Tichys Einblick
Die Rente ist besser als ihr Ruf

„Wir brauchen wieder mehr Respekt vor der Lebensleistung der Arbeitnehmer“

Kanzler Olaf Scholz will damit punkten, keine Rentenkürzungen zuzulassen. Dafür wird aber in den nächsten Jahren der Beitragssatz explodieren. Beides lasse sich verhindern, wird die Rentenversicherung wieder zu ihrem eigentlichen Zweck genutzt, sagt die Bundestagsabgeordnete und Sozialpolitikerin Gerrit Huy (AfD) im Gespräch mit TE.

FDP-Fraktionsboss Christian Dürr hat vorgeschlagen, einen Renteneintritt mit erst 72 Jahren zu ermöglichen. CDU-Chef Friedrich Merz spricht über ein Modell, in dem der Renteneintritt an die Lebenserwartung gekoppelt wird. Und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat den Einstieg in die aktienfinanzierte Rente eingeläutet.

Welches von diesen Modellen begrüßen Sie, Frau Huy?

Keines davon. Sie gehen allesamt in die falsche Richtung.

Welche Richtung würden Sie denn befürworten?

Wir brauchen wieder mehr Respekt vor der Lebensleistung der Arbeitnehmer in Deutschland. Wer ein Leben lang gearbeitet hat, sei es im Betrieb oder in der Erziehung von Kindern, der hat einen Anspruch darauf, im Alter auskömmlich zu leben. Wir tun so, als ob ein höheres Rentenniveau und ein nicht steigendes Eintrittsalter soziale Wohltaten wären. Also Almosen. Das sind sie nicht. Sie sind ein Wohlstand, den sich die Arbeitnehmer über Jahrzehnte buchstäblich erarbeitet haben.

Nun ist es ja Fakt, dass die allgemeine Lebenserwartung steigt und gestiegen ist. Gleichzeitig ist die Geburtenrate runtergegangen. Können wir da so tun, als ob nichts wäre und das Rentensystem so lassen, wie es ist?

Sie gehen vom falschen Ansatz aus. Richtig ist, dass wir das Rentensystem reformieren müssen, aber falsch ist die Idee, dass wir es reformieren müssten, weil die Rente zu teuer geworden wäre. Wir müssen es reformieren, weil die Rente ungerecht geworden ist.

Inwiefern?

Wenn Sie sich die Zahlen genau ansehen, werden Sie feststellen, dass die Staatszuschüsse in die Rentenversicherung als Anteil an den gesamten Rentenausgaben kaum gestiegen sind. Diese Staatszuschüsse waren ursprünglich mal dazu gedacht, die beitragsfreien Leistungen zu bezahlen, die sich die Politiker im Laufe der Jahre ausgedacht haben, reichen dafür aber nicht einmal aus. Im Gegenteil, die durch Beiträge gedeckten Leistungen sind dadurch effektiv gekürzt worden. Und unsere Rentenbeiträge sind auch nicht gestiegen. Sie sind wahrscheinlich die niedrigsten in Westeuropa, jedenfalls sind sie deutlich niedriger als in unseren deutschsprachigen Nachbarländern. Wir haben also keine überfinanzierte Rentenkasse, die man zu dem Zweck reformieren muss, dass weniger in sie eingezahlt wird. Wir brauchen eine Reform, die der Rentenkasse ermöglicht, den Arbeitnehmern im Alter ein würdiges Leben zu ermöglichen. So wie in anderen Ländern.

In welchen?

Das beste Beispiel ist Österreich. Es ist schon allein deswegen ein gutes Beispiel, weil Österreich vergleichbare Rahmenbedingungen hat. Trotzdem gelingt es den Österreichern ein Rentensystem zu betreiben, das den Menschen einen deutlich früheren Renteneintritt ermöglicht und dabei deutlich höhere Bezüge. Rentner in Österreich erhalten über alle Renten gemittelt über 500 Euro im Monat mehr. Nach 45 Arbeitsjahren liegt der Abstand sogar bei 1.100 Euro, wenn wir die 14 Rentenzahlungen in Österreich auf unsere 12 Rentenzahlungen umlegen. Diese Zahlen sind entscheidend, denn mit diesem Geld finanziert der Rentner sein tägliches Leben. Wir müssen uns doch fragen, warum es in Österreich möglich ist, bis zu 1.100 Euro im Monat mehr auszuzahlen als in Deutschland.

An welcher Stelle würden Sie ansetzen, um solche Zustände auch hierzulande zu ermöglichen? Am reinen Willen mangelt es offensichtlich nicht. Kanzler Olaf Scholz (SPD), offiziell der Mann mit der Richtlinienkompetenz, setzt sich ja stark gegen Rentensenkungen ein.

Verbal, ja. Aber Scholz tut nichts für eine bessere Rente. Wie bereits gesagt, sind die Einzahlungen in die Rentenversicherung in den vergangenen Jahren praktisch nicht gestiegen. Gleichzeitig sind aber die Beiträge für die Krankenversicherung durch die Decke gegangen. An dieser Stelle müssen wir ansetzen.

