«Lieber, weisser Mann, das ist nicht dein Hashtag“, titelte neulich ein feministisches Webmagazin. Hashtag? Schon wieder? Und wir sollen still sein wie bei #meToo? Fragen sich die Herren jetzt. Ja. Nach #Aufschrei und #meToo bewegt jetzt #meTwo die Gemüter. Unter dem Hashtag teilen Menschen in den sozialen Medien und vor allem in Deutschland seit einigen Wochen ihre Erfahrungen mit Rassismus. Und diese eine Gruppe, weiss und männlich, die soll hier nicht mitreden.
Deutschlands Gesellschaft ist rassistisch. Strukturell und flächendeckend. Das ist der Grundtenor fast aller, die bei Twitter ihre Rassismus-Schilderungen zum Besten geben.
Rassismus existiert. Meine beste Freundin, eine «mixed race person», ein Elternteil stammt aus der Elfenbeinküste, hat schon Kränkungen aufgrund ihrer Hautfarbe erlebt; herabwürdigende Blicke, Sprüche, Attitüden. Dennoch sieht sie sich wegen ihrer Hautfarbe nicht im Nachteil, im Gegenteil. Zwei verschiedene Kulturen in sich zu haben, sei eine riesige Chance, erklärt sie. Sie hat sich ihren Job als Kadermitglied einer Grossbank selbst ausgesucht, ihr Leben lebt sie so, wie es ihr gefällt: Selbstbestimmt. Sie sieht sich nicht als «Opfer» von Rassismus.
Es ist gut, dass Menschen von ihren Erfahrungen erzählen. Seinen Frust mit anderen zu teilen, ist gewiss eine Befreiung. Und vielleicht gibt es Teile der Gesellschaft, die noch nicht mitbekommen haben, dass Menschen unter Rassismus leiden.
#MeTwo ist also grundsätzlich eine sinnvolle Bewegung. Offenbarungen im Internet bergen aber immer das Risiko von Mitläufern, von Übertreibungen auch, und schoss l#MeTwo wie schon zuvor #MeToo übers Ziel hinaus. Weil emotionsgeladene Empfindsamkeit bei vielen rationales Denken aussetzen lässt, verlieren Menschen den Sinn für Proportionen. Während die einen – zu Recht – zum Beispiel Benachteiligung auf dem Wohnungsmarkt wegen dem ausländischen Namen anprangerten, twitterten andere teilweise triviale Anekdoten über ungewollte Komplimente zum krausen Haar oder falsche Fragen wie «Aus welchem Land kommst du eigentlich?» Unter dem Sammelbegriff «Rassismus» wurden jetzt viele unreflektierte und undifferenzierte «Vorfälle» zusammengetragen und zum Skandal hochstilisiert.
Zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung gehört, dass Themen offener angesprochen werden. Wer aber jede Banalität anklagt, untergräbt die Ernsthaftigkeit der Thematik. Auch gibt es viele Grauzonen im zwischenmenschlichen Bereich. Menschen sind tapsig, machen Fehler. Nicht jede plumpe Frage oder jedes falsche Verhalten ist an gesellschaftlichem Rassismus oder der Geringschätzung einer Person festzumachen. Wie bei #MeToo scheint auch hier die Behauptung, dass es entscheidend ist, wie es beim Empfänger ankommt, nur halbwegs logisch. Unter dem Aspekt wäre ein „Aus welchem Land kommst du?“ tatsächlich schon rassistisch, dabei kann es doch auch Ausdruck von Interesse und Neugier sein. Persönlich kann ich mir ein Hinsehen nicht verkneifen, wenn mir eine farbige Frau in traditioneller afrikanischer Kleidung auf der Strasse begegnet – ich sehe gerne hin oder mache ein Kompliment. Die Absicht hinter einer Bemerkung, Frage oder einem Blick spielt doch auch eine Rolle. Der zwischenmenschliche Umgang setzt halt auch gegenseitiges Abtasten voraus und ein faires Interpretieren der Inhalte.
Eine Userin, eine PoC (Person of Colour), schrieb bei Twitter anklagend unter #MeTwo: «Alle, die vor mir stehen und sagen ‚ich sehe keine Hautfarben, für mich sind alle gleich‘ und damit wesentliche Teile meiner Identität und Lebensrealität leugnen.»
