Tichys Einblick: Ursprünglich wollte Robert Habecks (Grüne) Wirtschaftsministerium ein LNG-Terminal vor Sellin bauen lassen. Dagegen hatte es massive Proteste gegeben. Nun soll es in Mukran entstehen. Ist diese Lösung besser, Herr Kannengießer?
Wolfgang Kannengießer: Nein. In all den Veranstaltungen, die bisher stattgefunden haben, haben wir den Beteiligten eindeutig klar gemacht: Wir wollen kein LNG-Terminal vor oder auf Rügen. Egal, an welcher Stelle.
Was spricht gegen den Standort Mukran, den Wirtschaftsminister Habeck ins Spiel gebracht hat?
Wichtig ist die neue Leitung, die dann entstehen würde. Dann müssten Rohre über 50 Kilometer von Lubmin nach Mukran verlegt werden. Diese 50 Kilometer gehen durch 13 unterschiedliche Schutzgebiete. Wenn wir einen normalen Vorgang hätten, dann wäre es leicht möglich, gegen diesen Plan Einwendungen zu machen. Doch wenn das Beschleunigungsgesetz so kommt, wie es die Bundesregierung aufgesetzt hat, dann brauchen wir diese Einwendungen gar nicht erst zu machen. Denn dann würden diese vom Bergamt Stralsund als Genehmigungsbehörde gar nicht gelesen. Das Beschleunigungsgesetz würde den Naturschutz außer Kraft setzen, es gibt keine Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Betreiber haben uns auf den Veranstaltungen versprochen, sie würden ja von sich aus auf die sensible Natur Rücksicht nehmen. Nur müssten sie das nirgendwo dokumentieren. Das Versprechen wäre also wertlos.
Nun lautet die Argumentation der Befürworter des Terminals, in Mukran gebe es ja schon einen Industrie-Hafen. Also sei das entsprechend kein Eingriff mehr. Ist da was dran?
Nein. Mukran ist ein Fährhafen, der nun aber als Industriehafen ausgebaut werden soll. Das ist etwas ganz anderes. Schon rechtlich ginge das derzeit gar nicht. Um das Projekt möglich zu machen, will die Verwaltung in Sassnitz daher den Bebauungsplan ändern und darin den Bau des LNG-Terminals, Windanlagen sowie Solarflächen aufnehmen.
Das wäre doch aber nur eine formelle Angelegenheit. Würde sich denn auch faktisch etwas ändern?
Ja, denn der Hafen in Mukran müsste für die LNG-Schiffe ausgebaggert werden. Das verändert aber die Strömungsverhältnisse in der Bucht, dadurch kann es zu Sandabtragungen am Strand von Mukran und in Richtung Prora und Binz kommen – wo es mehr als 10.000 Betten gibt –, dadurch würde sich ein Steinstrand entwickeln. Für die Urlauber und Anwohner dort wäre das tödlich.
Nur wegen der Steine?
Nein, auch wegen Lärm. Die Verschmutzungen von Luft und Wasser werden zunehmen. Es werden ja schon jetzt Getreideschiffe in Mukran entladen. Schon das bedeutet Lärm und Dreck. Kommt da jetzt noch der LNG-Standort dazu, fürchten die Menschen in Sassnitz und Mukran auch um ihre Sicherheit. Die vorgesehenen Sicherheitszonen machen deutlich, dass ein LNG-Standort in Mukran nicht ungefährlich ist.
Sie haben gesagt, dass die Stadt Sassnitz zu einer Änderung des Bebauungsplans bereit sei, um das Projekt zu ermöglichen. Bröckelt die Solidarität auf Rügen gegen das LNG-Terminal?
Ja, an manchen Stellen bröckelt die Solidarität. Das ist richtig. Etwa in der Stadt Sassnitz sieht es so aus, als ob die Stadtvertreter für den Bau des LNG-Terminals seien. Stadtvertreter der CDU und SPD erhoffen sich dadurch wirtschaftliche Vorteile. Es sollen auch Windräder und Solarflächen gebaut werden, die natürlich sinnvoller als das LNG-Terminal sind. Regas will außerdem ein Gaskraftwerk im Hafen von Mukran bauen, um damit das LNG-Terminal mit Landstrom zu versorgen. Auch das ist keine Maßnahme, die dem Erreichen der Klimaziele dient.
Hat sich damit der Widerstand gegen das LNG-Terminal erledigt?
Nein. Die Bevölkerung ist zum größten Teil dagegen. Entsprechend hat sich in Sassnitz eine Bürgerinitiative gegründet, die entsprechend stark ist. Sie hat bereits über 1000 Unterschriften gegen den LNG-Standort gesammelt, die am 27. Juni 2023 der Stadtvertretung übergeben werden. Die Bürgerinitiative Sassnitz hat zu weiterem Widerstand aufgerufen.
Inwiefern helfen solche Veranstaltungen den Gegnern des LNG-Terminals?
Wir haben zum Beispiel Anfang der Woche einen Trauermarsch in Binz veranstaltet. Teilgenommen haben circa 300 Menschen von der Insel. Aber mit dem Marsch haben wir sehr viele Touristen erreicht. Sie haben den Marsch fotografiert, kamen mit uns ins Gespräch, haben sich die Ansprachen unterwegs angehört und die Informationen verbreitet. So konnten wir eine breitere Öffentlichkeit für das Thema schaffen. Der Informationsbedarf ist hoch. Auf der Insel und bei den Touristen. Zumal mit den wildesten Gerüchten gearbeitet wird.
