Gestern war Frauentag. Einige Tage zuvor, so ist anzunehmen, ist eine deutsche Gleichstellungsbeauftrage aufgewacht mit dem Gedanken: Wie in aller Welt soll ich das nächste Mal die Nationalhymne singen, wo doch im Text zwei Worte stehen, die ein paar Frauen beleidigen könnten?
Der Rundbrief der Gleichstellungsbeauftragten Kristin Rose-Möhring aus dem SPD-geführten Familienministerium ging dann sofort raus an alle Mitarbeiter, wie Bild.de vergangene Woche berichtete. Ihre durch den Frauentag inspirierte Forderung: In der Hymne sollte ‚Vaterland‘ in ‚Heimatland‘ umbenannt werden, statt ‚brüderlich‘ soll es ‚couragiert‘ heissen. Der Gedanke ist ja nett, aber leider nicht ganz durchdacht, denn gerade der Ausdruck ‚Heimat‘ ist ja in Deutschland alles andere als unumstritten. Und weil sich auch mit Formulierungsalternativen immer irgendeine Gruppe getriggert fühlt, würde sich am besten der Text ‚Bla bla bla, bla bla bla blablabla‘ eignen.
Die Idee mit den geschlechtsneutralen Umformulierungen bei Nationalhymnen ist nicht neu. Die kanadische Hymne wurde erst kürzlich angepasst. Österreich machte aus „Heimat bist du großer Söhne“ neu „Heimat großer Töchter und Söhne“. Beim Schweizerpsalm scheint zwar kein Genderproblem verortet, dennoch unternahmen einige Findige Änderungsversuche, weil der Text angeblich nicht mehr zeitgemäß, zu religiös und patriotisch sei. Es blieb bei Versuchen. Da haben es die Spanier einfacher: Der „Marcha Real“ hat gar keinen Text.
Hymnen reichen zurück bis in die Antike. Der Hymnus war schon bei den alten Griechen beliebt, sie sangen ihn zur Götter-, Helden- und Naturverehrung. Im Mittelalter hatte die Hymne mit der Anbetung Gottes einen religiösen Zweck. Im 19. Jahrhundert wurde die Hymne im Zuge der Gründung von Nationalstaaten als Staatssymbol entdeckt, die meisten Nationalhymnen entstanden in der Zeit – laut Kulturradio SRF entweder, um im Kampf anzuspornen oder das Volk zu vereinigen und das Oberhaupt zu preisen. Nationalhymnen sind stark mit der Geschichte und Politik des Landes verbunden, drücken Verehrung und Stolz aus, normalerweise widerspiegeln sie die zentralen Werte einer Gesellschaft.
Und weil sich die Gesellschaft wandelt, weiterentwickelt, aufgeklärter und sensibilisierter geworden ist, wandelt sich mit ihr auch ihre Ausdrucksform. Heute würde man bestimmte Hymnen-Texte anders formulieren als vor 70 oder 100 Jahren. Man würde auch Filme anders filmen, Gedichte oder Bücher anders schreiben. Und das ist gut so. Wenn aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen sensibler artikuliert und formuliert wird, bedeutet es Fortschritt und ‚Inklusion‘ (Einbeziehung), um mal das angesagte soziale Modewort zu beanspruchen.
Wenn also eine Gleichstellungsbeauftragte an einer Hymne herumdoktert, ist das nicht weiter tragisch. Bestimmt meint sie es gut. Und angesichts der zig Millionen sich im singfähigen Alter befindenden deutschen Frauen, die alle regelmäßig die Hymne trällern und sich ob deren Text ärgern, scheint das Ausdenken von neuen Begriffen auf Staatskosten ein vernünftig investierter Aufwand. Oder doch nicht? Sind es vielleicht gar nicht so viele Frauen, die sich wegen der Worte ‚Vaterland‘ und ‚brüderlich‘ ausgegrenzt und herabgewürdigt fühlen und es als dringend zu lösende Knacknuss erachten?