Abgesehen davon, dass, egal wie man’s als weisse Person macht – man es scheinbar doch nie richtig machen kann – halte ich das für ein anmassendes Statement. Irritierend sogar. So habe ich die Dame bei Twitter gefragt: «Haben Sie je in Betracht gezogen, dass Leute, die das sagen, vielleicht eine gute ABSICHT haben? Man kann doch alle Hautfarben als ‚gleich‘ ansehen, aber trotzdem Identität und Lebensrealität eines jeden Individuums anerkennen und wertschätzen. Oder schliesst sich das für Sie aus?» Geantwortet hat sie nicht.
Und da kommt das nächste Problem. Nicht-Betroffene dürfen bzw. müssen bei #MeTwo zwei Dinge tun: Zuhören und Schweigen. Einen Gedanken einwerfen, mitdiskutieren oder gewisse absurd anmutende Erzählungen hinterfragen? Ein No-Go. Ja, wo kämen wir denn hin, wenn sich Menschen jeder Couleur, jeden Alters und Geschlechts austauschen und gemeinsam nach Lösungen suchen würden? «Die Aufgabe, die Nicht-Betroffenen dabei zufällt, lautet erst einmal: zuhören, Solidarität signalisieren, weiter zuhören.» So diktierte es eine Autorin (weisse Hautfarbe; das zu erwähnen ist zwar absurd, macht im Kontext dann aber Sinn) im deutschen Webmagazin EditionF.
Immerhin, als Frau habe ich nochmal Glück gehabt. Denn unter dem Titel «Lieber, weisser Mann, das ist nicht dein Hashtag“ entschied sie auch, wer dann nach dem Zuhören und Solidarität signalisieren und weiter Zuhören mitreden darf. Und der «exklusive Boys-Club», meist mittelalt bis alt, «mit einem besonders grossen Geltungsdrang» darf nicht. Denn: «Sie alle einen ihre Privilegien und die Unfähigkeit, sich diese einzugestehen.» Die armen Kerle sind mittlerweile nicht nur an allem Unheil der Welt Schuld, sie sind auch dazu angehalten, sämtliche Vorwürfe und Anschuldigungen Klappe haltend und am besten noch dankend und selbstkasteiend entgegenzunehmen.
Gemäss der Logik, dass weisse Männer sich bei #MeTwo raushalten sollten, weil nicht betroffen, dürften Kinderlose nicht bei Erziehung mitreden, Senioren nicht bei Jugend-, Frauen nicht bei Armeefragen. Und wollte ich für einmal so richtig pingelig sein, so würde ich schreiben: «Liebe, weisse Feministin, das ist auch nicht dein Hashtag. Im Übrigen finde ich, dass Feministinnen für ihre Männer-Bitcherei konsequenterweise nicht Twitter, Facebook & Co. nutzen sollten. Deren Gründer sind nämlich allesamt….richtig vermutet.»
Es gibt primitive, unhöfliche, respektlose Menschen. Rassisten. Das sind aber Individuen und nicht die Mehrheit einer Gesellschaft. Eine ganze Gruppe, also etwa die Hälfte der hiesigen Bevölkerung, von einer Diskussion ausschliessen, löst kein Problem. Wer weissen Männern permanent ihre vermeintlichen Vorrechte um die Ohren haut – ganz abgesehen davon, dass Millionen weisser Männer nicht mit Privilegien und Geltungsdrang leben, sondern von Sozialleistungen, einer kleinen Rente oder einfach versuchen, das Beste aus ihrem Leben zu machen – und sie mit Pauschalanschuldigungen verunglimpft, stigmatisiert diese Gruppe. Stachelt sie an. Kreiert Frust, Wut. Schaufelt einen Graben. Tut also genau das, was er anderen ständig vorwirft. Vor allem werden Ressentiments und Rassismus dadurch bestimmt nicht eingedämmt.
Und was bleibt von der neuen Bewegung? Ein Autor schrieb bei Spiegelonline: «#MeTwo: Diese Geschichten werden unser Land verändern.» Nein. Das werden sie nicht. #MeTwo-Storys bei Twitter verändern ein Land nicht. Twitter ist kein Abbild der Gesellschaft, sondern Treffpunkt von mehrheitlich Journalisten, Politikern und Prominenten. Es sind persönliche Dialoge, ein gemeinsamer Diskurs und positive Alltagserlebnisse, die Rassismus entgegenwirken.