Tichys Einblick
Luxus Kinder

Armutsbericht: Die Vermachtung der Kinderlosen

Der gemeinsame Feind der Familie ist bereits übermächtig. So sehr, das er sich jetzt schon per Selbstanzeige vorstellt, wie gerade wieder der Club of Rome.

Wir sterben aus. Wir können uns unsere kinderarmen Reichen nicht mehr leisten. Wenn wir die am meisten vom deutschen Wohlstand Partizipierenden nicht dazu bringen können, Familie als Wert wieder anzuerkennen und ihr Glück in der Vermehrung zu suchen, dann dürfen wir uns auch bitte nicht beschweren, wenn uns die weniger Gutbetuchten und die von staatlicher Wohlfahrt abhängigen stattdessen überproportional mit ihren Kindern segnen.

Der gemeinsame Feind der Familie ist bereits übermächtig. So sehr, das er sich jetzt schon per Selbstanzeige vorstellt, wie gerade wieder der Club of Rome. Der möchte nämlich jetzt Kinderlosigkeit und Ein-Kind-Familien belohnen um so den Supergau in der europäischen Wertelandschaft zu forcieren. Die Zerstörung unseres Wertesystems, das nach wie vor auf dem System Familie fußt, wird dabei bewusst herbeigeführt. Hier geht es einzig um Kontrolle und Kontrollverlust. Das Ende der Familie als individuelle Trutzburg ist also erwünscht. Wir müssen das als ultimative Kampfansage verstehen lernen. Der Ansatz des Club of Rome ist bemerkenswert. Der Mensch an sich schmutzt. Und damit der Planet Erde bleibt, wie er ist, muss der westliche Mensch weniger werden. „Meine Tochter ist das gefährlichste Tier der Welt“, sagt Morgen Randers, einst ein hohes Tier beim WWF und jetzt beim Club of Rome.

Aber zuvor noch zu einem typisch deutschen ebenfalls hochaktuellen Phänomen: Der aktuelle Armutsbericht der Bertelsmann Stiftung erhitzt hierzulande die Gemüter. Aber was ist das überhaupt für eine private Stiftung? Warum ist sie so einflussreich geworden? Warum meldet sich diese Stiftung regelmäßig zu den neuralgischen Problemen des Landes so lautstark zu Wort? Und weshalb übernimmt diese Stiftung eigentlich staatliche Aufgaben, wie unlängst die Bertelsmann-Tochter Arvato, die sich zur inoffiziellen Zensurbehörde in den sozialen Medien aufgeschwungen hat? Irgendetwas läuft da schief. Eine Rechtsstaatlichkeit aushöhlende Privatisierung staatlicher Aufgaben ist nicht hinnehmbar. Wer hat überhaupt das Mandat dafür erteilt?

Konkurrierende Armutsberichte

Aber zurück zu besagtem Armutsbericht. Es gibt ja mehrere miteinander konkurrierende ihrer Art. Einschließlich eines Berichtes der Bundesregierung, der allerdings zuletzt 2013 veröffentlicht wurde. Armut muss also ein Masterthema sein in einem der wirtschaftlich erfolgreichsten demokratischen Länder der Welt.

Eine Luxusdebatte meinen die einen. So erklärte vor ein paar Jahren ein Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln:
„Wenn die schlechten Reste immer kleiner werden, konzentriert sich alles auf diese schlechten Reste. Die Negativierung wird dann zum Muster, anstatt dass man die Verbesserung der Welt und der menschlichen Existenz seit der Industrialisierung anerkennt und sich freut.“

Und dem gegenüber sagte kein geringerer als Sigmar Gabriel zum letzten Armutsbericht der Bundesregierung vor dem deutschen Bundestag: „Mitten in Deutschland stehen täglich 1,5  Millionen Menschen für altes Brot Schlange, weil sie sich frisches nicht einmal mehr in den Discountläden leisten können. (…) 2,4 Millionen Kinder sind armutsgefährdet, weil ihre Eltern, obwohl sie arbeiten, kein anständiges Einkommen haben. (…) Deutschlands Nachkriegsgeschichte war gekennzeichnet  von dem Versuch, die sozialen Differenzen abzubauen. ‚Wohlstand für alle‘ war das Credo der sozialen Marktwirtschaft. Heute ist (…)  eher ‚Reichtum für wenige‘ das Credo unserer Wirtschaft.“