Wie das?
Ein Mitglied der CDU in Sassnitz hat gefordert: Das Terminal könne gebaut werden, aber dann müsste den Bürgern von Sassnitz eine Abfindung gezahlt werden. 50.000 Euro solle jeder Bürger bekommen. Das sind aberwitzige Versprechen. Es wird momentan so viel in die eine oder andere Richtung gesagt – aber die meisten Informationen sind ungesichert. Es gab ja auch einen Katalog der Landesregierung für sogenannte Ausgleichszahlungen an Mecklenburg-Vorpommern durch den Bund, wenn das LNG-Terminal gebaut würde. Dagegen haben die BIs von Rügen unter dem Motto „Wir sind nicht käuflich“ sofort protestiert. Mittlerweile hat Minister Habeck dem Ansinnen der Landesregierung eine Absage erteilt. Als es um den Standort Sellin ging, gab es diese breite Öffentlichkeit ja schon. Sogar die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern schienen sich gegen das Projekt ihres Wirtschaftsministers im Bund zu richten.
Was ist daraus geworden?
Die Grünen hatten vor, einen Beschluss gegen das LNG im Landtag vorzubringen. Der hat aber in der Fraktion der Grünen keine Mehrheit gefunden. Im Kreistag Vorpommern-Rügen gab es einen entsprechenden Beschluss gegen das LNG-Terminal, der von allen Fraktionen mitgetragen wurde. Doch unter den politischen Vertretern gibt es einige, die nachzugeben bereit sind. Sie lassen nach und nach davon überzeugen, dass es eine Gasmangellage gäbe und dann müsse das LNG-Terminal halt sein.
An diese Gasmangellage scheinen Sie nicht zu glauben?
Erstens ist es bis heute nicht nachgewiesen, dass es eine Gasmangellage gibt. Zweitens kommen die Befürworter ständig mit neuen Argumenten. Da heißt es dann: Wir bräuchten das Gas ja nicht für uns alleine, unsere europäischen Nachbarn bräuchten es auch und aus Solidarität müssten wir es vorhalten. Wobei diese Länder längst andere Wege gefunden haben, sich Gas zu besorgen. Doch die Befürworter lassen sich immer etwas Neues einfallen. Und das alles ohne Zahlen. Im Beschleunigungsgesetz aber, das den Bau eines Terminals in Mukran überhaupt erst ermöglicht, steht nichts von Solidarität mit europäischen Nachbarn. Darin geht es um die Gasmangellage in Deutschland – nur aus diesem Grund dürfte gegen die Interessen des Natur- und Umweltschutzes gebaut werden.
Die Gemeinde Binz hat schon Klagen angekündigt, wenn das LNG-Terminal in Mukran beschlossen werden sollte. Wird der Naturschutz dabei der Hebel sein?
Wenn die Bundesregierung das Beschleunigungsgesetz durchsetzt, bedeutet das, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung entfällt. Dann müssen wir uns eine Strategie überlegen. Wenn am 30. Juni die Unterlagen, wie angekündigt, von Regas eingereicht werden, werden alle Gegner des LNG-Projektes ihre Einwendungen bei der zuständigen Behörde machen. Ich bin kein Jurist. Ich kann nur schwer einschätzen, welcher der Erfolg versprechende Weg wäre.
Der Naturschutz würde keine Rolle spielen?
Wenn die Bundesregierung das Beschleunigungsgesetz durchsetzt, dann wird in Sachen Umwelt- und Naturschutz nicht geprüft. Obendrein wird dann die Zeit für unsere Einwendungen knapp, weil im Beschleunigungsgesetz eine kürzere Auslegungs- und Einwendungsfrist vorgesehen ist. Die Bundesregierung hatte festgelegt, dass bis 2030 der Gasverbrauch um ein Fünftel und bis 2035 um 50 Prozent gesenkt werden soll. Mit dem Bau des LNG-Terminals arbeitet die Bundesregierung auch gegen ihre eigenen Klimaschutzziele.
Rechnen Sie damit, dass das Terminal 2030 wieder dekonstruiert wird?
Im Gegenteil. Die Leitung von Lubmin nach Mukran soll bis 2043 genehmigt werden. Für LNG-Gas wurden Lieferverträge bis 2046 abgeschlossen. Die Investition muss sich ja amortisieren, also würde das Terminal mit einer entsprechend langen Laufzeit in Betrieb bleiben. Das Versprechen der Bundesregierung, LNG sei eine Übergangslösung, hat sich damit als unseriöse Ankündigung entlarvt. Auch der Einsatz von Fracking-Gas aus den USA ist nicht hinnehmbar. Warum lässt die Bundesregierung es zu, dass Gas importiert wird, welches bei der Gewinnung zu massiven Schäden in der Umwelt und Natur führt und der Gesundheit der amerikanischen Bevölkerung in den Fördergebieten extrem schadet. Hier müsste das Lieferkettengesetz erweitert werden.
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