Tichys Einblick
Asylpraxis in der Corona-Krise

Asyl per Postkarte: Keine Anhörung, keine Corona-Tests

Corona-Maßnahmen an den deutschen Grenzen gelten nicht für Asylsuchende. Stattdessen herrscht nun ein noch absurderes Prozedere als bislang schon: Eine schriftliche Antragstellung, die kein schriftlicher Asylantrag sei.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Die Grenzen seien wegen der Corona-Krise geschlossen, heißt es oft vereinfachend. Für viele trifft es ja auch zu: Die Frauen zum Beispiel aus östlichen EU-Mitgliedstaaten, die hierzulande alte Menschen pflegen, dürfen derzeit nicht mehr einreisen. Aber das gilt wohlgemerkt nicht für Asylbegehrende, wie ProAsyl aktuell berichtet: Demnach hat das Bundesministerium des Inneren klargestellt, dass aktuelle Einreisebeschränkungen Asylsuchende nicht betreffen. Die ursprüngliche Idee, Einreisen von Asylsuchenden nicht mehr zu gestatten, empörte nun u.a. die Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke), die in der Sache den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages angerufen hatte, der jetzt laut Jelpke festgestellt haben soll, dass ein Zurückweisungsverbot absolut gelte. Der Dienst schreibt dazu am Beispiel der Zurückweisungen von Asylantragstellern an der griechisch-türkischen Grenze (WD 2 – 3000 – 028/20): „Nach Auffassung der völkerrechtlichen Literatur und des UNHCR steht das Refoulement-Verbot auch einer Rückschiebung von Flüchtlingen entgegen, die das Staatsgebiet noch nicht betreten
haben, sondern an der Grenze um Schutz ersuchen.“

Heißt also wieder im Klartext, dass Deutschland auch Personen, die sich noch nicht auf deutschem Staatsgebiet befinden, ermöglichen muss, dieses zum Zwecke einer Asylantragstellung betreten zu können. Eine pauschale Abweisung/Grenzschließung darf nicht erfolgen. Die EU-Asylverfahrensrichtlinie garantiere zudem explizit, dass man einen Antrag auch gleich „an der Grenze“ stellen kann. Auf einem Nebengleis interessant ist hier auch jener Teil der Antwort des Dienstes, der sich mit Zurückweisungen von Antragstellern in sichere Drittstaaten befasst. Hier befindet das Gutachten nämlich: „Auch bei Zurückführungen in sichere Drittstaaten kann sich ein Staat einer individuellen Prüfung nicht entziehen, etwa um sicherzustellen, dass der Drittstaat den Betroffenen nicht willkürlich weiterschiebt und damit eine „Kettenabschiebung“ auslöst.“ Ist das de facto eine Absage an die sowieso brüchigen Dublin-Reglungen? Soll es demnach auch EU-Mitgliedstaaten geben, denen von deutscher Seite aus nicht zu trauen wäre? Offensichtlich.

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Aber zurück zur aktuellen Frage: Was bedeuten die Corona-Schutzmaßnahmen der Bundesregierung für die Asyl-Praxis? Wir haben beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nachgefragt. Ein Sprecher des Bamf teilt mit, das Amt hätte in der Coronakrise „zur gebotenen Vermeidung von Kontakten die persönliche Antragstellung umgestellt“ und nehme „Asylanträge gegenwärtig nur noch schriftlich entgegen.“

Heißt im Klartext also, dass das Prinzip der persönlichen Anhörung derzeit ausgesetzt bzw. „umgestellt“ ist. Zur Anhörung hieß es bislang: „Diesen Termin müssen die Antragstellenden unbedingt wahrnehmen (…). Wenn nicht, kann ihr Asylantrag abgelehnt oder das Verfahren eingestellt werden, ohne dass sie noch mal zu den Gründen, warum sie nicht erschienen sind, befragt werden.“ Die persönliche Anhörung wird auch „Ladung“ genannt.

Das Amt legt allerdings Wert darauf, dass es sich bei der jetzt ausschließlich schriftlichen Antragstellung gar nicht um einen „schriftlichen Asylantrag“ im Sinne des § 14 Abs. 2 AsylG handeln würde, wie er „beispielsweise für unbegleitete Minderjährige vorgesehen ist bzw. für Antragstellende, die sich in Haft oder in einem Krankenhaus befinden, sondern weiterhin um eine persönliche Antragstellung mit sogenannten ‚Formularanträgen‘, die ab sofort in einem kontrollierten Verfahren zulässig sind.“

Übersetzt bedeutet diese Spitzfindigkeit wohl: Ein schriftlicher Antrag ist also eigentlich keiner und lediglich Fachanwälte für Asylrecht werden hier genauer verstehen, was gemeint ist und welche goldenen Zeiten möglicherweise für ihre Klientel angebrochen ist in Zeiten der Corona-Abwehr in Deutschland.

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Trotz fehlender Kondensstreifen am Himmel bestehen nach wie vor eine ganze Reihe von Flugverbindungen, hier der Stand Ende März, die auch auf diesem Wege weitere Asylantragsteller ins Land bringen. Einreisende also, deren gesundheitliche Verfassung die nächste Herausforderung für das Aufnahmeland stellt, das gerade mit der Eindämmung der Corona-Pandemie und entsprechenden Quarantäne-Maßnahmen höchst beschäftigt ist.