Eckart Fuhr schrieb damals in der Welt: „Die Soziale Ungleichheit in Deutschland ist eben nicht das Resultat einer freien Gesellschaft, sondern sie ruht auf Vermachtung, Verkrustung und Abschottung.“

Vermachtung, Verkrustung und Abschottung

Wie schlimm ist also, was sich doch in Berlin Grunewald ganz anders anfühlt, als in Neuköln? Sind die Fronten verhärtet? Die ZEIT kam 2014 zu einem alarmierenden Schluss: „…die Mechanismen der Demokratie machen es leicht, die städtische Unterschicht zu ignorieren. Wer ihr angehört, geht selten wählen; tut er es doch, landet seine Stimme oft bei einem Populisten, der nichts für seine Wähler tun kann oder will.“

Vielleicht müssen wir tatsächlich mal ganz anders anfangen, wenn wir über Armut sprechen. Grundlegender. Dass der Blick auf Armut in Deutschland auch im Auge des Betrachters, also in unserer Selbstwahrnehmung verankert liegt, dass sie relativ ist, muss man ja nicht erklären. Und dass es hier zunächst einmal um das Maß der Befriedigung materieller Grundbedürfnisse geht, auch nicht. Jeder lernt es ja in der Schule: Kleidung, Behausung, Ernährung.

Unterversorgung ist demnach aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Frei von Zynismus gedacht, ist relative Armut kein zwingender Indikator für Unglück. Glück ist zunächst einmal Gesundheit und Liebe, Freude und Erfüllung. Selbstverständlich hilft Geld, hilft die Abwesenheit täglicher Sorgen auch, gesund zu bleiben oder eine Liebesfähigkeit zur Entfaltung zu bringen. Und Lebensfreude generiert sich nicht selten aus einem Maß an Freizeit und Gelegenheiten, die man sich erst einmal leisten können muss.

Geld das Glück der Welt?

Geld macht nicht glücklich, sagt dennoch der Volksmund. Aus Erfahrung? Nein, man darf vermuten, dass reiche Menschen hier Rädelsführer dieser kontaminierten Weisheit waren, um sich arme Menschen auf Distanz zu halten. Wenn man so will, gibt es aber in modernen demokratischen Gesellschaften so etwas wie ein Recht auf Glück, wo frühere Generationen per Geburt zu den Glücklicheren gehörten. Oder eben nicht. Dann halt im nächsten Leben: Auf einem anderen Startblock, in einem höheren Stand. Die hinduistische Karmaphilosophie als Motor des europäischen Absolutismus.

Nun ist das Leben der Armen, der Paria, im historischen Kontext noch einmal mehr zu relativieren. Was heute als arm definiert wird, war früher möglicherweise ein materielles Luxusleben. Die Beurteilung von Armut ist also nicht nur regional unterschiedlich, sondern auch auf dem Zeitstrahl. Aber solche Diskussionen führen ja zu nichts. So ist die Lebenserwartung eines Deutschen seit den 1990er Jahren zwar noch einmal um fünf Jahre gestiegen. Weltweit liegt sie aber weiter auf dem Level von Deutschland 1960. Sind wir deshalb schon prädestiniert? Verbietet sich also ein Armutsbericht für Deutschland?

Nein, denn eine Titelzeile der ZEIT von 2016 bezogen auf die deutschen Verhältnisse lautet: „Wer früher stirbt, war länger arm.“ bzw. „Lebenserwartung in Deutschland hängt vom Einkommen ab.“ Wenn wohlhabende Männer im Durchschnitt elfeinhalb Jahre länger leben als ihre ärmeren Altersgenossen, ist das natürlich in hohem Maße bedenklich. Denn dann wird soziale Ungleichheit tatsächlich zum Killer Nr.1. Und dann läge dringender Handlungsbedarf vor.

