Tichys Einblick

Hat Abendessen von Merkel mit Bundesverfassungsgericht Nachspiel wegen Befangenheit?

Der Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichtes löscht hektisch seinen Twitter-Account, der ihn als CDU-Politiker im Rhein-Neckarkreis präsentiert und die AfD stellt einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht, weil sich die Bundeskanzlerin mit Vertretern des Bundesverfassungsgerichts zum Abendessen trifft. Warum sollte sie das nicht dürfen? Weil das Bundesverfassungsgericht sich am 21. Juli 2021 mit Merkels interventionistischen Äußerungen zur Thüringenwahl befasst.

IMAGO / IPON

Kaum einer würde darauf wetten, dass Angela Merkel ernsthaft in Schwierigkeiten kommt, wenn das Bundesverfassungsgericht am 21. Juli in Karlsruhe darüber verhandelt, ob die Bundeskanzlerin im Februar 2020 ihre Pflicht zur Neutralität im politischen Meinungskampf verletzt hatte (Az. 2 BvE 4/20 und 2 BvE 5/20). Merkel hatte damals von Südafrika aus harsch interveniert gegen die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten.

Es wäre schon ein Wunder, diese Klagen vor den Bundesverfassungsgericht gegen Angela Merkel bzw. die Bundesregierung – noch dazu von der AfD eingereicht – hätten Erfolg.

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Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich war am 5. Februar 2020 zum Ministerpräsidenten gewählt worden und bereits drei Tage später wieder zurückgetreten. Warum? Weil die etablierten Parteien, die öffentlich-rechtlichen und privaten Medien und eine Reihe privater Organisationen sich energisch über Wahl empört hatten. Ein Startschuss dieser Aufregung war dabei von keiner geringeren als der Bundeskanzlerin selbst gefallen:

Merkel befand sich zum damaligen Zeitpunkt auf Staatsempfang in Südafrika. Und von dort aus äußerte sie sich in einer Pressekonferenz zur Wahl des FDP-Politikers Kemmerich (mit den Stimmen von AfD und CDU) im tausende Kilometer entfernten Thüringen:

„Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen.“
Der Vorgang sei „unverzeihlich“, das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden. „Es war ein schlechter Tag für die Demokratie.“ Die CDU dürfe sich nicht an einer Regierung unter Kemmerich beteiligen.

Der Gegenstand der Organklage der AfD gegen diese Intervention der Kanzlerin ist für Laien etwas knifflig, wo verfassungsrechtlich beanstandet wird, dass sich Merkel als Kanzlerin äußert, und die Beklagte erwidert, sie hätte sich nicht in amtlicher Funktion geäußert, sondern als Parteipolitikerin.

Ein Anlass für die Klageerhebung soll die Online-Veröffentlichung dieser Intervention auf den Online-Seiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Staatsempfang gewesen sein, dies sei allerdings nur aus „Gründen der Gesamtdokumentation“ des Staatsempfangs veröffentlicht worden.

So viel zur Vorgeschichte. Jetzt passierte zwischenzeitlich etwas, das die Gemüter einseitig weiter erhitzte: Die Bundeskanzlerin lädt zum Abendessen ein und tatsächlich folgen dieser Einladung am 30. Juni eine Delegation des Bundesverfassungsgerichts unter Leitung des Präsidenten Prof. Dr. Stephan Harbarth, LL.M. (Yale) und der Vizepräsidentin Prof. Dr. Doris König. So berichtet es das Bundesverfassungsgericht selbst Online unter der Überschrift „Besuch des Bundesverfassungsgerichts bei der Bundesregierung“ und versieht diese Pressemitteilung Nr. 54/2021 vom 1. Juli 2021 mit dem rechtfertigend klingenden Nachsatz: „Der Besuch setzt eine seit vielen Jahren bestehende Tradition fort.“

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Nun ist so ein Austausch sicher nichts, das grundsätzlich irgendjemand in Habachtstellung versetzen sollte. Normalerweise nicht und unter anderen Vorzeichen auch nicht. Aber hätte so ein Treffen ausgerechnet drei Wochen vor dem genannten Verhandlungstermin nicht doch verschoben werden müssen? Wäre so eine Verschiebung sogar eine Botschaft gewesen, der die Achtung der Regierung vor dem Rechtsstaat hätte dokumentieren können?

