Muss oder darf man jetzt tatsächlich die Frage stellen: „Wer möchte von Alice Schwarzer angefasst werden?“ Eine Frage, die Bestandteil von Stammtischzoten der 1970er und 80er Jahre rund um diese aggressive Feministin Schwarzer und ihre mutmaßliche sexuelle Präferenz gewesen sein könnten. Die Zeiten waren damals eben so … und ja: ziemlich bescheuert war das.
Nicht angefasst werden von der bekanntesten Feministin Europas, von der Herausgeberin und Gründerin der Zeitschrift Emma möchte neuerdings eine aufgebrachte junge Frau mit Kopftuch, die nach einer Konferenz in Frankfurt rund um islamische Unterdrückung und das Kopftuch im Besonderen, gegen die Veranstaltung und also auch gegen die prominente Streiterin für Frauenrechte demonstrierte.
Aber warum nun streiten, warum mit Schwarzer darüber streiten? Natürlich war das eine Provokation, eine kleine Entgleisung, vergleichbar vielleicht mit einem hingerotzten Satz oder Tweet auf Facebook bzw. Twitter nach 24 Uhr. Do ut des – Schwarzer hat dafür ihren Shitstorm bekommen, sich pflichtschuldig etwas gewunden, so dass man diese Windungen, so man sich beleidigt fühlte, mit gutem Willen auch als Entschuldigung verstehen darf. Ende der Geschichte.
Nun ist Alice Schwarzer allerdings auch als fundierte Islamkritikerin bekannt, insbesondere, wenn es um die Rechte der Frau geht. Hat die Feministin, die heute wahrscheinlich noch so viel Feministin ist wie Birgit Kelle, die sich ebenfalls als solche selbst etikettiert hat – dann jedenfalls, wenn man Feminismus so liest, wie ihn uns Schwarzer selbst vor fast einem halben Jahrhundert zu lesen gegeben hat. Schwarzer ist sich untreu geworden oder hat sich weiterentwickelt – wer will es ihr verdenken?
Kommen wir zur Anfassempörung der Muslima. Die hat damit eines erreicht: Sie hat die wenigen Minuten Aufmerksamkeit, die sie von Schwarzer bekommen hat, maximal medientauglich genutzt, sie hat sich als Erfolgsmensch der Generation Youtube bewiesen.
Übrigens auch auf der großen Weltbühne wird das neuerdings öfter deutlich, wenn der amerikanische Präsident die Hände seiner Gesprächspartner gar nicht mehr loslassen will und es beispielsweise beim Anfassen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu einem reglerechten Geschüttel und Gezerre der Hände kommt.
Das allerdings macht es nun interessant für den Vorfall zwischen Schwarzer und der Muslima, wenn so eine sanfte, durchaus auch christlich konnotierte Handauflegung – Barack Obama beispielsweise legte die seine gerne von hinten auf die Schultern seiner Gesprächspartner – bei Donald Trump zum gar nicht mehr so sanften Instrument in der Auseinandersetzung mit seinem Gegenüber wurde. Von der heilenden Kraft der Berührung etwa sind Trumps Gesten meilenweit entfernt.
Aber fast jeder kennt das doch, wenn man in Diskussionen plötzlich die Hand des Gegenübers auf der eigenen Handoberfläche spürt. Diese nonverbale Kommunikation ist eindeutig: Lass mich bitte zu Ende reden. Was ich zu sagen habe ist wichtig. Beruhige Dich, ich habe alle Antworten, lass mich nur ausreden, dann entsteht auch für dich Klarheit … in etwa so. Auf der Metaebene ist dieses Handauflegen auch ein Friedensangebot bzw. die Bitte um Kapitulation frei nach dem Motto: Ich habe Recht, aber obwohl Du Unrecht hast, wird dir nichts Schlimmes passieren, ich lasse dich unbehelligt ziehen.
Und bis hierher haben wir noch nicht einmal diese elende Diskussion angekratzt, wo es um jene muslimischen Männer in Deutschland geht, die Frauen partout nicht die Hand schütteln wollen. Möglicherweise nämlich schwang auch der Gedanke daran bei Schwarzer mit, als sie so offensiv auf die Berührungsverweigerung der Muslima reagierte.
Aber seien wir dankbar dafür. Sind es doch diese kurzen Momente emotionaler Bewegtheit auf beiden Seiten, die in der Lage sind, Debatten erst richtig anzustoßen, wenn sich der Gestank des Shitstorms erst einmal verzogen hat. Wenn es darum geht, noch intensiver für unsere freiheitlichen Werte und unsere Art zusammenzuleben zu werben.