Friss oder stirb

Aber bitte nicht so: Erinnern Sie sich an Thilo Sarrazins Menüvorschläge für Hartz4-Empfänger? In seiner Zeit als Berliner Finanzsenator hat er mit einem Kochbuch versucht, den Nachweis zu erbringen, dass man von 4.05 € am Tag gut kochen kann. Und dieses drastische Beispiel kommt aus einer Vor-Zuwanderungszeit. Aus einer Zeit der innerdeutschen Hackordnung. Aus einer vor „Deutschland schafft sich ab!“ Zeit. Es geht aber auch pseudo-moderner,  wie die Publikation „Arm aber bio“ zeigt, die mit Linsenhummus und Rote-Beete-Orangen-Salat den Home-Mensa-Sarrazin 2016 gibt: Arm geht auch Bio, welch ein Hohn.

Aus einer Zeit – bitte nicht erschrecken jetzt – an die sich ein Nachbar bei einem Gespräch zwischen Tür und Angel so erinnert: „Früher konnten wir uns unsere deutschen Penner noch leisten.“

Klingt menschenfeindlich? Ist aber möglicherweise in seinem Wesenskern das Gegenteil davon. Denn wie wir gleich sehen werden, könnte hier ein typisch deutsches Selbstverständnis sichtbar sein, dass in den wenigstens Ländern der Welt eines ist: Es geht um eine spezifische Form der Nächstenliebe, die nicht zuerst christlich, also religiös verankert ist, sondern die viel elementarer ist, die ihre Kraft aus einem gewachsenen Zugehörigkeitsgefühl speist, aus einer individuellen Gruppendynamik. Ich fürchte wir sind nun vom Armutsbericht bei der Diskussion rund um den Begriff Volk und bei dieser merkwürdig theoretisierenden Leitwertediskussion angekommen.

Glück als Leitwert

Deutsche waren nicht immer die erfolgreichsten Macher Europas. Über Generationen hatten wir gemeinsame Erfahrungen von Elend, Hunger und Angst. Zwei Weltkriege, zerstörte Städte und Vertreibung von Millionen haben hier eine „Deutsche Seele“ geprägt, die in diesen speziellen Facetten im gleichnamigen Buch von Thea Dorn/Wagner keinen Platz bekommen haben. Übrigens ist auch Merkels „Wir schaffen das!“ deshalb heute so wirkmächtig (der Zusatz „gemeinsam“ schwingt ja unüberhörbar mit), weil die Verwerfungen der letzten einhundert Jahre dafür den Grundstein in die deutsche DNA gelegt haben. Damals ist das Wohl des ärmsten Tropfes einer fast ausnahmslos vom Elend betroffenen Schicksalsgemeinschaft zum Maßstab geworden. Die Betonung liegt hier auf Gemeinschaft.

Ich behaupte sogar, dass hier diese hohe gesellschaftliche Verankerung der Nachkriegsgewerkschaften, der Familienverbände, der Vereine usw. begründet liegt. Eine große außerstaatliche Machtfülle. Wenn wir das nun erinnern, dann brauchen wir nicht mehr um deutsche Werte bangen, nicht würdelos um sie feilschen und sie so merkwürdig ausschließlich auf ein im Grunde seines Wesen supranationales, welthumanistisches Grundgesetz herunterbrechen.


Das deutsche Wesen ist an sich selbst genesen. Im Guten wie im singulär bösen. Präziser: Es genest sich immer wieder von selbst. Es hat sich selbst diesen Mechanismus implantiert. Zu mehr taugt es nicht, möchte man immer dann schützend anfügen, wenn wieder einmal die Rede ist von einem humanitären Imperativ, der a-historisch und mit großer Geste gleich die ganze Welt oder einen Teil von ihr mit einbeziehen möchte. Wir Deutschen sind jetzt auf Vorbild programmiert. Deutschland als Musterweltdorf. Noch können wir es uns wie kein anderes Land der Welt leisten, daran zu experimentieren.

