Eine Facette der modernen Feministinnen ist ja der Drang, den gesellschaftlichen Diskurs zu bestimmen. Dass man sich dafür auch nicht zu schade ist, Leute aus den eigenen Reihen zu diffamieren, zeigt der Fall Alice Schwarzer. Schwarzer, die bekannteste Frauenrechtlerin von Deutschland und Herausgeberin des Frauenmagazins „Emma“ setzt sich seit circa 50 Jahren für die Rechte der Frau ein. Seit sie aber gewisse Aspekte am Islam kritisiert, wird sie vor allem von der jüngeren Feministen-Generation als Rassistin, Anti-Muslimin, Anti-Feministin und Übergriffige beschimpft. Ich bin jetzt nicht unbedingt ein Schwarzer-Fan, aber ich halte das für erbärmlich. Nicht nur das, mit diesen Labels zerstört man die Debatte, mit der Rassismuskeule ist kein vernünftiges Gespräch mehr möglich. Vermutlich ist das aber das Ziel der ganzen Übung.
Wie Tagesspiegel.de berichtete, kam es am Rande des Events zu einer Auseinandersetzung zwischen Schwarzer und muslimischen Frauen. Ein Video zeigt, wie die 76-jährige eine junge Muslima leicht am Arm berührt. Daraufhin kommt es zum hitzigen Wortgefecht – die Demonstrantin droht Schwarzer mit einer Anzeige, die aber kontert ironisch: „Oh, ich dachte, nur ein Mann darf Sie nicht anfassen!“ Ja, für die Übersensiblen die Beleidigung schlechthin. Eine Autorin meinte auf Twitter:
„Diese paar Sekunden mit Alice Schwarzer sind kaum auszuhalten, ihre Arroganz, ihre Überheblichkeit, ihr Respektlosigkeit, ihr Zynismus! Wenn das Feminismus sein soll, dann schäme ich mich, Feministin zu sein.“ Du meine Güte. Man musste sich fragen: Wurde Schwarzer festgenommen wegen ihres Übergriffs? Sie hat doch tatsächlich über den Arm einer Frau gestreift!
Meine Meinung zum Kopftuch: Ich habe nichts dagegen, wenn Frauen Kopftücher tragen. Das Kopftuch gehört zur Religionsfreiheit, und es ist verwegen, Menschen vorzuschreiben, was sie anziehen dürfen und was nicht. Natürlich funktioniert das nur bis zu einem gewissen Punkt. Ausnahme ist zum Beispiel die Burka. Wenn sich Frauen unter dem Kopftuch wohl fühlen, ist das ihre Entscheidung. Nur hat es etwas befremdliches, wenn Feministen ausgerechnet das Kopftuch zum Symbol der Selbstbestimmung erklären. Denn in vielen muslimischen Ländern haben Frauen nicht die freie Wahl, es zu tragen. Für sie steht das Kopftuch nicht für Freiheit, sondern für Freiheitsberaubung, für sie ist es ein Symbol der Unterdrückung in einem patriarchalen System, das die Rechte der Frau mit Füssen tritt.
Wenn also Alice Schwarzer (oder andere) diesen Aspekt am Islam kritisiert, dann ist das völlig legitim. Wenn sie in ihrem Buch patriarchale Verhältnisse unter Migranten kritisiert, ist das legitim. Wenn sie auf das teils verachtende Frauenbild in islamischen Communitys hinweist, ist das legitim. Wenn sie vor Kulturrelativismus warnt oder die political correctness nach der Silvesternacht in Köln kritisiert, ist das legitim. Wenn sie schreibt, dass es mit „spezifischen Menschengruppen spezifische Probleme“ geben kann – ist auch das ihr gutes Recht. So, wie es jedermanns Recht ist. Kritik ist nicht gleich Hetze, ist nicht Rassismus. Vor allem aber denkt sich ja Schwarzer ihre Thesen nicht am Schreibtisch aus, sie kennt die muslimische Kultur durch zahlreiche Reisen in diese Ländern – anders als viele der neuen jungen Aktivisten, die ihre Informationen meist nur aus ihren Studenten-WG’s zu haben scheinen.
