Tichys Einblick
Verweile Feind, du bist so wichtig

1977-2017 – 40 Jahre Sehnsucht nach dem deutschen Herbst

In Gestalt von Donald Trump und der Neuen Rechten in Deutschland will man einen weltumspannenden Faschismus entdeckt haben. Gerade noch kurz vor der Rente: Der Kampf geht endlich weiter. Und die Erben der 68er machen mobil.

Screenshot: Baader Meinhof Komplex

Die WELT fragte gerade noch irritiert nach, ob Bücher zur Weimarer Republik, heute wieder aktuell seien. Das Motiv der „Schreihälse von Dresden und vieler ähnlich gestimmter AfD-Anhänger im ganzen Land sei „ähnlich jenem Ende der 20er-, Anfang der 30er-Jahre: Hass, blanker Hass.“ 

Aber die Springer-Redaktion ist nicht die einzige, die meint, fast ein Jahrhundert zurückschauen zu müssen, um eine Zustandsbeschreibung Deutschland 2017 abgeben zu können. Auch die Politik mischt fleißig mit, so vergleicht SPD-Vize Ralf Stegner gerne die jetzigen Zustände mit jenen der Weimarer Republik. Aber warum überhaupt so eine Zeitreise ins Düstere vornehmen, wenn sich ein viel näher liegender Vergleich aufdrängt?

„Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“, riefen die Studenten im Berliner Audimax, Imperialismus war ihr Faschismus. Überall war Faschismus. Vietnam war Auschwitz. Der Staat faschistisch, der Kapitalismus am Holocaust genauso schuld wie an Vietnam. „Die Menge tobt. Es lebe die Revolution. West-Berlin ist Kampfgebiet. Auch wenn es heute absurd klingt, sehen sich die Besucher des Kongresses inmitten einer tödlichen Auseinandersetzung.“, erzählte das Magazin Stern in einer Rückschau.

Nun ist allerdings die wirtschaftlich so erfolgreiche Bundesrepublik 2017 vergleichbarer mit dem Wirtschaftswunder-Deutschland der 1960er Jahre, als mit der am Boden liegenden Weimarer Republik. So führte die von Schmitz im Stern beschriebene Absurdität dieser Eskalation direkt in den Deutschen Herbst. Und die „Faschismus“-Rufe von damals hallen heute wieder vielstimmig durch Deutschland.

Werden uns also die Jünger Dutschkes in einen Deutschen Herbst 2.0 führen? Ist der Hass auf Donald Trump ein Reload des Hasses auf „USA, SA, SS“? Der Spiegel fragt: „Ist Donald Trump ein Faschist?“ und die Zeit bläst ins selbe Horn: „Ein zeitgemäßer Faschist. Medial modern, politisch rechtsextrem: der giftige Cocktail des Donald Trump.“

Was genau haben die 68er Ihren politischen Kindern da in die Wiege gelegt? Neulich hatte ich Ihnen im Rahmen eines Nachrufs für Jörg Andrees Elten dessen Bestseller „Ganz entspannt im Hier und Jetzt“ vorgestellt. Eines jener Bücher, die eine Erklärung abliefern, welche Befindlichkeiten und Sehnsüchte in den heute 50 und 60 Jährigen angelegt sind. Und was das alles mit dem Odem der 68er zu tun hat.

„Ganz entspannt im Hier und Jetzt“ war zunächst einmal Geburtshelfer einer esoterischen deutschen Verbrämung. Oder wie es der Spiegel einmal sarkastisch unter dem Titel: „Erfolgreiche Spinner“ beschrieben hat: „Eine Tierkommunikatorin plaudert mit Ponys, eine Kräuterfee besingt Petersilie, ein Schamane trifft Lichtwesen auf Astralreisen.“

Wohl in jedem zweiten dieser weiblich dominierten bundesdeutschen Haushalte finden sich heute diese Insignien weiser Frauen, magische Seelensteine, schwere Messing-Pendel, zerlesene Wolken- und Baumhoroskope. Licht- und Mondenergie also allenthalben. Oder kürzer: Zyklengemälde. Blutbilder. Menstruation und Co als Sinnstifter.

Menstruation als Sinnstifter

Neben Eltens Besteller gibt aber noch wirkmächtigere DNA-Puzzelteile dieses bisweilen so verstörenden Menschenbildes, wie wir es heute in Politik und Gesellschaft so tief verankert vorfinden. Wie sehen die Mao-Bibeln der Nach-68er aus?