Glück gibt es nicht im Supermarkt

Dafür müssen wir den Mut aufbringen, unser Glück über die Fülle in den Supermarktregalen hinaus zu definieren. Das fällt uns Deutschen mit den genannten Erfahrungen der vergangenen hundert Jahre naturgemäß besonders schwer. Aber möglicherweise ist das auch der besondere Antrieb. In diesem komfortablen Think-Tank-Labor braucht es aber gerade in globalisierten Zeiten ein Mindestmaß an Abschottung bis hinunter in die kleinste Einheit. In die Familie. Familienautonomie ist ein Stichwort. Wer die Familie stärkt, stärkt das Ganze. Wenn wir unser kleines Musterdorf erhalten wollen, dann müssen wir uns vermehren. Und dabei Glück empfinden. So kann es zwar sein, dass Kinder ärmerer Familien schlechtere Zähne haben, aber es darf nicht sein, das reichere Familien aus Kalkül, aus Sorge um die prädestinierte Stellung weniger Kinder bekommen.

So gesehen müssen wir nicht zu allererst eine Chancengleichheit erreichen, indem wir die Familien entmündigen, sondern wir müssen dafür sorgen, dass jene Eltern, die es sich leisten können, auch bereit dazu sind, ihren Zugewinn in eigene Kinder zu investieren. Also sich von dem Gedanken zu trennen, das ihr Zugewinn eben nur deshalb einer sei, weil sie weniger Kinder haben. Nein, Kinder sind hier kein Armutsrisiko. Im Grunde genommen sorgen sie nur dafür, den Fokus wieder auf etwas zu lenken, das grundlegender ist, erfüllender sein kann und – na klar: glücklich macht. Sogar wieder zur unangefochtenen Form von Glück werden kann.


Wie geradezu lächerlich erscheint da die Behauptung, Hartz4-Empfänger hätten nur deshalb mehr Kinder als Gutsituierte, weil mehr Kinder mehr staatliche Zuwendung bedeutet. Natürlich wächst die Bedarfsgemeinschaft und mit ihr besagte Zuwendungen. Aber um was geht es denn, wenn nicht die Bedarfsgemeinschaft? Klarer wird’s, wenn wir stattdessen Bedürfnisgemeinschaft sagen würden. Eine Gemeinschaft von Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen. Von der Familie zur nächst höheren Einheit. Bis hin – wenn Sie es unbedingt so wollen – zum Volk.

Eines, das sich – findet zumindest mein Nachbar – früher noch seine deutschen Penner leisten konnte. Ja, liebe Bertelsmann Stiftung, Armut kann ein Risiko für die Entwicklung von Kindern sein. Aber den Fokus alleine auf Reichtum als Glücksmotor legen, ist ein noch wesentlich höheres Risiko: Es verhindert die Geburt von Kindern sogar. Es tötet, was nie geboren werden sollte. Aus Geiz, Egoismus und Angst vor Verantwortung derer, die von sich immer so gerne behaupten, nur auf ihren Schultern würde die Verantwortung für diesen einzigartigen Wohlfahrtstaat lasten. Nein, es ist genau die Haltung dieser modernen Asozialen, die wir uns in Zukunft nicht mehr leisten sollten.  Es ist der Wohlstand, der aus der doppelten demographischen Dividende entstanden ist: Kriegsbedingt verstarb die Elterngeneration kostensparend früh, und ohne Kinder ist zwei mal jährlich Mallorca für alle drin. Kinder sind echter Luxus.

Finale Schlussfolgerung also: Diese lange Nase der Besserverdienenden in Richtung Präkariat ist solange eine Farce, wie die Besserverdienenden die Vermehrung verweigern, obwohl sie es sich leisten könnten. Letztlich eben ein großer Werteverlust. Und während die Intelligencia also verzweifelt versucht, sich ans Grundgesetz als Wertebüchse zu klammern, sollten sie erst mal ungeschützen Geschlechtsverkehr praktizieren, dann entsteht ihr neues Wertegebäude möglicherweise in wundersamer Vermehrung.

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