Tichys Einblick
Ziel aus den Augen verloren

Frauen-feindliche Feministinnen

Der Knatsch zwischen älteren und jüngeren Feministinnen ist erstaunlich. Er offenbart eine heute selbstgefällige und überhebliche Frauenbewegung. Von Tamara Wernli.

Eine Facette der modernen Feministinnen ist ja der Drang, den gesellschaftlichen Diskurs zu bestimmen. Dass man sich dafür auch nicht zu schade ist, Leute aus den eigenen Reihen zu diffamieren, zeigt der Fall Alice Schwarzer. Schwarzer, die bekannteste Frauenrechtlerin von Deutschland und Herausgeberin des Frauenmagazins „Emma“ setzt sich seit circa 50 Jahren für die Rechte der Frau ein. Seit sie aber gewisse Aspekte am Islam kritisiert, wird sie vor allem von der jüngeren Feministen-Generation als Rassistin, Anti-Muslimin, Anti-Feministin und Übergriffige beschimpft. Ich bin jetzt nicht unbedingt ein Schwarzer-Fan, aber ich halte das für erbärmlich. Nicht nur das, mit diesen Labels zerstört man die Debatte, mit der Rassismuskeule ist kein vernünftiges Gespräch mehr möglich. Vermutlich ist das aber das Ziel der ganzen Übung.

Geste klein, kulturelle Kluft groß
Alice Schwarzer zu Muslima: „Oh, ich dachte, nur ein Mann darf Sie nicht anfassen!“
Alice Schwarzer war neulich auf einer Konferenz in Frankfurt zum Thema Kopftuch. Sie spricht sich für ein Kopftuch-Verbot für Kinder aus, in Schulen und im öffentlichen Dienst. Für Schwarzer ist das Kopftuch die „Flagge des politischen Islams.“ Sie ist nicht die einzige, die so denkt, auch die Frauenorganisation Terre des Femme schrieb jüngst bei Twitter: „TDF begrüßt Kopftuch-Verbot an Grundschulen in Österreich als wichtigen Schritt für den Mädchenschutz. Das Gesetz sollte jedoch ausgeweitet werden und öfftliche Bildungseinrichtungen frei von allen religiösen und weltanschaulichen Symbolen sein.“

Wie Tagesspiegel.de berichtete, kam es am Rande des Events zu einer Auseinandersetzung zwischen Schwarzer und muslimischen Frauen. Ein Video zeigt, wie die 76-jährige eine junge Muslima leicht am Arm berührt. Daraufhin kommt es zum hitzigen Wortgefecht – die Demonstrantin droht Schwarzer mit einer Anzeige, die aber kontert ironisch: „Oh, ich dachte, nur ein Mann darf Sie nicht anfassen!“ Ja, für die Übersensiblen die Beleidigung schlechthin. Eine Autorin meinte auf Twitter:
„Diese paar Sekunden mit Alice Schwarzer sind kaum auszuhalten, ihre Arroganz, ihre Überheblichkeit, ihr Respektlosigkeit, ihr Zynismus! Wenn das Feminismus sein soll, dann schäme ich mich, Feministin zu sein.“ Du meine Güte. Man musste sich fragen: Wurde Schwarzer festgenommen wegen ihres Übergriffs? Sie hat doch tatsächlich über den Arm einer Frau gestreift!

Der säkulare Islam
"Bevor die Scharia alles vermasselte"
Seyran Ates traf mit ihrem Kommentar den Nagel auf den Kopf: „In Teheran protestieren mutige Frauen an der Azad-Universität gegen den Hijab-Zwang und erfahren so gut wie keine Medienaufmerksamkeit. In Frankfurt berührt Alice Schwarzer eine Muslima am Arm und die Gazetten sind voll davon. So wird dieser Kampf nicht zu gewinnen sein.“

Meine Meinung zum Kopftuch: Ich habe nichts dagegen, wenn Frauen Kopftücher tragen. Das Kopftuch gehört zur Religionsfreiheit, und es ist verwegen, Menschen vorzuschreiben, was sie anziehen dürfen und was nicht. Natürlich funktioniert das nur bis zu einem gewissen Punkt. Ausnahme ist zum Beispiel die Burka. Wenn sich Frauen unter dem Kopftuch wohl fühlen, ist das ihre Entscheidung. Nur hat es etwas befremdliches, wenn Feministen ausgerechnet das Kopftuch zum Symbol der Selbstbestimmung erklären. Denn in vielen muslimischen Ländern haben Frauen nicht die freie Wahl, es zu tragen. Für sie steht das Kopftuch nicht für Freiheit, sondern für Freiheitsberaubung, für sie ist es ein Symbol der Unterdrückung in einem patriarchalen System, das die Rechte der Frau mit Füssen tritt.

