Tichys Einblick
Kein Anstand

Roseanne: Das süße Gift der Likes

Die tausendfache Sofort-Bestätigung aus seiner Twitter-Blase, sie kommt einem kleinen Rausch gleich. Viele User lassen sich leiten von Klicks und Likes. Je mehr Applaus, desto mehr schleicht sich Extremes in ihre Tweets ein, desto derber werden Sprüche und Sprache.

Vergangenen Dienstag hat Roseanne Barr einen Tweet abgesetzt, zirka sechs Stunden später ABC ihre Hit-Serie „Roseanne“. Angriff auf die Meinungsfreiheit? Zensur? Doppelstandards? Richtige Entscheidung? Egal, was es war: Ihre eigene Überheblichkeit hat die Komödiantin den Job gekostet.

Roseannes verhängnisvoller Tweet richtete sich gegen die Afroamerikanerin Valerie Jarrett, einst Beraterin von Barack Obama: „Hätten die Muslimbruderschaft und Planet der Affen ein Baby, würde es aussehen wie Valerie Jarrett.“ Später hat ihn die 65-jährige gelöscht und sich entschuldigt: „Mein schlechter Witz über ihre Politik und ihr Aussehen tut mir aufrichtig leid. Ich hätte es besser wissen müssen. Vergebt mir. Mein Witz war schlechter Geschmack.“

Die Sitcom „Roseanne“ war ein Hit in den Neunzigern, nach 20 Jahren Unterbrechung ist sie kürzlich als Neuauflage wieder ins Programm genommen worden und knüpfte an die hervorragenden Quoten an; bei ABC zählte sie zu den erfolgreichsten Shows. Roseanne ist Unterstützerin von Donald Trump, bei Twitter fällt sie häufig mit scharfen Kommentaren auf.

Zu dem Tweet gehen die Meinungen auseinander. Die einen halten ihn für „entsetzlich“, eine „Schande“, er sei „vollkommen rassistisch“, so Robert Iger, CEO des Disney-Konzerns, zu dem ABC gehört. Roseanne habe bekommen, was sie verdient, meinte Produzentin Shonda Rhimes („Grey’s Anatomy“). Roseannes Künstleragentur trennte sich per sofort von ihr, viele Schauspieler beklatschten die Absetzung ihrer Serie mit hysterischer Hingabe.

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Schwarze Listen, Abweichler und ein Mimoserich, der's nicht checkt
Die anderen halten den Tweet für eine Beleidigung, aber nicht für rassistisch. Sie kreiden die Doppelmoral an und verweisen auf zahlreiche Beispiele, wo Weiße gedemütigt und rassistisch beleidigt werden, das aber kaum je Konsequenzen habe. Polit-Kommentator Jack Murphy schrieb bei Twitter unter anderem: „Kimmel machte sich über Melanias Akzent lustig. Bill Maher macht haufenweise rassistische Bemerkungen. Keith Olbermann nennt Präsident Trump einen f****** Nazi.“ Dennoch habe Letzterer erst kürzlich einen Job bei Disneys Sportsender ESPN bekommen. Afroamerikaner wie Mr. Mark unterstützen die Komödiantin: „Roseanne ist nicht mehr Rassist als alle anderen auf dieser Welt. Sie hat einen schlechten Kommentar gemacht und sich dafür entschuldigt. No big Deal. Leute sollten sich ernsthaft entspannen. Das ist lächerlich.“

Ich habe in meinen Texten schon mehrfach zugunsten von Comedians argumentiert. Politisch korrekte Komik ist ein Humor-Killer, und grundsätzlich geht mir die von Überempfindlichkeit und Opferhysterie geprägte Gesellschaft auf den Geist. Satiriker dürfen Menschen beleidigen, Gefühle verletzen, ja, sie sollen mit ihren Sprüchen aufs kollektive Nervensystem drücken. Auch ganz normale Witze sind kein Drama.

Nur, ich bin mir nicht so sicher, ob Roseannes Tweet wirklich ein Witz war. Ich halte ihn eher für eine bewusste grobe Beleidigung. Denn sie kommentierte – wie sie selbst schrieb – die Politik und das Aussehen von Jarrett. Sie verkaufte es erst als Witz, als der Backlash einsetzte. Natürlich haben nicht alle Menschen denselben Maßstab in Sachen Rassismus, was der eine als rassistisch empfindet, ist für den anderen ein harmloser Spruch, vielleicht eine Beleidigung, aber nicht unbedingt rassistisch motiviert. Aber wir sind uns wahrscheinlich alle einig, dass der Vergleich von schwarzen Menschen mit Affen, egal wie es gemeint ist, rassistisch ist.

Ich kann den Entscheid von ABC nachvollziehen. Einerseits profitiert man von Stars, die auch außerhalb der TV-Serie ein großes Publikum haben, um noch mehr Zuschauer anzulocken. Andererseits möchte man die Protagonisten seines Entertainments-Formats nicht in umstrittene Aussagen verwickelt. Denn am Ende des Tages geht’s ums Geld – und ein Werbeboykott, das Roseanne übrigens als Grund hinter ihrer Kündigung vermutet, wäre problematisch. Mit einem Einschnitt in die Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun, obwohl das einige nun behaupten. „Es war nicht Zensur. Es war Business“, äußerte der britische Comedian Ricky Gervais bei Twitter. „Sie wurde nicht angezeigt. Sie wurde nicht zum Schweigen gebracht. Sie kann weiterhin sagen, was sie will. Ihre Arbeitgeber haben einfach entschieden, dass sie nicht mehr mit ihr arbeiten wollen. Das ist Freiheit.“

Grundsätzlich halte ich den Kommentar nicht für einen Weltuntergang. Ich glaube nicht, dass eine Person wegen eines rassistischen Kommentars – für den sie sich entschuldigt hat – grundsätzlich ein Rassist ist. Auch Beleidigungen gehören bis zu einem gewissen Grad zur Meinungsfreiheit. Mit den Konsequenzen muss dann jeder freilich selber zurechtkommen.

Aber Anstand ist eine Eigenschaft, die uns Menschen auszeichnet. Wie verblendet und abgehoben muss man sein, wenn man auf niemanden mehr Rücksicht nimmt? Meine Hypothese ist – auch wenn sie selbst jetzt Beruhigungsmitteln die Schuld gibt, – dass Roseanne vom Strudel des Internet-Beifalls mitgerissen wurde. Die tausendfache Sofort-Bestätigung aus seiner Twitter-Blase, sie kommt einem kleinen Rausch gleich. Viele User lassen sich leiten von Klicks und Likes. Je mehr Applaus, desto mehr schleicht sich Extremes in ihre Tweets ein, desto derber werden Sprüche und Sprache. Egal, aus welchem politischen Spektrum, das Phänomen ist überall ähnlich.

„Sie ist keine Rassistin. Rassisten habe keine schwarzen Freunde“, schrieb ein offenbar mit Roseanne befreundeter Afroamerikaner. Auch wenn das stimmt, ein Anstandskurs täte ihr trotzdem gut.

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