Nehmen wir den Themenkreis Feminismus. Es galt, dieses elende Patriarchat der wilhelminisch geprägten Kriegsväter zu überwinden. Aber die so hoch gelobte Trümmerfrau dachte noch nicht daran, den Ziegelstein als Wurfgeschoss zu nutzen, sondern nahm ihn kriegsmüde als Grundstein für ihr trautes Heim, für ihren Gebieter ebenso, wie als Schutzraum für das Ergebnis ungestümer nächtlicher Mutti-Besteigungen auf welche dann die geburtenstarke Generation folgte – die allermeisten von ihnen brav getauft mit der Hand auf der Bibel.

Erst die Töchter der Töchter dieser Eingemauerten suchten sich ihre eigenen Bibeln. Eine davon versprach die lilagefärbte Befreiung: „Der Tod des Märchenprinzen“ von Svende Merian. Männliche Zufallsbekanntschaften bekamen es auf den Nachtschrank hingeworfen wie einen Fehdehandschuh, bevor Mann hineingreifen durften in die Schublade darunter, um sich mal eigeninitiativ um die Verhütung zu kümmern, anstatt nur auf diese elende Hormontherapie zu vertrauen. Auf jene Pille, die Frau allmorgendlich einwerfen sollte, während für den Tod des männlichen Samens noch keine Medizin entdeckt war. Klar, auch die Forschung war männlich dominiert. Und die Herrn Professoren hatten zwar nicht mehr den Muff von tausend Jahren unter den Kitteln, sahen aber keine Veranlassung zur Selbstkastration auf Zeit, solange man nur an der Frau herumexperimentieren konnte.

Svende Merians Buch war im weitesten Sinne eine Auseinandersetzung mit dem weiblichen Begehren und dem Anspruch es diesem so unverschämt gut aussehenden Beischläfer nicht allzu leicht zu machen, wenn er ebenfalls wollte, was man ja selber wollte. Alice Schwarzer schrieb zeitgleich „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ und Nina Hagen sang dazu: „Ich bin nicht Deine Fickmaschine“. Hier gab es nun den Roman dazu. Und er wurde zum Bestseller.

Die Berliner Zeitung schrieb dazu: „Svende Merians autobiografischer Roman erzählt von ihrer ungünstig verlaufenden Liebe zu einem ‚Politmacker‘ und von männlicher Dominanz im Allgemeinen sowie in linken Kreisen im Besonderen. Die Beziehung scheiterte, und Merian (…) kaufte eine Sprühdose und beschriftete das Fenster des Ex-Geliebten mit den Worten ‚Auch hier wohnt ein Frauenfeind.'“

Das verhasste Establishment

Apropos „Politmacker“, damit sind wir schon bei der wohl populärsten Bibel dieser 68er-Adepten angekommen. Bei Stefan Austs „Der Baader Meinhof Komplex“ von 1985. Ein Mega-Bestseller. Ein Politisierungsprogramm im Konsalik-Erzählstil. Eine Chronologie so wunderbar erzählt, wie die Abenteuer der Schatzinsel.

In der sich bei der Lektüre zwangsläufig einstellenden Empörung über das verhasste Establishment wurde aber nicht nur die Saat gelegt für eine weitere Generationen RAF, der Hass grub sich in abgemilderter Form in hunderttausende Köpfe: „Scheiß Deutschland, alles Nazis, Polizei, SA, SS.“ Köpfe, die heute Politik machen, die im Bundestag im Reichstagsgebäude angekommen sind, so wie Autor Aust heute Herausgeber der WELT ist, irgendwo im Norden edle Pferde züchtet und sich bisweilen den Luxus erlauben kann, in Talkshows den linken Mainstream zu kritisieren, für den er selbst eine der prominentesten Blaupausen geliefert hat.

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Deutschlands erfolgreichster Mainstream-Filmemacher Bernd Eichinger (RIP) und sein damaliger Hausregisseur Uli Edel verfilmten 2008 Stefan Austs Bestseller. Und es wurde nicht nur ein großer kommerzieller Erfolg, sondern auch einer insofern, als es Aust gelang, seinem so aufstachelnden Werk nach über einem Vierteljahrhundert Wirkmacht nachgereicht den Stachel zu ziehen. Eine Art verkehrt herum finanzierter Ablass. Aus Empörungsliteratur wurde ein großer deutscher Pop-Film – reduziert auf ein Roter-Teppich-Ereignis.