Wir sind beim ersten Problem der gendergerechten Sprache. Wenn Gleichstellungsbeauftragte irgendwo eine Ungerechtigkeit orten, schließen sie in der Regel von sich selber auf alle anderen. Sie bilden sich ein, mit ihrer Gender-Ideologie im Namen ihrer Geschlechtsgenossinnen zu sprechen. Das tun sie nicht. Sie sprechen für eine Minderheit, zwar eine laute, aber eine Minderheit. ‚Vaterland‘ stellt für die Mehrheit der Gesellschaft kein Problem dar und deshalb sind solche rückwirkenden Sprachänderungen reine Bevormundung.
Weiter entpuppt sich die Priorisierung eines angeblich unzumutbaren Zustandes, der keiner ist, als klassisches First World-Problem – dessen Lösung man übrigens an eine Schulklasse zur Abschlussarbeit delegieren könnte. Ein Ministerium, das Leute beschäftigt, die sich mit dem Umwandeln von Hymnentexten auseinandersetzen, suggeriert (auch wenn es nicht für all diese Bereiche zuständig ist), dass man alle anderen Probleme im Land gelöst hat, von der Arbeitslosigkeit bis zur Altersarmut, von der Kriminalität bis zur Umweltverschmutzung – und weil eben alles palletti ist, geht man halt noch die Hymne an. Dass dem augenscheinlich nicht so ist, und viele Menschen solche Genderfixierungen darum als ‚Genderwahn‘ bezeichnen, ist nachvollziehbar.
Die Ironie an der gendergerechten Sprache aber ist, zumindest bei der aktuellen Forderung, dass die Gender-Sensiblen nun mit den Integrations-Sensiblen kollidieren. Mit dem Vorschlag ‚Vaterland‘ in ‚Heimatland‘ umzubenennen, wird nämlich die Verstimmung einer weiteren Gruppe riskiert: „Heimat ist ein ausgrenzender Begriff“, twitterte die Grüne Jugend Deutschland. Der Begriff ‚Heimat‘ würde von den Rechten verwendet. „Er ist mindestens unsensibel, wenn nicht völlig deplatziert“, so ein Links-Politiker laut der Berliner Zeitung. Ja, was denn nun?
Das Gender-Dilemma, es offenbart sich: Immer mehr Gruppen melden immer mehr Forderungen an – es scheint schier unmöglich, eine universelle Sprache zu sprechen, bei der sich kein Mensch dieser Welt ausgegrenzt fühlt. Wenn jetzt in Hymnen Männer neutralisiert werden sollen, wer kommt als nächstes? Nebst den binären Geschlechtern gibt es heute über 70 Geschlechtstypisierungen, von Intersexuell über Transgender bis Transsexuell und Queer, die wahrscheinlich in keiner Hymne vertreten sind. Eventuell sollte man Hymnentexte generell abschaffen, so wie die Spanier. Wie empfinden eigentlich nicht-weibliche Wesen angesichts Begriffen wie Mutter Erde, Muttersprache und Schraubenmutter? Und was sollte man nach den Hymnen ändern? Gedichte übermalen hatten wir ja schon. Vielleicht Literatur umschreiben? Jene Menschen, die alte Texte in Hymnen nicht ertragen, werden wohl bald auch gewisse alte Bücher, Filme, Gedichte und Schriften nicht mehr ertragen. Wer sich also eine Nachbarschaft von sich stets benachteiligt fühlenden Zeitgenossen anerziehen will, sollte Gleichstellungsbeauftragten und ihren Ideen unbedingt nachgeben.
Es ist nicht so, dass man eine Hymne absolut nie einer Änderung unterziehen sollte – Sprache hat sich stets gewandelt; irgendwann schreibt man vielleicht eine komplett neue Hymne – denn, sind wir ehrlich, wer benutzt heute noch Begriffe wie ‚Vaterland‘? Der Wandel geschieht aber auf natürliche Weise, dazu benötigt es keine Staatsangestellte.