Also was geschieht mit dem Asylbewerber, der mitten in der Corona-Krise nach Deutschland einreist bzw. einreisen will, „Asyl!“ ruft und eingelassen wird bzw. werden muss, wenn es aktuell keine persönliche Anhörung mehr gibt? Es bleibt zunächst alles beim Alten, außer dass der Asylantragstellende damit rechnen kann, dass seine Anhörung zum Entscheid derzeit faktisch ausgesetzt wäre. Ein Sprecher des Bamf schreibt dazu weiter: „Die persönlichen Anhörungen aller Antragsteller zu den individuellen Fluchtgründen und die damit verbundene weitere Bearbeitung aller Asylanträge erfolgen, sobald dies auf Grund der Corona-Pandemie wieder möglich ist.“ Derzeit allerdings, so der Sprecher weiter, konzentriert sich das Bundesamt „auf Entscheidungen nach Möglichkeit ohne Durchführung von Anhörungen.“ So seien im März bereits 11.000 Entscheidungen getroffen worden, heißt es da.

Und weiter: „In besonderen Fällen insbesondere mit Sicherheitsbezug finden auch weiterhin Anhörungen statt. Hierbei kommen mobile Teams zum Einsatz. (…) Derzeit schafft das Bundesamt Anhörungsmöglichkeiten in den Außenstellen, die den infektionsschutzrechtlichen Vorgaben entsprechen; dies ist aber angesichts der räumlichen Gegebenheiten nicht an allen Standorten möglich. In diesem Rahmen plant das BAMF nach Ostern die Fortsetzung von Anhörungen, priorisiert auf dringliche Fälle.“

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Wir fragen bei einem Anwalt für Asylrecht nach und erfahren, dass so eine Anhörung im Prinzip Gelegenheit für den Antragsteller sein sollte, seine Situation bestmöglich darzustellen und nicht dafür, diesen direkten Kontakt zu nutzen, Anhaltspunkte dafür zu finden, dass sein Antrag nicht rechtmäßig sei. Ein interessanter Aspekt, der allerdings die Frage aufwirft, warum dann bei solchen Anhörungen überhaupt noch Widersprüche aufgedeckt werden sollen oder gar via Sprachbild und Dialekt Herkunftsangaben auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. So heißt es in einer Aufklärungsschrift des Bamf zum Asylverfahren explizit, Ziel der Anhörung sei es auch, „gegebenenfalls Widersprüche aufzuklären“. Alles Gesagte in so einer Anhörung wird protokolliert und später zur Unterschrift vorgelegt. Das gesamte Prozedere ist also einem polizeilichem Verhör, wo es um Wahrheitsfindung geht, nicht ganz unähnlich.

Kommen wir zum Gesundheitsaspekt in Zeiten der Corona-Krise: Während das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für die Durchführung des Asylverfahrens verantwortlich ist, sind die Unterbringung, etwa in Erstaufnahmerichtungen, und die (medizinische) Versorgung von Asylsuchenden Aufgaben der Bundesländer. Hier kann vom Bund nichts vorgeschrieben werden, sondern die Länder werden lediglich darum „gebeten“, so ein Sprecher des Bamf, „in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Robert-Koch-Institut sicherzustellen, dass alle schutzsuchenden Personen, die bei ihrer Ankunft registriert werden, im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten und vor den Hintergrund des Reiseweges bei der ohnehin erfolgenden medizinischen Untersuchung unverzüglich auch daraufhin in Augenschein genommen und mittels eines geeigneten Tests daraufhin untersucht werden, ob Anhaltspunkte für eine Infektion mit dem Coronavirus erkennbar sind.“

Aber was heißt hier „im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten“? Könnte sich jetzt möglicherweise wiederholen, was schon ab 2015 passierte, als die vorgeschriebenen Untersuchungen auf Tuberkulose von den örtlichen Gesundheitsämtern gar nicht mehr flächendeckend bei allen in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebrachten Asylbewerbern durchgeführt werden konnten und diese dann direkt – erkrankt oder nicht – in die dezentralen Unterbringungen kamen?

„Zweck dieser Maßnahme ist zu verhindern“, so heißt es weiter, „dass infizierte Personen in die Erstaufnahmeeinrichtungen gelangen und dadurch eine Gefahr für die Gesundheit der Bewohner dieser Einrichtungen und der Mitarbeiter entsteht.“

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Eine medizinische Untersuchung soll also zeitnah erfolgen, bevor der Neuantragsteller die Sammelunterkunft erreicht, also nur dann natürlich, wenn die Kapazitäten dafür da sind. Die Person soll bei der Untersuchung „unverzüglich auch daraufhin in Augenschein genommen und mittels eines geeigneten Tests daraufhin untersucht werden, ob Anhaltspunkte für eine Infektion mit dem Coronavirus erkennbar sind.“

Im Klartext: Es wird also gar kein Test auf das Coronavirus gemacht, sondern es wird auf gut Deutsch lediglich einmal geschaut, ob die vorwiegend jungen Männer wider Erwarten Symptome von Corona zeigen, die in ihrer Altergruppe allerdings geradezu atypisch wären, selbst dann noch, wenn jeder einzelne von ihnen akut mit Corona infiziert wäre.

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