Was hat das zu bedeuten, wenn sich der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Ende März 2019 mit kritischen Anmerkungen zum Versagen der Abschiebepraxis zu Wort meldet und obendrauf noch viel zu hohe Asylantragszahlen beklagt? Stehen hier wieder nur wahltaktische Motive im Vordergrund oder ist der Beweggrund ein ernsthaftes Interesse an einer Verbesserung, dem Taten folgen sollen?
Im Juni 2018 entband der Bundesinnenminister die damalige Präsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von Ihrem Amt. Die entlassene Jutta Cordt hatte erst Ende 2016 von Frank-Jürgen Weise übernommen und Seehofer war gerade ein paar Monate Bundesinnenminister.
Aber wieviel aussichtsloser als Sommer kann man eigentlich in ein Amt starten? Ab wann sollte man „Nein“ sagen und bis wann muss man als ausgewiesener Diener des Staates „Ja“ sagen, wenn einem der Gesamtpersonalrat bereits bei Amtsantritt aufträgt, was man zu tun hat, wenn eine dringend notwendige Beschleunigung der Verfahren hier als nicht durchführbar bezeichnet wird und von Sommer stattdessen „Entschleunigung der Asylverfahren hin zu Qualität“ verlangt wurde?
Sommer widersprach couragiert und wollte auf beides setzen: Geschwindigkeit als auch Qualität. Selbst eine Grüne im bayrischen Landtag bescheinigte dem neuen Behördenleiter damals, er sei „ein außerordentlich fleißiger Beamter“. Ein allerdings aus grüner Sicht vergiftetes Lob, wenn es da weiter hieß, er sei aber auch „ein superloyaler Umsetzer einer sehr restriktiven Flüchtlingspolitik.“
Nun kann heute selbst ein begeisterter Befürworter eines Refugees-Welcome-Kurses nicht ernsthaft davon sprechen, dass Deutschland sich durch so etwas wie eine restriktive Flüchtlingspolitik hervorgetan hätte. Hat Sommer der Einschätzung seiner politischen Gegner doch nicht entsprochen?
Jetzt, ein knappes Dreivierteljahr nach Amtsantritt, wendet sich der Präsident des BAMF mit einer Art Resümee an die Medien (im Interview mit Welt am Sonntag). Welt Online begleitet einen Bericht dazu mit einer Licht-und-Schatten-Fotografie des BAMF-Präsidenten: Sommer in Russell-Crowe-Pose, aber doch mehr wie in „A Beautiful Mind“, als aus dem Heldenepos „Gladiator“.
Insbesondere kritisiert Sommer hier die „Flüchtlingsräte“, die immer wieder die Arbeit seines Amtes boykottieren würden, wenn er weiter befindet: „Es ist ganz offensichtlich, dass einige Organisationen das Interesse verfolgen, Abschiebungen generell zu bekämpfen – ich denke vor allem an selbst ernannte Flüchtlingsräte.“
Die Arbeit der Räte legt diese These von Sommer tatsächlich nahe. Ganz neu allerdings ist diese Problematik selbstverständlich auch hier nicht, wenn das bayrische Innenministerium schon im Dezember 2017 „seinem“ privaten bayrischen Flüchtlingsrat (-rat klingt bundesweit hochoffiziell, ist aber auch hier eine private Initiative) vorwarf, Afghanen vor Abschiebungen beim Untertauchen zu helfen.
Die Organisation fand damals nichts dabei, sich mit einer ziemlich durchsichtige Ausrede zu verteidigen: „Wir empfehlen lediglich, sich vor der Abschiebung möglichst nicht in der Unterkunft aufzuhalten.“ Nun ist über ein Jahr vergangen, geändert hat sich nach Sommer allerdings wenig, wenn er nun fordert, das diese Machenschaften der Räte endlich „mit den Mitteln des Strafrechts geahndet werden soll(en).“
Unterstützung für Sommer kommt aus dem Innenministerium, wenn ein aktueller Gesetzentwurf vorsieht, dass künftig bestraft werden soll, wer Betroffene vor einer unmittelbar bevorstehenden Abschiebung warnt. Der private Niedersächsische Flüchtlingsrat reagiert empört und berichtet, dass auch das niedersächsische Innenministerium seine Kommunen dazu angehalten hätte, „ Abschiebungen rigider umzusetzen“. Das Ministerium würde verlangen, dass sich die bei Abschiebungen weniger erfolgreiche Kommune an den erfolgreicheren orientieren sollte. Tatsächlich reicht diese Forderung sogar viel weiter und in Niedersachsen bis ins Jahr 2011 zurück, ohne das es nennenswerte Fortschritte in der Abschiebepraxis gegeben hätte.
Für den privaten Flüchtlingsrat sind alle Bemühungen hingegen Anzeichen eines „Rollback allerorten“. Weiter heißt es da: „Sukzessive werden in Niedersachsen immer mehr Errungenschaften geschleift, auf die rot-grün einst stolz war.“ Auf dem Startfoto des Flüchtlingsrates posieren die Helfer mit Sonnenblumen im Hintergrund sieht man das gelbe Kreuz der Anti-Atom(-kraft)müll-Bewegung. Der politische Hintergrund ist also ablesbar. Nein, die Grünen machen nicht einmal ein Hehl daraus, mit diesen Räten vernetzt zu sein, wenn die Partei von einer landes- und bundesweiten „Vernetzung mit NGOs, u. a. dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat e.V.“ berichtet.
BAMF-Präsident Hans-Eckhard Sommer bemängelt weiter, dass eine Ausbildungsstelle nicht ausreichen dürfe, einem abgelehnten Asylbewerber zu einer Duldung zu verhelfen: „Diese gut gemeinte Regelung sendet meines Erachtens ein gefährliches Signal ins Ausland: Wer arbeitet, darf trotz Ablehnung in Deutschland bleiben. (…) Schleuser machen damit Werbung.“
Allgemeiner in seiner Kritik wird Sommer, wenn er darauf hinweist, das zuviel Migranten ohne Asylgrund nach Deutschland kämen. Nun klingt das eher nach einem ausgelatschten Schlappen, als das es als neue Erkenntnis in der Asyldebatte durchgehen könnte. Solche Feststellungen waren allerdings über die letzten drei Jahre Beweggrund für Politik und Medien, ihre viel früheren Verkünder als Rechte oder gar Nazis zu diffamieren und zu diskreditieren. Also auch bei Sommer alles nur Wahlkampf? Der durchsichtige Versuch, das sinkende Schiff der Union als Volkspartei für die kommenden Europa- und weitere deutsche Landtagswahlen irgendwie über Wasser halten? Ist der fleißige Bürokrat auch Wahlkampfhelfer?
„Wir haben im vergangenen Jahr 162.000 Asylerstanträge registriert. Das ist vergleichbar mit einer Großstadt, die jährlich zu uns kommt.“, sagte Sommer gerade gegenüber der Welt am Sonntag. Aber welche neue Erkenntnis soll das eigentlich sein und wer glaubt ernsthaft, dass das so wahltaktisch Aufgewärmte jemals ernsthaft vom pseudo-empörten Statement in die politische Handlung übergehen würde?
Roland Tichy schrieb dazu übrigens schon Anfang 2018:
„Jedes Jahr soll also eine Stadt von der Größe Münster, Bonns oder Bochums einwandern; meist Leute, die in die hiesige Wirtschaft nicht integrierbar sind – ihnen fehlt Sprache, Know-How, Verständnis. Viele werden von Anfang an und leider für immer ausschließlich Empfänger staatlicher Unterstützungsleistungen.“