Stattdessen folgten jetzt Befangenheitsanträge der AfD durch deren Prozessbevollmächtigte. Ein Karlsruher Gerichtssprecher bestätigte am Freitag, dass ein Ablehnungsgesuch eingegangen ist. Was man hierbei nicht aus dem Auge verlieren darf: Hier klagt nicht etwa die FDP als Partei des nach drei Tagen zurückgetretene Ministerpräsident, sondern die AfD.

Davon angefasst ist aber nicht nur die AfD, auch Journalistenkollegen wie beispielsweise Philip Plickert (faz), Ralf Schuler (Bild) und Alexander Kissler (NZZ) rümpfen die Nase über dieses Treffen, Schuler twittert über Stephan Harbarth : „Vielleicht sollte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts auch seinen Twitter-Account überarbeiten“, dort steht nämlich weiterhin, Harbarth wäre „Ihr Abgeordneter für den Wahlkreis Rhein-Neckar“ für die CDU.

Oder nein, das steht da gar nicht mehr, der CDU-Abgeordnete bzw. heute Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichtes hat seinen 2009 aufgemachten Account gelöscht – Schuler hatte aber noch einen Screen gemacht und eine entsprechende Kritik veröffentlicht und Plickert kommentiert:

„Jetzt ist der Account @Stephanharbarth deaktiviert worden.“

TE fragt abschließend noch den thüringischen AfD-Landessprecher Stefan Möller, er steht ja gewissermaßen im Mittelpunkt der Geschichte, auch wenn die AfD auf Bundesebene diese Klage führt.

Warum eigentlich die AfD? Wenn hier jemand klagen müsste, dann wäre das doch die thüringische FDP, die ihren Ministerpräsidenten verloren hat? Möller antwortet:

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„Die FDP macht so etwas nicht, die ja ist die handzahme Opposition. Kemmerich zieht heute grußlos an uns vorbei. Ich glaube er wollte ja gar nicht Ministerpräsident werden, er ist halt ein Menschen der gerne Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er hat diese typische Profilierungssucht, die man bei Kemmerich auch sehen kann. Wir haben ihm eine Situation bereitet, die er so nicht mehr beherrschen konnte. Vorher hat er gegrüßt, jetzt nicht mehr. Die Chancen stehen übrigens recht gut, dass der Antrag auch Erfolg hat. Das Verfassungsgericht wird feststellen, dass die Aussage nicht die Neutralitätsanforderungen erfüllt. Die Wahl wird man dadurch nicht kippen können, die Entscheidung würde vermutlich vor allem bei der AfD-Wählerschaft wahrgenommen werden.“

Ist das ein überzogener Optimismus, was man bei Möller meint herauszuhören? Darf hier für die AfD insgesamt gelten: So berechtigt die Klage sein mag ebenso wie der Befangenheitsantrag, so offensichtlich findet hier Wahlkampf statt?

Welchen Gefallen sich die Kanzlerin damit getan hat, die Einladung zum Abendessen aufrecht zu erhalten, steht übrigens noch auf einem anderen Blatt: So etwas kann – samt Spätfolgen des veritablen Shitstorms – dann auch in die entgegengesetzte Richtung abdriften.

Der Präsident von Merkels Gnaden, Einladung ins Kanzleramt vor wichtigem Urteil und offenkundig Gefälligkeitsurteile zu Euro und Klima: Das Bundesverfassungsgericht zerstört seinen früher großartigen Ruf. Eine Institution wird zerstört.

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