Wie macht das unsere Regierung eigentlich, wenn sie versprochen hat, Autobahnen nicht zu privatisieren, dann aber genau das will? Routiniert: Die ungeliebte Privatisierung wird einfach in eine Kiste mit vielen andern Gesetzen gestopft – und schwupps ist sie verschwunden und kaum einer merkt es. Bis auf eine. Und die ist ausgerechnet noch Oppositionsführerin im deutschen Bundestag. Auch nicht schlimm: Dann macht man sie eben zur AfD, selbst, wenn sie eine Linke ist.
Und so schimpft also Johannes Kahrs, Bundestagsabgeordneter der SPD am 1.Juni 2017 die Kollegin abermals „Beatrix von Wagenknecht“. Anlass war die Empörung der Abgeordneten Wagenknecht zu einem angeblichen Ausverkauf der deutschen Autobahnen als „Melkkuh für private Profite“.
Nun soll es sogar vernünftige Leute geben, die für Privatisierungen sind. Unabhängig davon mutet es seltsam an, was sich die Regierung da zusammengebastelt hat. So erkaufte man sich beispielsweise die Zustimmung des Bundesrates mit so einem besagtem Paket, das auf der einen Seite zwar über den Bund-Länder-Finanzausgleich den Bundesländern in Zukunft neun Milliarden Euro mehr an finanziellen Mitteln verschafft, aber auf der anderen Seite eben auch die Zustimmung zu einer schleichenden Privatisierung der deutschen Autobahnen beinhaltet. Ein Kuhhandel der üblen Sorte, der allen gefiel. Sehr zum Ärger der Bundespartei übrigens sogar denen von der Partei die Linke in den Länderregierungen.
Ein Skandal, findet nicht nur Sahra Wagenknecht als Oppositionsführerin des 18. Bundestages. Nein, der Bundestagspräsident höchstpersönlich findet das alles nicht nur „formal grenzwertig“, für Lammert wurde ein „monströser Eingriff in das Grundgesetz“ beschlossen, dem er seine Zustimmung als Abgeordneter versagte. Ein Skandal. Denn der Bundestagspräsident ist Kraft seines Amtes Hüter der Würde des Hauses. Ein planmäßiger Angriff auf das Grundgesetz dürfte diese Würde deutlich konterkarieren.
Offensichtlich besonders perfide ist es, wenn die Regierungsparteien
dann noch beschwichtigend von einer „Privatisierungsbremse“ sprechen, wo man doch eigentlich nichts bremsen muss, das nicht schon auf den Weg gebracht wurde hin zu einer solchen Privatisierung. Wenn die Regierung keine Autobahnprivatisierung will, warum überträgt Sie dann die Nutzungsrechte und die Verwaltungskompetenz für die Autobahnen an eine Gesellschaft privaten Rechts? Wo genau ist da eine „Bremse“? Vielleicht nur eine Bremse für Bürger, die da nicht schnell genug durchblicken sollen bei so viel Dialektik?
Zwar verbietet man diese Privatisierung dann auf „wesentlichen Teilen“ des Streckennetzes. Nur was sind nun wieder wesentliche Teile? Da drechselt offensichtlich im Hinterzimmer ein Stamm von Advokaten und Lobbyisten so lange an dem Transparenzgebot, bis aus einem glatt geschliffenen Gesetz eine kryptische Chimäre entstanden ist. Bereit, durchgewunken zu werden. Aus dem Auge aus dem Sinn mit dem Paragrafen-Monstrum. Und mit der Aussicht auf viele Posten für Parteileute.
„Ein bisserl was geht immer“, hätte dazu die legendäre TV-Figur „Monaco Franze“ gesagt. Und der Dönerjunge an der Ecke hätte „Mit Alles?“ gefragt.
Welcher Jurist will präzise erklären, was wesentlich oder unwesentlich sei, fragte Wagenknecht im Bundestag. Und bekam dafür nicht weniger als ein dutzend empörter Zwischenrufe des Abgeordneten Johannes Kahrs (SPD). Petitesse am Rande: Kahrs kennt deutsche Autobahnen nur aus dem Fond seiner Abgeordneten-Limousine, besitzt er doch nicht einmal einen Führerschein. Als passionierter Guttempler verweigert er zudem einen Fernseher (wikipedia). Was immer das nun wieder für die Meinungsbildung eines gewählten Volksvertreters bedeuten mag.
Noch im November 2016 hatte der heutige Außenminister vollmundig erklärt, dass die von Finanzminister Schäuble geplante Autobahnprivatisierung durch sein Veto gestoppt sei: „Wir konnten durchsetzen, dass die Privatisierung von Bundesstraßen und Autobahnen ausgeschlossen wird.“ Pustekuchen. Und ein übles Täuschungsmanöver, fand damals die ZEIT. Die Privatisierung sei nicht etwa ausgeschlossen, das Gegenteil sei der Fall.