„Andres Veiel hat den besseren ‚Baader Meinhof Komplex‘ gedreht.“, schrieb nun allerdings Carolin Ströbele drei Jahre später in einer großen Filmrezension für die ZEIT. 3sat zeigte „Wer, wenn nicht wir“ gerade wieder in einer Berlinale Retrospektive. Und diese Nachschau zur rechten Zeit war nun ein echter Glücksfall.

Deshalb so aufregend, weil es Veiel viel besser als Pop-Edel verstand, den Blick frei zu machen; die Blaupause der großen Befindlichkeiten der Gegenwart sichtbar zu machen, indem er ein exzellentes Psychogramm des Aufbegehrens der 68er gegen ihre nationalsozialistisch geprägte Elterngeneration zeigte.

Reload der Weltuntergangs-Hysterie

Der Film zeigt diese sich zuspitzende Weltuntergangs-Paranoia der 1960er Jahre, befeuert vom Kalten Krieg auf seinem Höhepunkt während der Kubakrise, einem US-amerikanischen Blutrausch in Vietnam und einem als latent faschistoid empfundenen Europa mit seinem anhaltenden Franquismus in Spanien, dem Estado Novo in Portugal und der Junta in Griechenland. Ja, sogar der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat Schweden hatte noch bis in die späten 1970er Jahre „Minderwertige Elemente“ zwangssterilisiert.

Dieser im Vergleich zum „Baader-Meinhof-Komplex“ viel weniger beachtete Film von 2011 endet im Gewalt- und Vernichtungsrausch der Roten Armee Fraktion. Glanztat des Films allerdings ist die Darstellung einer gesamtgesellschaftlichen Hysterie als glasklare Blaupause für gegenwärtige Verwerfungen. Die Parallelen drängen sich auf. Wenn der Regisseur beispielsweise seine Gudrun Ensslin gegen dieses Faschismus-Gespenst anschreien lässt, dann hört man schon die Protagonisten von heute brüllen, dann taucht einer wie Jakob Augstein aus dem Nebel auf und palavert von einem „gespaltenen Land und einen zerrissenen Kontinent.“ Dann ist Trump in Persona das neue Vietnam und dann wird ausgerechnet ein Martin Schulz plötzlich zum neuen Willy Brandt, zum deutschen Weltenerretter.

Solche und andere Gesellschaftsapokalyptiker treibt eine Sehnsucht um: Sie wünschen sich für das Wahljahr 2017 einen neuen deutschen Herbst.

Auf der ganzen Welt formieren sich die Abgehängten des globalen Kapitalismus zum Widerstand. Es ist die rechte Revolution, die diesem Widerstand eine politische Stimme gibt – eine Stimme der Wut und des Ressentiments.“, formuliert es Augstein auf der verzweifelten Suche nach der einen alles entscheidenden Gegenkraft, die nun die Sehnsucht nach der Niederkunft des Revolutionär in ihm selbst wahr werden lassen könnte.

„Der Kampf gegen den Faschismus“ muss doch weitergehen, bevor alles zu Ende ist. In diesem elenden Leben im Wohlstand.

Das sind die zu kurz Gekommenen. Die von Elten in die innere Migration getriebenen, die von Merian und Co feminisierten, die von Aust politisierten. In Donald Trump, Geert Wilders, Marine Le Pen und Höcke/Petry erkennt man ihn wieder wie eine aufgehende Sonne: den so heiß ersehnten „Faschismus“ der anderen. Da ist sie nun endlich kurz vor dem Erreichen des Rentenalters: die Großchance, es den Heros, den Ikonen, den 68er-Vorbildern noch einmal gleich zu tun. Frustriert. Egozentrisch. Selbstverliebt. Verantwortungslos. Was vor allem fehlt, ist die Aufbruchsstimmung. Der Wille zur Veränderung, die Vision – und mag sie noch so schwachsinning sein – von einer neuen Welt. Sie sind nicht FÜR etwas, sondern wollen bloß unentwegt „Zeichen setzen“ GEGEN den hoffentlich lange lebenden Feind. Ohne ihn fielen sie nämlich ins Nichts.

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