Man kann es so machen, wie Spiegel Online, indem man schon in der Headline zu einem Artikel Begrifflichkeiten einführt, welche die Leserichtung vorgeben sollen. Wenn also die marokkanischen Sicherheitsbehörden die Hoheitsrechte über ihr Staatsgebiet wahrnehmen, wenn afrikanische Ausländer daran gehindert werden, die marokkanische Grenze Richtung spanische Exklaven zu überschreiten, indem diese Migranten davon abgehalten werden, dann nennt der Spiegel das Verschleppung, wenn das Magazin titelt: „Marokko verschleppt offenbar Hunderte Flüchtlinge ins Landesinnere“.
Weiter wird angeprangert, dass „mehrere provisorische Zeltlager in den Wäldern nahe der spanischen Exklave Melilla zerstört worden“ seien. Nun erledigen die Marokkaner hier nichts anderes als die Franzosen, wenn sie den sogenannten Dschungel von Calais auflösen, ein illegales Camp von Migranten, die auf ihre Chance warten, nach England zu gelangen. Messen die Medien hier mit zweierlei Maß, wenn beispielsweise die Morgenpost zu Calais lapidar titelt: „Gewalt in Calais: Frankreich zieht erste Konsequenzen“?
Aber bleiben wir in Marokko. Dort könnte offenbar so etwas wie eine Kehrtwende eingetreten sein, wenn Sicherheitskräfte nun gegen illegale Grenzübertritte einschreiten. Und diese Kehrtwende hat Gründe: Die EU hat der Regierung in Rabat Millionenhilfen zugesagt, 55 Millionen Euro sollen bereits im Juni überwiesen worden sein (ein Teil davon nach Tunesien), Jean-Claude Juncker selbst soll bereits weitere Zahlungen in Aussicht gestellt haben. Hier kann der nordafrikanische Staat sich also zweierlei Sachverhalte vergolden: Zum einen wird Marokko die illegale Migration als Einnahmequelle nicht abreißen lassen, dem gegenüber muss für die EU aber erkennbar sein, dass man dennoch gewillt ist diese aufzuhalten.
Weiter schreibt Spiegel: „Doch dann gibt es da noch Gerüchte, dass die Regierung in Marokko selbst ihren Beitrag dazu leiste, dass mehr Migranten über das Mittelmeer nach Europa gelangen. Demnach wolle die Führung in Rabat damit Geld und politische Zugeständnisse von der Europäischen Union erpressen.“
Ähnliches berichtet allerdings auf TE auch Stefanie Claudia Müller: „Wie Marokko die EU mit Drogen und Migranten unter Druck setzt“.
Von verschiedenen Quellen belegt ist nun allerdings, dass die Sicherheitskräfte in Marokko in den vergangenen Tagen hunderte afrikanische Ausländer an der Grenze zur spanischen Exklave bzw. an den marokkanischen Mittelmeerstränden festgesetzt und in Busse verladen haben, die sie ins südliche Landesinnere gebracht haben, um sie am Grenzübertritt bzw. an der Überfahrt nach Spanien zu hindern.
Tagesschau.de berichtet von einem Gespräch eines marokkanischen Behördenvertreters mit der Nachrichtenagentur AFP in der Hafenstadt Tanger, der den Journalisten von einem „Einsatz im Rahmen des Kampfes gegen illegale Migration“ erzählt. 1600 bis 1800 Migranten seien in Orte gebracht worden, „in denen bessere Lebensbedingungen herrschen“. Dazu passen Berichte eines marokkanischen Verbands für Menschenrechte (AMDH), den Tagesschau dahingehend zitiert, dass es „seit Mitte vergangener Woche unter anderem in den Städten Nador und Tanger verstärkt zu Razzien und Festnahmen von Migranten gekommen sei. Mehrere Zeltlager in den Wäldern nahe der spanischen Exklave Melilla seien zudem zerstört worden.“
Der zitierte Verband schätzt demnach die Zahl der Festgenommenen auf sechshundert. Also noch eine vergleichsweise geringe Zahl, bedenkt man die große Zahl jener, die sich auf den Weg gemacht haben oder bereits angekommen sind. Die Festgenommenen sollen laut Menschenrechtsorganisation vornehmlich aus den südlichen Sahara-Regionen stammen.
Für Europa interessant ist nun vor allem, inwieweit sich tatsächlich ein nordafrikanischer Riegel zum Mittelmeer schließen lässt, wenn die Zusammenarbeit mit der Zentralregierung in Libyen intensiviert und wenn neben Tunesien und Algerien nun auch Marokko in eine Allianz der Willigen eintritt, die also gewillt sind, gegen harte Währung ihre Grenzen dicht bzw. dichter zu machen. Und wie dringend diese Allianz für Europa ist, zeigen die Zahlen, wenn in der ersten Hälfte 2018 mit etwa 28.000 offiziell gezählten Zuwanderern (nach Uno-Angaben) bereits so viele über Marokko nach Spanien gelangt sind wie im gesamten Jahr 2017 zusammengenommen.