Heimat prägt den Charakter, die Weltanschauungen, Traditionen und Werte. Meine Heimat ist meine Schweiz. Auch mich hat sie geprägt in dem Sinne, dass Eigenverantwortung und Fleiss bei mir oberste Plätze einnehmen. Zu den schweizerischen Eigenschaften gehören gewiss ein gesunder Arbeitswille, Strebsamkeit, aber auch Demut vor unserem angenehmen Leben in unserem kleinen Land mit seiner direkten Demokratie.
Heimat ist bei mir der Ort, wo sich fremde Leute auf dem Spazierweg grüssen. Wo die Aussichten vom Berg am Schönsten sind. Die Schokolade am besten, das Käse-Raclette auch. Wo der Abfall exakt am Vorabend der Müllabfuhr vors Haus gestellt wird, und ja keinen Tag eher. Wo man nicht nur Papier vom Müll trennt, sondern auch Papier von Karton (!), und Nachbarn mit dem privaten Laubbläser das Herbstlaub eines einzigen Baumes im Gärtchen herumbewegen. Mit Heimat verbinde ich jede Menge Zeitgenossen, denen Missgunst ein Magengeschwür beschert und solche, die sich mit Hingabe um fremde Angelegenheiten kümmern. Im deutschen Wörterbuch der Märchenerzähler und Sprachwissenschaftler Brüder Grimm tauchte der Begriff 1877 auf. Heimat wird dort definiert als „Das Land, in dem man geboren ist oder bleibenden Aufenthalt hat“. Laut der Schweizerischen Traditionspartei FDP – Die Liberalen geht Heimat so: „Die Schweiz ist die Heimat für Menschen, die gewillt sind, Verantwortung für sich und die Gemeinschaft zu übernehmen und ihr Schicksal durch Fleiss, Respekt und Engagement selbstbewusst zu gestalten.“ Mir gefällt das.
‚Heimat‘ ist heute umstritten. Leider. Es gibt Bestrebungen, den Begriff abzuqualifizieren, ja, um ihn den Leuten mies zu machen. Der Antrieb trägt hauptsächlich ein politisch motiviertes Kostüm; Heimat in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken, wird in linken Kreisen scheinbar als ‚Kampf gegen rechts‘ verstanden. In Deutschland, wo die Gemüter ja besonders leicht erregbar sind, ist ‚Heimat‘ für einige ein Reizwort – weshalb sie sich berufen fühlen, das Wort einer kultursensiblen Anpassung zu unterwerfen oder noch besser, es ganz zu verbannen.
Menschen aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes anzufeinden, ist niederträchtig. Heimat liegt im Herzen. Dass man von Menschen verlangt, sich für eine Heimat zu entscheiden oder die Kultur eines anderen Landes abzulegen, weil sie an einem neuen Ort leben, halte ich für Unsinn. Heimat liegt im Herzen. Menschen können davon selbstverständlich zwei haben, wie sie auch zwei Kulturen in sich haben können.
Genauso absurd aber ist die Forderung nach einer Anpassung von Begriffen, weil einige sich dadurch eventuell ausgegrenzt fühlen – oder weil Heimat im Singular für eine bestimmte Gruppe nicht zutrifft. Heimat ist nicht ‚veraltet‘, braucht keine Anpassung. Solche Ideen verändern nichts im Leben von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Mit ‚Heimaten‘ im Duden fühlt sich niemand eher Zuhause, wohler oder dazugehöriger. Es macht Integration nicht einfacher, die Sehnsucht nach dem alten Wohnort nicht geringer. Anfeindungen nehmen nicht ab.
Wie mit der gegenderten Sprache zwingen auch die Verfechter der kultursensiblen Sprache der Gesellschaft ihre Ideologie auf. Sie wollen bestimmen, was die anderen zu denken und zu fühlen haben und wie sie sprechen sollen. Man ortet irgendwo eine Ungerechtigkeit und schliesst von sich auf alle anderen.
Hayali ist nicht die einzige, die mit dem Wort ‚Heimat‘ Mühe hat. Für die Grüne Jugend Deutschland ist der Begriff laut Twitter ‚geschichtlich vorbelastet‘ und ‚ausgrenzend‘; wenn sie könnte, würde sie ihn wohl für immer auf dem Biokompost entsorgen. Ein Links-Politiker meinte laut der Berliner Zeitung, die Betonung von Heimat würde von den Rechten verwendet. „Der Begriff ist mindestens unsensibel, wenn nicht völlig deplatziert.“
Wenn eine TV-Moderatorin die Duden-Redaktion zur Änderung eines Wortes auffordert (und dabei übersieht, dass ‚Heimaten‘ im Plural im Wörterbuch schon existiert) oder junge Grüne fragwürdige Weisheiten von sich geben, ist das kein Empörungsthema. Es lädt höchstens zum Schmunzeln ein. Denn stellen wir uns einmal vor, wir würden jeden Begriff, der nicht alle Menschen dieser Welt miteinschliesst rückwirkend anpassen, die Wörterbuch-Redaktionen wären die nächsten Jahrzehnte statt mit Rechtschreibung vollzeitlich mit Hypersensibilität beschäftigt. Und würden wir jeden Begriff verbannen, der angeblich ‚geschichtlich vorbelastet‘ oder von radikalen Rechten benützt wird, hätten wir bald einen ziemlich geschrumpften Duden – und könnten irgendwann genauso gut binär sprechen.
Für die meisten Menschen ist ‚Heimat‘ weder vorbelastet noch ausgrenzend – ich kenne auch keine einzige Person mit Migrationshintergrund, die sich an dem Wort stört. Heimat weckt positive Gefühle, und dafür muss man nicht einmal besonders patriotisch sein oder politisch rechts. Weil man es den Leuten aber so auslegt – gerade in Zeiten, wo die Stimmung rund um Kultur- und Identitätsfragen eh schon angespannt ist – reagieren viele frustriert: Die versuchte Verknüpfung von ‚Heimat‘ mit völkischem Gedankengut und das Herumdoktern an dem Begriff empfinden sie als seine Abwertung. Zugespitzt formuliert: Wenn jemand wegen der erhöhten Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturen – die in grossen Teilen der Gesellschaft kritisch betrachtet oder gar abgelehnt wird – die allgemeingültige deutsche Sprache anpassen will, dann halten viele das halt für eine saublöde Idee. Aber wie gesagt, es ist bis jetzt nur eine Idee. Die Entrüstung kann zuwarten.
Sprache ist nicht statisch, die Ausdrucksform entwickelt sich weiter – wir sind sensibler geworden, aufgeklärter. Dinge, die wir früher gesagt haben, passen nicht mehr ins zeitgenössische Gesellschaftsbild. Diese Änderungen finden statt, graduell, weil die Mehrheitsgesellschaft sie vorantreibt. Und nicht, weil sie von einigen Heimat-Skeptikern gefordert werden.