Tichys Einblick
"Surfen auf dem Rücken der Kameraden"

Afghanistan-Heimkehrer: Wer deine Last nicht getragen hat, weiß nicht, was sie wiegt

Für Peter Scholl-Latour war schon 2014 klar, dass der Krieg in Afghanistan verloren war. Die deutsche Politik müsste nicht nur erklären, warum sie die heimkehrenden Soldaten nicht würdiger empfing, sondern auch, warum sie dort überhaupt so lange bleiben mussten.

Bundeswehr-Soldaten während der Operation Orpheus bei Nawabad in Afghanistan 2011

IMAGO / EST&OST

Die deutschen Soldaten kehren nicht erst seit gestern aus Afghanistan heim. Sie kommen und gehen in Kontingenten. Dieser Hinweis kann die Empörung über die Nichtanwesenheit von politischen Repräsentanten bei der Rückkehr des letzten Kontingents aber kaum dämpfen. Befragt man die Soldaten selbst – und nur die dürfen hier Maßstab sein – dann weiß man genau, was man von der Politik zu erwarten hat: Nämlich nichts.

Im persönlichen Gespräch berichten Soldaten von einer gedrückten Stimmung. Nein, da wird kein Theater gemacht, so sind Soldaten nicht gestrickt. Aber am Abend musste manche Enttäuschung ertränkt werden, als klar wurde, dass es die Verteidigungsministerin nicht einmal für angebracht hielt, die letzten Heimkehrer persönlich zu begrüßen und willkommen zu heißen, berichtet ein Soldat.

Tagesschau.de schreibt: „Mit Hinweis auf die Corona-Pandemie verzichtete die Bundeswehr auf einen großen Empfang in Wunstorf.“ Aber was wäre dem gegenüber ein kleiner oder mittlerer Empfang? Was steht dazu im Protokoll?

Die Pressestelle des Bundesministeriums der Verteidigung verweist auf eine zentrale Veranstaltung am 31. August und behauptet, dass die Heimkehrer zu ihren Familien zurück wollten. Ein „Rückkehrer-Appell“ sei für Ende August geplant unter Beteiligung bundespolitischer Prominenz, „um das auch würdig abzuschließen“. Der Ort dafür soll der Bendlerblock des Ministeriums sein. Ein wichtiger historischer Ort im Selbstverständnis der Bundesrepublik: Hier im Innenhof, wo Stauffenberg erschossen wurde, steht das Ehrenmal zum Gedenken an ihn und die anderen Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Die Namen der vor Ort hingerichteten Widerständler wurden auf einer bronzenen Gedenktafel verewigt.

2009 wurde dann am Rande des Platzes an der Hildebrandtstraße ein öffentlich zugängliches Ehrenmal für die Gefallenen der Bundeswehr eingeweiht: ein Stahlbetonquader von 32 Metern Länge, acht Metern Breite und zehn Metern Höhe. Die Wände sind verkleidet mit gelochten Metallplatten, die den Eindruck erwecken sollen, als wären hier die Erkennungsmarken von Soldaten ausgestanzt worden. Eine Videoinstallation blendet zudem im Fünfsekundentakt die Namen von Gefallenen ein. Dabei solle, wie es bei der Bundeswehr immer wieder heißt, „Heldenverehrung“ vermieden und stattdessen die Vergänglichkeit des Lebens und die Individualität des Todes betont werden.

In so einer Vermeidung einer Heldenverehrung mag nun allerdings ein Keim stecken, aus dem die Verweigerung einer Verteidigungsministerin erwuchs, ihren vom Hindukusch kommenden Soldatinnen und Soldaten bei der Ankunft persönlich die Ehre zu erweisen.

Aber zurück zum Gespräch mit dem Soldaten, der gerade auf der Autobahn unterwegs ist von der Kaserne nach Hause und der sich empört über die Behandlung der Heimkehrer: „Das kann doch nicht wahr sein. Der letzte schließt zu, heißt es immer. Und zu jedem Mist kommen die hohen Herrschaften vorbei, hier bleiben sie einfach weg? Die Frau Karrenbauer hat doch längst mit ihrem Posten abgeschlossen. Am 31. August ist noch was geplant in Berlin? Logisch, da wird die Emotion gleich noch für die eigene Verabschiedung mitgenommen. Für mich ist das ein Surfen auf dem Rücken der Kameraden, die 6.500 Kilometer entfernt im Einsatz waren und denen jetzt die Anerkennung dafür verwehrt wird.“

Heimgekehrt wird wie eingangs erwähnt allerdings schon seit zwanzig Jahren, 59 deutsche Soldaten kamen im Sarg nach Hause, jeder einzelne von ihnen hat eine Geschichte, eine Heimat und Familienangehörige, 35 sind unter „Fremdeinwirkung“ gefallen.

Was passiert nun mit diesen heimgekehrten Soldaten? Werden sie ihren Dienst in neuer Verwendung einfach wieder aufnehmen können, als wäre nichts gewesen? Für viele mag es sogar zutreffen, dass sie ein großes Maß an Erfahrung aus ihrem Einsatz mitnehmen konnten.

