Tichys Einblick

Greta für den Weltfrieden

Solange nicht alle Länder etwas für die Umwelt tun, sind unsere Bemühungen doch wirkungslos wie eine Windkraftanlage an windstillen Tagen. Nicht ganz. Von Tamara Wernli

Irgendwie mag ich das Mädchen. Greta Thunberg, eine Art Mutter Theresa des Klimas, wurde vergangene Woche für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Als Initiatorin der Klimaschutz-Bewegung #FridaysForFuture habe sie etwas Grosses angestossen, und das sei ein wichtiger Beitrag zum Frieden.

Öko-Frieden wäre vielleicht passender. Aber mit ihren Ideen begeistert die 16-jährige, die mit dem Zug ans Davoser WEF reiste und 65 Stunden Hin- und Rückfahrt in Kauf nahm, tatsächlich eine ganze Generation – und wenn sich junge Menschen für eine bessere Umwelt einsetzen, ist das etwas Gutes. Persönlich glaube ich, dass der Klimawandel existiert, die Umwelt bedroht, und dass er auch von Menschen gemacht ist. Das sanft grün-angehauchte Umdenken nistete sich bei mir ein, nachdem ich die Dokumentarfilme „Cowspiracy“ (2014) und „Before the Flood“ (2016) gesehen habe, ersterer legt die Schädlichkeit der industriellen Nutztierhaltung offen, der zweite die Folgen des Klimawandels. Ich bin mir nicht ausnahmslos sicher, welchen wissenschaftlichen Studien, von denen sich viele ja widersprechen, man Glauben schenken soll. Was aber klar ist: Fracking, die Abholzung grosser Teile des Regenwaldes, Tonnen von Müll im Meer und CO2-Ausstoss befördern unseren Planeten früher oder später an den Rand des Kollapses.

Ich bin von Natur aus Fleischliebhaberin. Aber so sehr ich mich für die Umwelt erwärme – während dem Verzehr eines saftigen Rindsfilets denke ich keinen Moment an den Regenwald, obgleich dessen Flächen für den Sojaanbau, dem Futter dieses zarten Rindes zwischen meinen Zähnen, radikal rasiert werden und er den Kampf gegen die steigenden Fleischnachfrage verloren hat, wie’s scheint.

Welchen Unterschied macht es, wenn ich weniger Fleisch esse? Solange nicht alle Länder etwas für die Umwelt tun, sind unsere Bemühungen doch wirkungslos wie eine Windkraftanlage an windstillen Tagen. Schauspieler Christoph Waltz sagt dazu im Blick-Interview: „Wenn ein Einzelner eine Batterie recycelt, ist das gar nichts. Aber wenn 6 Milliarden Menschen es tun würden, dann könnte es den Ausschlag für 20 weitere Jahre Überleben geben.“ So ist es. Und daher gönne ich mir höchstens zweimal pro Woche Fleisch, und wenn, dann Bioqualität aus der Schweiz. Damit will ich mich nicht als „Gutmenschen“ darstellen, jeder macht halt in seiner eigenen kleinen Welt, was möglich ist. Eine 400Gramm-Packung importierter Chicken Nuggets für unsagbare 1.99 Euro halte ich aber für eine Perversion. Trotz allem, mein ökologischer Fussabdruck ist wohl um ein x-faches grösser als der meiner Grossmutter.

Das ist die eine Seite. Dann gibt es noch die andere, und hier stören mich einige Dinge, zum Beispiel der erhobene Zeigefinger einiger Klimaaktivisten. Durchdrungen von ihrer Hingabe an eine bessere Welt erheben sich so manche über den Rest der Gesellschaft, beanspruchen Moral und Pflichtgefühl für sich. Sie drängen andere Leute und Politiker zum Handeln, obwohl sie selber keine Lösungen haben. Sie drängen andere zum Handeln, obwohl sie selber ihre Lebensgewohnheiten nicht grossartig ändern.

Lustig wird es, wenn ausgerechnet die Aushängeschilder der Klima-Bewegung über ihre eigene Öko-Bilanz straucheln. Wie etwa die 22-jährige Deutsche Luisa Neubauer, deren Instagram-Account zahlreiche (mittlerweile gelöschte) Fotos von Reislein an entlegenste Orte der Welt zierten, wie der Autor Don Alphonso entdeckte, was ihr den Hashtag #LangstreckenLuisa einbrockte. Oder die sozialistische US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez mit ihrem „Green New Deal“. Die Zeitung „New York Post“ enthüllte, dass die 29-jährige für sich und ihr Team 1049 Transaktionen für Uber-Fahrten und Autoservice während ihrer Wahlkampfkampagne auflistete und fast 30‘000 Dollar ausgab – obwohl ihr Büro eine Minute von der U-Bahn-Station entfernt lag. Hinzu kamen 66 Flug-Transaktionen – bei ganzen 18 Zugfahrten.

