Wenn sich die Netzfeministen und ihre Entourage einmal so richtig auf jemanden eingeschossen haben, ist Widerstand zwecklos. Die Internet-Schnellrichter entscheiden dann über die mittelfristige Zukunft der Person, und weil sie in den Medien und sozialen Medien, den populären zeitgenössischen Kampfschauplätzen, die Vormachtstellung besitzen, ist diese von vornherein erledigt. Die Grösse des begangenen Fehlers spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Jetzt hat es den österreichischen Politiker Efgani Dönmez (bis dahin noch ÖVP) erwischt. Der 41-jährige türkischstämmige Abgeordnete hat neulich angedeutet, dass die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) ihren Job wegen Hochschlafens bekommen hat. Konkret antwortete er bei Twitter auf die Frage eines Users, wie Chebli überhaupt Staatssekretärin werden konnte, mit den Worten: „Schau dir mal ihre Knie an, vielleicht findest du da eine Antwort.” Zwinkersmiley.
Das ist dumm, sexistisch, beleidigend, daneben. Es scheint, dass der Herr die ganze #MeToo-Hysterie, pardon -Debatte der letzten Monate überhaupt nicht mitbekommen hat. Wenn ausgerechnet ein Politiker, der naturgemäss schonungsloser beobachtet und beurteilt wird als unsereins, sich in aller Öffentlichkeit so eine Idiotie leistet, zeugt das nicht gerade von einem hellen Köpfchen.
Chebli ist wahrscheinlich nicht die erste, die solche Kommentare zu hören/lesen bekommt, sie wird auch nicht die Letzte sein. Und nichts auf dieser Welt, auch nicht der 50. Hashtag, wird etwas daran ändern. Es wird immer dumme Menschen geben, reizbare, böse auch. Mir wurde schon einige Male unterstellt, dass ich durch sexuelle Gefälligkeiten berufliche Dinge erreicht hätte. Aber, jetzt aufgepasst: Es wurde mir hauptsächlich von Frauen unterstellt, hinter meinem Rücken. Aus Neid, Eifersucht, Zickerei, was weiss ich. Es ist also keineswegs eine „gängige Missbrauchsmethode von Männern in Machtpositionen“, wie eine Userin die verbale Entgleisung bezeichnete, sondern eine Methode des beschränkten Geistes. Der Spruch ist auch nicht explizit „frauenverachtend“, auch Männer wurden schon damit konfrontiert.
Nun will man Dönmez aus dem Politikeramt entfernen – dass die ÖVP ihn aus der Partei geschmissen hat, reicht den Online-Richtern nicht.
Seinen Rücktritt zu fordern, ist legitim. Ich denke auch, dass ein Rücktritt nach diesem Spruch Sinn macht. Auch bin ich der Meinung, dass man sich – egal, ob Mann oder Frau – gewisse Dinge nicht einfach gefallen lassen sollte. Sich wehren geht hier in Ordnung – auch wenn ich persönlich so einen Spruch eher an mir abperlen lasse und mit Nicht-Beachtung reagiere. Der Hochschlaf-Vorwurf ist weiss Gott nicht etwas vom Schlimmsten, was Frau je zu hören bekommt. Da kann man gelassen drüberstehen. Aber jeder reagiert da unterschiedlich.
Nun aber kommt der Teil, der erschreckt: Die sonderliche und abstossende Besessenheit, mit der in den sozialen Medien auf Dönmez Druck ausgeübt wird.
Zunächst forderten bei Twitter Accounts mit sehr grosser Followerschaft, also Publizisten, Musiker und Sänger, beinahe im Stundentakt seinen Rücktritt. Wörtlich schrieb eine Person: „Ist Dönmez schon zurückgetreten?“ -„Ist Dönmez ENDLICH zurückgetreten?“ -„Ich finde wirklich, dass Dönmez zurücktreten sollte. Und zwar kommentarlos.“ -„Ist Dönmez schon zurückgetreten?“ Das wurde rege retweetet. Am liebsten würde man ihm wahrscheinlich noch seine Wohnung kündigen, auf jeden Fall stehen die Netzrichter nur kurz davor, einen Pranger aufzustellen und ihn mit faulen Tomaten zu bewerfen. Irgendwann hat sich noch die deutsche Justizministerin Katarina Barley (SPD) eingeschaltet, der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz wurde in ein Tweet-CC genommen.
Nachdem Dönmez sich dem Massendruck nicht beugte – er sagte dem „Kurier“ am Montag, dass er als fraktionsloser Abgeordneter im Parlament bleiben wolle – starteten sie am Dienstag die Petition „Abgeordneter Efgani Dönmez muss zurücktreten! #keineStimmefürSexismus“. Bis am Mittwochmorgen kamen 825 Unterschriften zusammen – nach zwei Tagen 12.000. Im Petitionstext werden Punkte aufgelistet, wo sich Dönmez „menschenverachtend und sexistisch“ geäussert haben soll: 2013 habe er laut Kurier.at auf Facebook gepostet: „5000 One-Way-Tickets und keiner würde denen nachweinen…“, das sei auf in Österreich lebende Anhänger von Erdogan bezogen gewesen. 2016 habe er nach einer TV-Show dem Identitären-Chef Martin Sellner angeboten, gemeinsam ein Flüchtlingswohnprojekt zu besuchen. „Im April 2017 kontaktierte Dönmez dann die betroffene Linzer NGO, um den Besuch zu arrangieren – was die Partei zu verhindern wusste.“ (Dönmez war bis 2017 Mitglied der Grünen und für diese von 2008 bis 2015 im Bundesrat.)
Diese zwei Punkte stehen da. Sexistisch ist keiner der beiden. Herabsetzend der erste, ja. Der Besuch eines Flüchtlingsprojekts inklusive der Anfrage an Martin Sellner ist, soviel ich weiss, nicht verboten. Am Schluss heisst es: „Sexismus ist kein Ausrutscher, sondern ein Charakteristikum rechten und rechtskonservativen Gedankenguts.“ Da kommen wir der Sache endlich näher.
Ich finde es ja wunderbar, wenn im linken und linksliberalen Spektrum kein Sexismus existiert, es dort keine verbalen Ausrutscher gibt, keine blöden Sprüche, keine Beleidigungen, keine falschen Gedanken, sondern nur Fairness, Toleranz, Liebe, und was sonst noch alles so angesagt ist im Tugendlager der Gutmenschen. Gratulation.
Wie schon erwähnt, ging der Vorwurf des Hochschlafens auch schon an mich – von Frauen. Dass die Damen jetzt nicht unbedingt alle aus dem rechten und rechtskonservativen Spektrum stammen, muss man hier extra nicht erwähnen. Nur so viel: Sexismus als ein Charakteristikum des rechten und rechtskonservativen Gedankenguts zu bezeichnen, ist blanker Unsinn. Von dem Pauschalurteil gegenüber einer ganzen Gruppe, von dem ja bei anderer Gelegenheit immer so gerne gewarnt wird, spreche ich erst gar nicht.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich verteidige diesen Mann nicht. Aber können wir eine Sekunde verschnaufen? Herrje, er hat keine Frau geschlagen, keine missbraucht. Er hat einen be********** Spruch losgelassen, hat sich dafür entschuldigt.
Fakt ist: Menschen machen Fehler. In was für einer irren Zeit leben wir, wenn wir Leute wegen eines beleidigenden Spruchs wie Kriminelle behandeln? Die Verhältnismässigkeit scheint heute auf der Strecke geblieben – irgendwo zwischen Internet und Feminismus.