Wenn also Alice Schwarzer (oder andere) diesen Aspekt am Islam kritisiert, dann ist das völlig legitim. Wenn sie in ihrem Buch patriarchale Verhältnisse unter Migranten kritisiert, ist das legitim. Wenn sie auf das teils verachtende Frauenbild in islamischen Communitys hinweist, ist das legitim. Wenn sie vor Kulturrelativismus warnt oder die political correctness nach der Silvesternacht in Köln kritisiert, ist das legitim. Wenn sie schreibt, dass es mit „spezifischen Menschengruppen spezifische Probleme“ geben kann – ist auch das ihr gutes Recht. So, wie es jedermanns Recht ist. Kritik ist nicht gleich Hetze, ist nicht Rassismus. Vor allem aber denkt sich ja Schwarzer ihre Thesen nicht am Schreibtisch aus, sie kennt die muslimische Kultur durch zahlreiche Reisen in diese Ländern – anders als viele der neuen jungen Aktivisten, die ihre Informationen meist nur aus ihren Studenten-WG’s zu haben scheinen.

Die Revolution frisst ihre Mütter
Zu den aktuellen Ereignissen um Alice Schwarzer
Man muss Schwarzers Thesen nicht zustimmen, man kann sie kritisieren und mit guten Argumenten widerlegen. Dass man offen über eine Religion spricht, ist etwas Gutes. Eine ehrliche Debatte über Aspekte, die viele Menschen beschäftigen, ist wichtig und sollte in einer fortschrittlichen Gesellschaft möglich sein. Ausserdem können Ereignisse oder religiöse Texte unterschiedlich interpretiert werden – genauso wie Statistiken, wonach Frauen 7,7 Prozent weniger Lohn erhalten; dass der Paygap auf Diskriminierung zurückzuführen ist, ist nur eine Sichtweise von mehreren.

Eine Frauenikone als Anti-Feministin zu beschimpfen ist etwa so sinnreich, wie Greenpeace für den Klimawandel verantwortlich zu machen. Es zeigt die Hysterie, mit der die Debatte geführt wird. Gerade jüngere Feministinnen machen keinen Hehl daraus, Schwarzer als Rassistin abzukanzeln. Als Schwarzer neulich in einer Debatte mit Spiegel-Kolumnistin und Vorzeige-Feministin Margarete Stokowski diese darauf ansprach, dass sie von ihr permanent als „Rassistin“ beschimpf werde, meinte die 33-jährige Stokowski: „Finden Sie das arg beleidigend?“ Eine reichlich drollige Frage für jemanden, der ansonsten an jeder Ecke beleidigendes Verhalten gegenüber Frauen ausmacht.

Feministen betonen zwar stets den Zusammenhalt unter Frauen – der gilt aber nur für jene, die ihre Ideologie zu 100 Prozent teilen. Äussert eine Kritik wie Schwarzer, nimmt die Entrüstung das Mass öffentlicher Verbal-Hinrichtung an. Das offenbart nicht nur eine beschämende Intoleranz, sondern auch, dass aus dem Emanzipationskampf von einst eine heute anmassende und selbstzerstörerische Bewegung geworden ist. Die, wie gesagt, einen sachlichen, offenen Dialog verhindert. Viele Leute sind vielleicht nicht so stark wie Schwarzer oder haben keine Lust, öffentlich beschimpft zu werden – und ziehen sich deshalb komplett aus der Debatte zurück.

#HappyWorldHijabDay
„Das sind mit Abstand die schlimmsten“
Der Feminismus von heute hat mit dem Feminismus von früher nicht mehr viel gemein. Nehmen wir das Beispiel England. Als erste-Welle-Feminismus wurde die Bewegung in den 1870iger Jahren bekannt, als Frauen sich für das Wahlrecht und die gleichen Rechte zwischen Mann und Frau einsetzen. Es war aber damals mitnichten so, dass nur die Frauen kein Wahlrecht besassen: Lange Zeit war auch die Mehrheit der Männer nicht wahlberechtigt. Viele Männer aus der Arbeiterklasse oder solche ohne Landbesitz waren ausgeschlossen, nur etwa die Hälfte der Männer in Grossbritannien konnte bis 1918 wählen – dann wurde das Gesetz geändert. Zur gleichen Zeit erhielten die Frauen ein limitiertes Wahlrecht.

Und noch etwas Kurioses: Das Frauenstimmrecht in England wurde damals auch von vielen Frauen abgelehnt. Eine Gegnerin des Frauenwahlrechts schrieb 1889 unter dem Titel „An appeal against Women female suffrage“ (Smith, H.L., ‚Women against women’s suffrage‘, 2007): Weil es Frauen aufgrund physischer Unterschiede nicht möglich sei, in der Armee oder Navy zu dienen, sei es auch nicht fair, den Frauen die direkte Macht zu geben, um über entsprechende Fragen zu entscheiden.“ Eine heute leicht witzig anmutende Ansicht, wo ja gerade erst in Alabama 25 Männer entschieden haben, dass Frauen nicht abtreiben dürfen.