Eine Frauenikone als Anti-Feministin zu beschimpfen ist etwa so sinnreich, wie Greenpeace für den Klimawandel verantwortlich zu machen. Es zeigt die Hysterie, mit der die Debatte geführt wird. Gerade jüngere Feministinnen machen keinen Hehl daraus, Schwarzer als Rassistin abzukanzeln. Als Schwarzer neulich in einer Debatte mit Spiegel-Kolumnistin und Vorzeige-Feministin Margarete Stokowski diese darauf ansprach, dass sie von ihr permanent als „Rassistin“ beschimpf werde, meinte die 33-jährige Stokowski: „Finden Sie das arg beleidigend?“ Eine reichlich drollige Frage für jemanden, der ansonsten an jeder Ecke beleidigendes Verhalten gegenüber Frauen ausmacht.
Feministen betonen zwar stets den Zusammenhalt unter Frauen – der gilt aber nur für jene, die ihre Ideologie zu 100 Prozent teilen. Äussert eine Kritik wie Schwarzer, nimmt die Entrüstung das Mass öffentlicher Verbal-Hinrichtung an. Das offenbart nicht nur eine beschämende Intoleranz, sondern auch, dass aus dem Emanzipationskampf von einst eine heute anmassende und selbstzerstörerische Bewegung geworden ist. Die, wie gesagt, einen sachlichen, offenen Dialog verhindert. Viele Leute sind vielleicht nicht so stark wie Schwarzer oder haben keine Lust, öffentlich beschimpft zu werden – und ziehen sich deshalb komplett aus der Debatte zurück.
Und noch etwas Kurioses: Das Frauenstimmrecht in England wurde damals auch von vielen Frauen abgelehnt. Eine Gegnerin des Frauenwahlrechts schrieb 1889 unter dem Titel „An appeal against Women female suffrage“ (Smith, H.L., ‚Women against women’s suffrage‘, 2007): Weil es Frauen aufgrund physischer Unterschiede nicht möglich sei, in der Armee oder Navy zu dienen, sei es auch nicht fair, den Frauen die direkte Macht zu geben, um über entsprechende Fragen zu entscheiden.“ Eine heute leicht witzig anmutende Ansicht, wo ja gerade erst in Alabama 25 Männer entschieden haben, dass Frauen nicht abtreiben dürfen.
Die zweite Welle Feminismus manifestierte sich in den 60iger Jahren. Frauen waren noch immer massiv schlechter gestellt als Männer, vor allem Mütter waren diskriminiert. Das Frauenwahlrecht in Deutschland wurde zwar 1918 erreicht, in der Schweiz dauerte es bis 1971. Die Feministinnen setzten sich für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch ein, für gleichen Lohn und gleiche Rechte. Auch diese Frauenrechtlerinnen, unter ihnen Alice Schwarzer, haben viel erwirkt.
Wir leben heute in einer Epoche, wo die Welt ständig besser wird. Auch hat sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft gewandelt und gestärkt, viele sind heute in der Lage, sich selbst zu verwirklichen, auch sich zu wehren – und wenn nicht, stehen zahlreiche Mittel und Förderungsprojekte zur Unterstützung bereit. Diskriminierungs-Detektive aber sind so davon in Anspruch genommen, kleineste Unpässlichkeiten aufzuspüren, dass sie Fortschritt kaum mehr sehen. Es ist heute nicht alles perfekt in allen Bereichen. Aber im Westen ist Chancengleichheit zwischen Mann und Frau im Privaten, im Beruf und auch vor dem Gesetz im Wesentlichen erreicht, es herrscht keine systematische Ungleichheit. Viele Unterschiede im Job zwischen den Geschlechtern sind nicht auf Diskriminierung, sondern auf individuelle Entscheide im Leben zurückzuführen.
Fun fact: Gerade erst hat eine Studie von YouGov-Cambridge herausgefunden, dass sich in Deutschland nur eine von sieben Frauen als Feministin bezeichnet. Der Feminismus ist laut und schrill – und erhält wohlwollende Unterstützung von den mehrheitlich linkslastigen Medien. Er nimmt für sich in Anspruch, für alle Frauen zu sprechen. Aber Tatsache ist: Viele Frauen wollen gar nicht von ihm gerettet werden. Was wir aber wollen, und das gilt für Männer wie Frauen: Debatten führen können über Dinge, die uns beschäftigen, ohne dass wir dafür an den öffentlichen ismus-Pranger gestellt werden. Liebe Feministen, kontert uns mit den besseren Argumenten und nicht mit Verleumdung.
Der Beitrag erschien zuerst in der Weltwoche.