Auf der anderen Seite steht da aber auch eine notwendige Veteranenfürsorge wie der Bund Deutscher Einsatzveteranen e.V. dessen Wahlspruch lautet: „Treu gedient, Treue verdient.“ Insgesamt waren 160.000 Männer und Frauen im Einsatz am Hindukusch, weit über zehn Milliarden Euro Kosten wurden verursacht. „Dieser Abzug ist eine Flucht, dass Sinnbild einer großen Niederlage“, echauffierte sich der RTL-Politikchef Nikolaus Blome. Das allerdings ist eine emotionale Zuspitzung, die aus dem Munde eines eher unernsten Vertreters der Medien ganz verloren in der Luft hängen bleibt.

Die amtierende Bundesverteidigungsministerin ist nicht die erste, die sich mit Afghanistan auseinandersetzen muss, vor ihr hatten schon sechs weitere Bundesverteidigungsminister diesen Einsatz zu verwalten. „Ein Einsatz, bei dem Angehörige unserer Streitkräfte an Leib und Seele verletzt wurden, bei dem Menschen ihr Leben verloren haben, bei dem wir Gefallene zu beklagen hatten. Meine Gedanken sind bei ihnen, sie bleiben unvergessen“, so Annegret Kramp-Karrenbauer.

In zwanzig Jahren ist in an den deutschen Standorten in Afghanistan nicht nur die Infrastruktur gewachsen, die Soldaten legten Ehrenplätze an für ihre gefallenen Kameraden, wo ihnen vor Ort gedacht wurde. „Der Ehrenhain aus Masar-i-Scharif wird nach Deutschland gebracht, so wie wir bisher alle Ehrenhaine nach Deutschland gebracht haben“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Für den Ehrenhain wurde auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos im Wald der Erinnerung schon eine Stelle reserviert. Er findet dort seinen würdigen Platz.“ Das ist zwar emotional anrührend. Aber es bedeutet wenigen viel und vielen am Ende wenig, wenn die Politik diesen Menschen nicht schon bei ihrer Ankunft vollumfänglich Ehre erweist.

Der Afghanistaneinsatz würde immer auf die Bundeswehr reduziert“, dass sei einer der auffälligsten Kategorienfehler in der Berichterstattung, betont ein Sprecher des Verteidigungsministeriums und erinnert an weitere Ressourcen und Aufgaben vor Ort, die auch ihre Aktivitäten hatten. Das RND berichtete beispielsweise schon Ende April vom Abzug der letzten deutschen Polizeiausbilder.

Die Bundeswehr garantierte hier ein Maß an Sicherheit, damit andere Prozesse greifen konnten. Prozesse einer Demokratisierung, die als gescheitert betrachtet werden müssen. Die Demokratisierung passiert wenn überhaupt, dann allenfalls langfristig über hunderttausende Afghanen, die in Deutschland und Europa Zuflucht gefunden haben und die hier die westliche Lebensart kennenlernen werden, so wie schon vor Jahrzehnten die türkischen Communities in Europa mit entsprechenden Rückkopplungen und Netzwerken in die alte Heimat.

Eine jahrzehntelange Liberalisierung der Migranten ist langfristig unumkehrbar schon deshalb, weil persönliche Freiheit einen unvergleichlichen Geschmack hat – aber dieser Prozess wird sehr lange und Generationen brauchen und er wird von Rückschlägen begleiten sein. In der langen Geschichte Afghanistans sind zwanzig Jahre eine kurze Zeit.

Und wenn wir schon über Erinnerungskultur sprechen, dann muss hier an den denkwürdigen Auftritt eines intimen Kenners der afghanischen Verhältnisse erinnert werden: Der Auswärtige Ausschuss des Deutschen Bundestages hatte Anfang April 2014 den Journalisten Peter Scholl-Latour zu einer Anhörung eingeladen. Er sollte über die Lektionen Auskunft geben, die Deutschland aus dem Einsatz der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) ziehen kann. Der damals 90-Jährige war als Kriegsreporter schon mehrfach in Afghanistan unterwegs. Seine Einschätzung der Lage vor dem Ausschuss vor sieben Jahren geriet knapp und eindeutig: „Der Krieg in Afghanistan ist verloren – das sollten wir uns eingestehen. Und wir sollten uns überlegen, wie wir da rauskommen.“

Scholl-Latour kritisierte vor dem Ausschuss, dass die Bundeswehr ihr Lager kaum noch verlassen würde und für den „Partisanenkrieg“ der Afghanistan beherrsche, nicht vorbereitet sei. Zumal jeder zwölfjährige afghanische Junge ein „geborener Partisan“ sei. Scholl-Latour endete damals mit der Forderung, man müsse Afghanistan den Afghanen überlassen. Die Mehrheit der Deutschen teilte übrigens vor sieben Jahren Umfragen zur Folge diese Haltung des journalistischen Welterklärers: Sie hielt den Einsatz für einen Fehlschlag.

Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan wurde jetzt beendet. Die Verantwortlichen müssen nun eine Frage viel dringender beantworten als jene vielstimmig gestellte, warum niemand da war, die Heimkehrer zu empfangen: Die Politik steht in der Verantwortung, zu erklären, warum es überhaupt gerechtfertigt war, unsere Soldaten nach 2014 weitere sieben Jahre vor Ort zu belassen. Was wurde dadurch und für wen gewonnen?

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