Antworten auf Leser
Noch einmal zu Alice Schwarzer
Frauen wie Emmeline Pankhurst haben im 19. und anfangs 20. Jahrhundert den Kampf für die Rechte der Frau angeführt. Zu einer Zeit, wo Frauen aufgrund ihres Geschlechts systematisch benachteiligt wurden, ging die Engländerin für die Gleichberechtigung Risiken ein, setzte ihren Ruf, ihre Gesundheit aufs Spiel, sie benutzte auch illegale Mittel, mehrmals musste ins Gefängnis. Und auch wenn einige zeitgenössische Historiker glauben, dass die militanten Kampagnen der Suffragetten damals kontraproduktiv waren und das Frauenwahlrecht hinausgezögert haben, haben wir Frauen es heute mutigen Aktivistinnen wie Pankhurst zu verdanken, die sich damals aufgeopfert haben, dass wir ein besseres Leben führen können.

Die zweite Welle Feminismus manifestierte sich in den 60iger Jahren. Frauen waren noch immer massiv schlechter gestellt als Männer, vor allem Mütter waren diskriminiert. Das Frauenwahlrecht in Deutschland wurde zwar 1918 erreicht, in der Schweiz dauerte es bis 1971. Die Feministinnen setzten sich für einen straflosen Schwangerschaftsabbruch ein, für gleichen Lohn und gleiche Rechte. Auch diese Frauenrechtlerinnen, unter ihnen Alice Schwarzer, haben viel erwirkt.

Wir leben heute in einer Epoche, wo die Welt ständig besser wird. Auch hat sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft gewandelt und gestärkt, viele sind heute in der Lage, sich selbst zu verwirklichen, auch sich zu wehren – und wenn nicht, stehen zahlreiche Mittel und Förderungsprojekte zur Unterstützung bereit. Diskriminierungs-Detektive aber sind so davon in Anspruch genommen, kleineste Unpässlichkeiten aufzuspüren, dass sie Fortschritt kaum mehr sehen. Es ist heute nicht alles perfekt in allen Bereichen. Aber im Westen ist Chancengleichheit zwischen Mann und Frau im Privaten, im Beruf und auch vor dem Gesetz im Wesentlichen erreicht, es herrscht keine systematische Ungleichheit. Viele Unterschiede im Job zwischen den Geschlechtern sind nicht auf Diskriminierung, sondern auf individuelle Entscheide im Leben zurückzuführen.

Sie kennt auch Franzosen und Algerier
Alice Schwarzer: „Wir müssen zwischen Islam und politisiertem Islam unterscheiden“
Die dritte Welle Feminismus formierte sich in den 90iger Jahren. Seither gehört das Label zum zeitgenössischen Chic. Es braucht heute weder Selbstopfer, noch Courage, nicht mal Risiko – die modernen Frauenversteherinnen wettern hauptsächlich von ihren Schreibtischen aus, gegen so ziemlich alles, am liebsten gegen die alten, weissen Männer, sie kreieren Hashtags und schreiben Tweets gegen die omnipräsente Herabwürdigung. Fast wöchentlich hört man von Änderungen, die aufgrund des feministischen Wächterrats zustande kommen: Die Gridgirls wurden aus der F1 verbannt, Bikini-Contest bei Miss-Wahlen abgeschafft, Plakate oder Bilder werden abgehängt, Gedichte übermalt, Hymnen sollen gegendert werden, und, und, und. Alles angeblich sexistisch, frauenfeindlich, entwürdigend. Man fragt sich, wie kann es möglich sein, dass es mit all dem Elend überhaupt noch Frauen gibt, die glücklich und zufrieden sind? Ausserdem sollen überall Quoten eingeführt und Privilegien an Frauen verteilt werden – weil wir es ja aus eigenem Antrieb nicht schaffen (um hier Beispiele all jener anzuführen, die es schaffen, dafür reicht die Zeit nicht).

Fun fact: Gerade erst hat eine Studie von YouGov-Cambridge herausgefunden, dass sich in Deutschland nur eine von sieben Frauen als Feministin bezeichnet. Der Feminismus ist laut und schrill – und erhält wohlwollende Unterstützung von den mehrheitlich linkslastigen Medien. Er nimmt für sich in Anspruch, für alle Frauen zu sprechen. Aber Tatsache ist: Viele Frauen wollen gar nicht von ihm gerettet werden. Was wir aber wollen, und das gilt für Männer wie Frauen: Debatten führen können über Dinge, die uns beschäftigen, ohne dass wir dafür an den öffentlichen ismus-Pranger gestellt werden. Liebe Feministen, kontert uns mit den besseren Argumenten und nicht mit Verleumdung.


Der Beitrag erschien zuerst in der Weltwoche.

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