Wie würde das aussehen?

Wir haben in der Krankenversicherung ein System aufgebaut, das rettungslos aufgebläht ist. An dem sich viele bedienen, während diejenigen, die es finanzieren, auch noch hohe Zuzahlungen leisten müssen. Wir brauchen eine Reform des Gesundheitswesens, die dieses auf seine Kernaufgaben zurückführt. Das beginnt beim Leistungskatalog, geht weiter mit dem fragwürdigen Recht auf grenzenlose Inanspruchnahme und endet mit der Quer-Finanzierung von eigentlich staatlichen Aufgaben. Und diese Reform muss selbstverständlich auch die überbordenden Verwaltungs- und Selbstverwaltungsstrukturen miteinschließen.

Zehn Milliarden Euro fehlen der gesetzlichen Krankenversicherung jedes Jahr, weil der Staat nicht genug für die Menschen bezahlt, die Transferempfänger sind. Also zum Beispiel Empfänger von Bürgergeld. Meinen Sie solche Aufgaben?

Das ist ein gutes Beispiel. Mal davon abgesehen, dass viel zu viele Menschen Bürgergeld erhalten, die eigentlich arbeiten könnten. Doch darum geht es hier nicht. Wenn der Staat schon meint, Millionen von Menschen Transfergeld zu zahlen, obwohl die arbeiten könnten, dann muss er dies mit allgemeinen Steuermitteln bezahlen. Diese Aufgabe zu einem großen Anteil den Arbeitnehmern zu überlassen, ist unfair gegenüber den Arbeitnehmern. Obendrein verteuert es die Arbeit in Deutschland und sorgt dafür, dass Geld an anderen Stellen fehlt. Eben in der Rentenversicherung. Der Staat betrügt die Arbeitnehmer gleich zwei Mal: Indem er sie Aufgaben zahlen lässt, für die sie nicht zuständig sind und indem er ihnen Leistungen vorenthält, die ihnen zustehen. Zum Beispiel auskömmliche Bezüge im Alter.

Nun bezahlen in Österreich auch Beamte in die gesetzliche Rente ein, in Deutschland sind Beamte im Allgemeinen raus und privat versichert. Müssen wir auch dort ansetzen?

Das ist eine Baustelle, an der wir ebenfalls etwas tun müssen. Ja. Aber das ist nicht so einfach. Damit hätten wir vor Jahren beginnen müssen, wenn nicht vor Jahrzehnten. Wenn wir das jetzt mit der Brechstange machen würden, würde eine Kostenlawine auf den Staat zurollen, die ihn überfordert. Damit ist auch keinem gedient. Aber behutsam müssen wir auch diesen Bereich reformieren.

Mit dem gleichen Argument begründet Finanzminister Lindner den Einstieg in die aktienfinanzierte Rente: Wir hätten das schon vor Jahren anfangen sollen, jetzt überfordere es uns aber eigentlich und trotzdem müssten wir es Schritt für Schritt tun. Hat er recht?

Die Kennziffern, die Lindner vorgestellt hat, sind doch absurd: Deutschland nimmt unter einem FDP-Finanzminister in den kommenden Jahren 200 Milliarden Euro Schulden auf, um dann in ein paar Jahren die Rentenversicherung mit 10 Milliarden Euro jährlich unterstützen zu können. An der Börse mit Schulden zu spekulieren, war noch nie eine gute Idee. Das wird jeder Anfänger Herrn Lindner sagen können. Und 10 Milliarden Euro angesichts eines Kostenpunkts von weit über 100 Milliarden Euro im Jahr, sind doch ein Witz. Herr Lindner bedient hier bestenfalls seine Klientel oder vertritt seine ideologischen Überzeugungen. Die Probleme der Rentenversicherung löst er definitiv nicht und dafür wagt er einen hohen Einsatz bei seinem Spiel.

Wie ist denn die Rente zu retten?

Die Rente ist besser als ihr Ruf. Ich fürchte fast, da haben einige Leute ein ganz anderes Interesse, wenn sie diesen Ruf wider besseres Wissen ruinieren. Etwa die Versicherungswirtschaft, die sich in der Privatrente ein neues beziehungsweise ausbaufähiges Geschäftsmodell erhofft. Für ein gute Rente brauchen wir vor allem anderen wieder eine wachsende Wirtschaft. So wie die Ampel-Regierung da hineinpfuscht, kann das nichts werden. Zudem müssen wir die Rentenversicherung auf ihr Kerngeschäft reduzieren, dann ist sie auch zukunftsfähig. Dafür sollen alle nicht beitragsfinanzierte Leistungen zukünftig komplett aus dem Staatshaushalt finanziert werden. Das bremst dann auch die Ausgabelust der Politiker. Und unsere Schulen müssen wieder mehr ausbildungsfähige junge Menschen hervorbringen, die dann zum Beispiel ein Handwerk erlernen können. Das allerdings ist eine gewaltige Aufgabe.

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