das sind laute Töne vom Komiker, auch ein stückweit auf Stammtischniveau. Aber wo sind diese Töne beim Politiker Özdemir, wenn es tatsächlich einmal um politische Entscheidungen bzw. oppositionelle Forderungen geht? Denn das vergessen mittlerweile immer mehr: Die Grünen sind – zumindest offiziell – eben noch nicht Teil der Großen Koalition.

Und Lanz ist pfiffig genug, einmal nachzuhaken bei Özdemir: „Aber was heißt das den jetzt? Kopftuchverbot für Minderjährige?“ Özdemir erinnert tatsächlich daran, dass für ihn ein Kopftuch für kleine Mädchen schon eine Art Sexualisierung sei. Es mache diese Mädchen zu „Sexualobjekten“. Verschleiern sei eigentlich gedacht, es dem Manne zu erleichtern, seine Triebe zu kontrollieren. Aber wenn dem so sei bei Mädchen, dann sollte sich der Mann vielleicht überlegen, ob er nicht in eine Therapie muss.

„Wer in einem kleinen Kind etwas anderes sieht, als ein kleines Kind, der sollte das Problem nicht beim Kind suchen.“ Özedmir schlägt mit viel Sarkasmus in der Stimme vor, dem Mann die Augen zu verschleiern, der so etwas befürwortet. Kopftuch müsse bei Frauen der eigene Wille sein, nicht der „vom Bruder, Vater oder Nachbarn.“ Dann müsse man das akzeptieren.

„Wir sind ja keine Erziehungsdiktatur, die den Menschen sagt, was die richtige Rocksaumlänge ist.“ Das vielleicht nicht, aber solche Sätze aus dem Mund eines Grünen sind gefährlich wie die Hand auf der politischen Herdplatte, wenn „Erziehungsdiktatur“ hier möglicherweise vielfach und übel zum Querschläger werden könnte. „Bei kleinen Kindern hat das Kopftuch nichts verloren.“, positioniert sich Özdemir final.

Lanz fragt Bülent Ceylan, warum heute jedes konservative Argument ein rechtes Argument wäre. Denn man müsse doch sagen dürfen, was man denkt und was möglicherweise auch Fakt ist, insistiert Lanz weiter.

Ceylan betont zunächst, er hätte auch im Osten immer ein tolles Publikum. „So viele haben es satt, immer gleich als Nazi beschimpft zu werden, nur weil es jetzt dort passiert ist“ (bezieht sich auf Halle). Es bedürfe wohl erst noch eines Kanaken (er spricht hier die Deutschen in Ost und West an) „um euch alle wieder zusammenzubringen.“ „Man ist nicht gleich Nazi, wenn man Ängste loslässt. (…) Es heißt doch nicht, dass man dann gleich Rassist ist.“

Und hier stellt sich dann aber auch die bittere Frage, ob es in Deutschland am Ende ein paar Komiker richten müssen, Dinge zu benennen, wenn zuletzt Ingo Appelt ebenfalls bei Lanz der SPD-Hoffnung Kevin Kühnert die sozialdemokratischen Möbel auf eine Weise gerade rückte, dass der Ausschnitt dieser Sendung in den sozialen Medien zum Klickmonster wurde. Appelt hatte Kühnert einmal die SPD erklärt, weil der seine aus den Augen verloren hat. Und was die Arbeitnehmerschaft so von der neuen Klimapolitik halte und davon, dass bestimmte Themen nicht zur Sprache kämen, die den Leuten auf der Zunge brennt.

Wer also bisher etablierte Politiker bestenfalls nur noch für schlechte Komiker gehalten hat, der tat damit möglicherweise den Komikern unrecht, wenn die es jetzt ersatzweise und auf fragwürdigem Talkshow-Niveau richten sollen, die Probleme der Leute zu benennen und zu vermitteln, wenn die also in Deutschland schon näher dran sind am Bürger, als die Politik es je war.

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