Aber mittlerweile ist ja Gabriel Außen- und nicht mehr Wirtschaftsminister, da darf die Welt dann schon mal ganz anders aussehen. Wahrscheinlich muss man den deutschen Bürger so hinters Licht führen, wenn anzunehmen ist, dass eine Mehrheit so einem Ausverkauf von Volksvermögen niemals zustimmen würde. Den Wert deutscher Autobahnen schätzen Experten heute auf bis 200 Milliarden Euro. Erarbeitet von Generationen von Steuerzahlern. Der Sozialdemokrat Gabriel selbst hatte die Idee populär gemacht, weiß die ZEIT: Man gliedert die Autobahnen in eine GmbH oder AG aus – und an dieser können sich dann zum Beispiel Banken oder Versicherungen beteiligen.
Zwar will man eine unter staatlicher Regelung stehende privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft einsetzen und das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen im Grundgesetz festschreiben. Aber die Realität sieht anders aus, weiß beispielsweise Georg Hermes, immerhin Professor für öffentliches Recht: „Die Klausel ermöglicht eine echte Privatisierung. Wenn Gabriel etwas anderes behauptet, täuscht er die Wähler.“
Mit einfacher Mehrheit im Bundestag können nun zukünftig die Anteile des Bundes veräußert werden, was vorher per Grundgesetz explizit untersagt war. Wie immer man sich gegenüber linker Politik positioniert, Sahra Wagenknecht stellt richtige Fragen. Fragen, die sonst offensichtlich kein anderer im Bundestag stellen will:
„Wenn Sie wirklich keine Autobahnprivatisierung wollen, warum übertragen Sie dann die Nutzungsrechte und die Verwaltungskompetenz für die Autobahnen an eine Gesellschaft privaten Rechts?“ Zwischenruf des Abgeordneten der SPD, Sören Bartol: „Effizienz!“
Zu befürchten ist nun allerdings, dass dieses Modell Schule macht. Beispielsweise bei der Privatisierung von Schulen. Ach, es gibt genug Silber, das man verhökern könnte, wenn man nur behauptet, es würde in privater Hand besser geputzt werden. Und wenn man es nur in die nächste prallvolle Gesetzeskiste mogelt, um es durchzuboxen bei den überforderten oder schon ganz willfährigen Abgeordneten.
Die öffentliche Hand trägt in der Folge alle Risiken und die Privaten sichern sich die Renditen. Angelegt wurde das übrigens alles durch – na klar – einen Sozialdemokraten. Einen Enkel der Agenda 2010. Einen Schröder-Adepten. Denn Sigmar Gabriel war es, der die sogenannte Kommission zur angeblichen „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ ins Leben gerufen hatte. Und dort wurden erstmals „privatrechtliche Infrastrukturgesellschaften“ gefordert.
So wurden Banken, Versicherungen und anderen Großanlegern lukrative und zugleich risikofreie Anlagemöglichkeiten verschafft, behauptet Sahra Wagenknecht. Aber sie geht noch weiter: Die Zustimmung der Mehrheit des Bundestages basiere darauf, dass eben diese Unternehmen sich die Regierungsparteien durch Spenden gefügig gemacht haben. Ein knallharter Korruptionsvorwurf, den Volker Kauder per Zwischenruf „demagogischen Blödsinn“ nennt. Für Wagenknecht bleibt es unbeirrt eine „zutiefst korrupte Veranstaltung“. Deutsche Politik würde sich mittlerweile in einem „Sumpf aus Lobbywirtschaft, billiger Trickserei und mutwilliger Täuschung der Öffentlichkeit“ bewegen.
Die SPD müsste sich doch in Zukunft schämen, das Wort „soziale Gerechtigkeit“ in den Mund zu nehmen, wenn die Abgeordneten der Grundgesetzänderung zur Ermöglichung der Autobahnprivatisierung zustimmen würden.
Natürlich stimmte sie zu. Nur 29 SPD-Abgeordnete sagten „Nein“, bei der Union waren es drei Nein-Stimmen, die Partei Die Linke sagte geschlossen „Nein“ und die Grünen enthielten sich geschlossen bis auf eine einsame „Nein“-Stimme. Ja, so ist das eben mit Privatisierung. Wenn man sie nicht mag, kriegt man sie doch. Und wer sie mag, mag sie vielleicht auf diesem Weg eigentlich nicht: Dem Weg durch das parlamentarische Unterholz, bei dem man anders rauskommt, als man reingeht.