Die jüngeren Generationen geben sich im Panikmodus aufgrund des weltweiten CO2-Ausstosses, gerade sie aber lassen sich ihren trendigen Lifestyle nicht madig machen, auch nicht durch den Klimafeind Flugzeug – obwohl „ein einziger Urlaubsflug das Klima stärker aufheizen kann als ein Jahr lang Auto fahren und das Haus mit Erdöl heizen zusammen“ (WWF). Laut dem schweizerischen Mikrozensus Mobilität von 2015 fliegt die Gruppe der 18 bis 24-Jährigen Schweizer in ihrer Freizeit nicht nur mit Abstand am meisten. Sie fliegen auch mehr als doppelt so viel wie die 65-79-jährigen, also jene Gruppe, zu der wohl die Mehrheit der mit den Klimastreiks angesprochenen Politiker zählt.

Und bevor es jetzt Einsprüche hagelt: Ja, natürlich man kann sich fürs Klima einsetzen und trotzdem aus Plastikflaschen trinken, bei McDonald’s essen, Flugzeug und Minivan benützen. Oftmals geht es einfach nicht ohne Flug, gerade im Beruf. Und ein US-Wahlkampf ohne Flugreisen ist wohl unmöglich, Zugfahren ist zu zeitfressend, und leben muss man ja schliesslich auch noch.
Wer sich aber an vorderster Front dieser Bewegungen „engagiert“ – mit Betonung auf vorderster Front – und selber mehr Kohlendioxid in die Luft jagt als so manches Durchschnittsindividuum, der muss sich über Spott nicht wundern. Öko-Star und hohe Rechnungen für Automiete, Klima-Postergirl und Weltumjetterin – sorry, das passt so wenig zusammen wie Wurstplatte und Veganerparty, und darum empfinden es viele Leute als Heuchelei.

Sich als Klimaaktivist zu bezeichnen ist heute chic, das Konzept von „Wir verbessern die Welt!“ löst wohl eine Art Ektase aus, die Konsequenzen aber bei vielen nicht. Anstatt seine eigenen Lebensumstände nachhaltig zu verändern, ist es allemal einfacher, ein paar Diesel-Autos zu verbieten. Also Wagen, die den eigenen Politiker- oder Studenten-Alltag nicht tangieren, dafür aber dem Handwerker, der in seinem ganzen Leben vermutlich weniger Flugmeilen gesammelt hat als gewisse Klimaaktivisten und Grüne-Politiker in einem einzigen Jahr, vielleicht die Lebensgrundlage entziehen. Es fehlt offensichtlich auch am Bewusstsein, dass, wenn man selbst sein Verhalten nicht grundsätzlich ändert, man von anderen nicht erwarten kann, dass sie es tun. Die Birkenstock-Grünen von früher, die wir damals belächelten, haben auf der Höhe ihrer Forderungen gelebt. Der hippe Klimaaktivist von heute ist Weltreisender, besitzt (jedes Jahr) das neuste Smartphone, Tablet, Laptop und einen 75‘000 Euro-Tesla, mit dessen Akkus ein halbes Dorf betrieben werden kann. Und selbst wenn er das Fahrrad nimmt, dann eines mit E-Motorantrieb.
Umweltfragen zählen zu den grössten Herausforderungen der nächsten Jahre. Dazu gehört vor allem der Elefant im Raum, die Überbevölkerung, auch wenn’s gerne verdrängt wird. Solange hier keine Antworten gefunden werden, spielt es auch keine grosse Rolle, ob man nun einen Opel oder einen Tesla anschafft. Aus dem Grund taugen auch Demonstrationen nur bedingt, wenn sie auch gut gemeint sind; die Lösung liegt in mehr Bildung und Aufklärung – und nicht in weniger. Darum halte ich die breite Akzeptanz fürs Schulschwänzen nicht für produktiv.

Der Klimastreik ist aber ein legitimes Mittel um Aufmerksamkeit auf ein dringendes Problem zu lenken, und wie gesagt, wenn die Jugend sich für die Umwelt engagiert, halte ich das für grossartig. Aber jetzt, wo die Thematik allgegenwärtig über uns thront, warum nützen Schulen das Momentum nicht als Chance zur praktischen Umsetzung für die Jugend? Man könnte zum Beispiel statt dem freitäglichen Schulschwänzen ein halbjähriges Projekt starten mit dem Ziel der vorbildlichen Nachhaltigkeit im Schulalltag, an dem auch Eltern und Schule mitwirken: Mütter bringen ihre Kids statt mit dem SUV mit dem ÖV zur Schule. Mensas tischen kein Fleisch mehr auf. Und nur noch einheimisches Obst und Gemüse. Fahrrad statt E-Bike, Schulreisen per Zug, ein Freizeitflug pro halbes Jahr pro Kopf. Smartphone-Einzug bei jedem, der mehr als zwanzig Mal pro Stunde draufschaut (zwei Google-Suchanfragen setzen so viel CO2 frei wie eine Tasse Tee kochen, hat ein Physiker der Harvard University herausgefunden). Klingt nach viel Verzicht? Macht weniger Spass? Es wäre ja auch nur ein zeitlich beschränkter Versuch, an dessen Ende man vielleicht die Reduktion der CO2-Emissionen berechnen könnte – und ob der Verzicht etwas gebracht hat.

Vielleicht werden Greta und die jungen Aktivisten ja eines Tages mit Forschung, Wissen und Aufklärung zur Lösung der Umweltfragen beitragen. Dann ist Applaus angebracht, und der Friedensnobelpreis wäre der Schwedin von Herzen zu gönnen.

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