Tichys Einblick
#takeaknee

Hymne und Boykott: Drama in 4 Akten

Den Sport, diese letzte Bastion der völkerverbindenden Unschuld, mit Politik zu vermengen und für Kulturkämpfe zu vereinnahmen, ist keine kluge Idee, und es lässt für die Zukunft nichts Gutes erahnen.

Vom Protest einiger NFL-Spieler zur Massen-Hysterie-Bewegung gegen Donald Trump – Chronologie eines Kulturkampfes, in dem es nur Verlierer gibt.

1. Akt. Im Sommer 2016 kniet NFL-Star Colin Kaepernick aus Protest gegen Rassendiskriminierung zur Hymne nieder. Die Hymne ist weltweit ein Symbol, das Menschen vereint, ein Stück Heimatstolz. Weil aber ganz besonders für die Amerikaner Flagge und Hymne für Unabhängigkeit stehen, für gefallene US-Soldaten, für den Zusammenhalt der 50 Bundesstaaten und zu einem Spiel gehören wie Hotdogs, fallen die Reaktionen auf Kaepernicks Protest entsprechend ambivalent aus.

2. Akt. Vergangenes Wochenende protestieren über 150 NFL-Profis nach Kaepernick-Vorlage zur Hymne kniend gegen Polizeigewalt gegen Schwarze. Viele Amerikaner unterstützen den Protest. Etwa genauso viele halten ihn für die maßlose Respektlosigkeit einiger überbezahlter, privilegierter Millionäre gegenüber ihrem Land und seinen Bewohnern, insbesondere aber gegenüber Kriegsveteranen, die weit weniger privilegiert sind, aber ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um für diese Flagge zu kämpfen.

3. Akt. Die Kontroverse spitzt sich zu, als sich am Freitagabend in einer Anwandlung von Wahnsinn Donald Trump einmischt. Während einer Rede sagt er laut Daily Mail: „Würde man es nicht gerne sehen, wenn einer dieser NFL-Besitzer zu jemandem, der unsere Flagge nicht respektiert, sagt, nehmt diesen *****sohn vom Feld. Raus! Er ist gefeuert!'“. Später ruft er in wütenden Tweets zum Boykott der NFL auf, fordert, dass protestierende Spieler entlassen werden. „Wenn ein Spieler das Privileg möchte, Millionen von Dollars in der NFL oder anderen Ligen zu verdienen, sollte es ihm oder ihr nicht erlaubt sein, unsere großartige amerikanische Flagge (oder das Land) nicht zu respektieren und er sollte sich zur Nationalhymne erheben. Wenn nicht, BIST DU GEFEUERT. Finde etwas anderes, das du tun kannst!“ In dem Moment mutiert die „Take a knee“-Demo von NFL-Spielern gegen Diskriminierung zur ultimativen Protestbewegung NFL, Sportler, Demokraten, Medien gegen Donald Trump. Und weil Trumps Gegner gelegentlich zu ekstatischen Kurzschlussreflexen neigen, schlagen sie vor: Alle sollten nun zur Hymne knien.

Irgendwo an der Stelle schaltet sich die NFL öffentlich ein, verurteilt Trumps Kommentare. Nur hat sie die Rechnung ohne einen Teil der Amerikaner gemacht, der mit dem „Opportunismus“ (The Daily Wire) der mächtigen Liga bestens vertraut ist. Die US-Website The Daily Wire frischt auf: 2014 engagierten sich Spieler der St. Louis Rams in einem „Hands Up, Don’t Shoot“-Protest – die Liga unternahm nichts. Nach dem Massaker von Schwarzen Radikalen an Polizisten wollten die Dallas Cowboys-Spieler zu Ehren der getöteten Polizisten Abziehbilder der Dallas Polizei tragen – die NFL lehnte das ab. Das Knien während der Hymne von Kaepernick und anderer Spieler – es ging für die NFL in Ordnung. Als einige Profis am 11. September 2016 spezielle Schuhe tragen wollten, um die 9/11-Toten zu ehren, drohte die NFL mit Bußen.

4. Akt. Zu Sinnbildern des inzwischen Kontinent-umspannenden Streits werden am Sonntag die NFL-Spieler Alejandro Villanueva und LeSean McCoy. Ersterer tritt als einziger seines Teams aus der Kabine, präsentiert sich zur Hymne stehend, dafür wird er von Konservativen und Trump-Anhängern gefeiert und sein Trikot zum Verkaufsschlager. Letzterer entschied sich während des Gesangs für Stretch-Übungen. Was aber macht Tom Brady, Patriots-Legende und Trump-Freund? Kniet er, kniet er nicht? Brady kniet nicht, hakt sich aber solidarisch bei den Teamkollegen ein. Dem US-Radio WEEI sagt er montags über Trump: „Sicher widerspreche ich seiner Aussage. Ich finde, sie ist einfach nur entzweiend.“ Etwa zeitgleich brilliert Neo-Nationalheld Villanueva bei ESPN mit der Sportler-Aussage des Jahres: Sein Gang aus der Kabine sei ein Missverständnis gewesen, er habe nur die Flagge sehen wollen. Soweit der Überblick bis Mittwoch.

Fest steht: Der friedliche Protest der Sportler ist legitim – genauso legitim wie die Kritik daran. Auch Donald Trump darf Kritik ausüben – nur eben, wie ein Staatsmann. Indem er aber die Entlassung der protestierenden Spieler fordert, agiert er nicht nur kleinkariert, mit solchen Aussagen gießt er Öl ins Feuer einer ohnehin gespaltenen Gesellschaft. Auch greift das Argument „verwöhnte Millionäre“ zu kurz, den meisten Spielern sind die Millionen ja nicht in die Wiege gelegt worden. Sie sind zu Superstars und Idolen geworden, weil sie hart trainiert, viel investiert und viel geopfert haben.

Und dennoch: Auch wenn Verständnis da ist für ihren „Take a knee“-Protest, so muten doch Ort und Zeitpunkt befremdlich an. Die Sportler beanspruchen für ihre Kundgebung eine Plattform, die für viele ein Zufluchtsort vom Realitätsalltag darstellt, von Sorge und Leid, oder ein behutsam kultiviertes Momentum der Ehrerbietung ist für vergangene Seelen. Es gäbe doch viele andere, geeignetere Orte für eine Unmutsbekundung, wie etwa Interviews oder Kommentare in großen Zeitungen, oder in TV-Shows- und Debatten zu dem Thema, man könnte durch Reden an entsprechenden Anlässen die Aufmerksamkeit darauf lenken, Aktivismus-Arbeit bei bestimmten Organisationen und Communities betreiben.

Den Sport aber, diese letzte Bastion der völkerverbindenden Unschuld, mit Politik zu vermengen und für Kulturkämpfe zu vereinnahmen, ist keine kluge Idee, und es lässt für die Zukunft nichts Gutes erahnen. Denn einen versöhnlichen Abschluss dürfte es hier nicht geben. Es ist keiner da, der die Eskalation aufhalten könnte. Vorhang.

Eine kurze Version des Beitrages erschien zuerst in der Basler Zeitung.

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