Tichys Einblick
Ex-AfD-Abgeordneter im Interview

Uwe Witt: Die AfD isoliert sich selbst

Der aus der AfD ausgetretene Bundestagsabgeordnete Uwe Witt wirft ihr vor, durch unwürdiges Auftreten ihre Isolation selbst zu befördern und konservative Politik zu diskreditieren. Bei seiner neuen Partei, dem Zentrum, könne das nicht passieren.

Uwe Witt, Mitglied des Bundestages und der Zentrumspartei

IMAGO / Christian Spicker

TE: Herr Witt, nun hat wenige Tage nach Ihrem Austritt aus der AfD-Bundestagsfraktion und der Partei auch Jörg Meuthen den Parteivorsitz aufgegeben und die Partei verlassen. Seine Begründung ist ähnlich wie Ihre. Sie sprachen von »Grenzüberschreitungen« von AfD-Mitgliedern. Man könnte Ihnen vorwerfen, dass Ihre früheren Parteifreunde ja schon oft für öffentliche Empörung sorgen. Warum also erst jetzt Ihr Abschied? 

Uwe Witt: Ich war acht Jahre in der Partei und habe mich als Bundesvorsitzender der Alternativen Mitte zwei Jahre lang dafür eingesetzt, dass in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, dass die überwiegende Mehrheit der Parteimitglieder nicht so sind, wie es medial verzerrt dargestellt wurde. Aber im Laufe der Zeit verändern sich Dinge. Gewisse rote Linien, die ich von Anfang an definiert hatte, auch 2017, als ich in den Bundestag kam, musste ich während des Wahlkampfes im vergangenen Jahr deutlich definieren, weil ich von Wählern und Journalisten auch angesprochen wurde. Es passierten dann im Laufe von wenigen Wochen eine Fülle von Dingen, wo ich meine roten Linien hätte verschieben müssen oder konsequent bleiben und gehen. 

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Als ich mich damals als erster gegen die „Vogelschiss“-Aussage von Alexander Gauland äußerte, haben zwei Mitglieder des Landesvorstandes in Nordrhein-Westfalen versucht, ein Parteiausschlussverfahren gegen mich zu betreiben. Trotzdem habe ich nicht gleich die Flinte ins Korn geschmissen. Aber wenn plötzlich da jemand als Vertreter der AfD im Bundestag sitzt, dessen Nähe zum Nationalsozialismus eigentlich unmöglich macht, dass er überhaupt noch in der Partei ist, … 

Wen meinen Sie?

Matthias Helferich, der sich selbst das „freundliche Gesicht des Nationalsozialismus“ nannte. Und der wurde nicht ausgeschlossen, sondern sein Fall wurde an ein Landesschiedsgericht delegiert. 

2018 hatte Kurt Biedenkopf prophezeit, dass sich das Verhältnis zwischen der AfD und den anderen Parteien normalisieren werde, wie einst bei den Grünen. Das ist nicht eingetreten. Woran liegt das? 

Genau das hatte ich erhofft. Ich will nicht sagen, dass wir 2017 mit offenen Armen im Bundestag begrüßt wurden. Aber wir haben zunächst, zumindest ich persönlich, in den politischen Funktionen, die ich für die Partei übernahm, zum Beispiel im Ältestenrat Personal mit der Vorsitzenden Claudia Roth oder im Ausschuss Arbeit und Soziales, keine Ablehnung erfahren. Im Gegenteil. Das Gros der Abgeordneten der etablierten Parteien war durchaus bereit, mit uns zusammenzuarbeiten. Im Laufe der Legislatur hat sich das aber verändert durch die Art und Weise, wie die AfD im Parlament aufgetreten ist. 

Was meinen Sie konkret?

Parteivorsitz niedergelegt
Jörg Meuthen verlässt die AfD
Opposition lebt vom Opponieren. Aber nicht von circensischen Attraktionen, die man vollbringt. Zum Beispiel vom Fotografieren eines Wahlzettels auf der Toilette. Das Lächerlichmachen des höchsten deutschen Gremiums sollte eine demokratische Partei anderen Kreisen überlassen. Das hat mich schon immer gestört. Stephan Brandner hat da leider Meilensteine gelegt und ist deswegen ja auch als erster Ausschussvorsitzender in der Geschichte des Bundestages abgewählt worden.  Wenn eine Partei es dadurch schafft, konservative Politik stigmatisieren zu lassen, dann muss man sich wirklich Gedanken drüber machen. Das hat wenig mit Rechtsextremismus zu tun. Es geht ums Lächerlichmachen demokratischer Prozesse und der parlamentarischen Demokratie. Das geschah nur für die eigene Blase in den sozialen Medien. In parteiinterne Ämter wird man gewählt, wenn man sich möglichst extrem und grenzüberschreitend darstellt. 

Wie lief dieser Prozess der Entfremdung zwischen AfD und anderen Parteien ab? Hat die Kommunikation auf den Fluren oder im Plenum aufgehört?

Der Ton wurde immer schärfer. Ich erinnere mich an eine Begebenheit mit einem Kollegen, der sich so echauffierte, dass ich befürchtete, er steht auf und ohrfeigt den FDP-Abgeordneten neben ihm. Die Despektierlichkeiten der AfD wurden dann auch aufgegriffen und gegen die AfD instrumentalisiert. Aber man lernte daraus nicht, dass man gewisse Attraktionen nur außerhalb des Plenums machen sollte. 

Man soll natürlich hart in der Sache streiten. Aber die AfD wird oft persönlich in ihren Angriffen. Ich hatte zu Claudia Roth einen recht guten Kontakt im Ältestenrat Personal. Ich bemühte mich um einen angenehmen menschlichen Umgang. Da sprachen wir manchmal auch über Unpolitisches. Nach einem halben Jahr zeigte sie mir dann, wie man sie auf Facebook beschimpft hat. Und da waren auch AfD-Abgeordnete dabei. Da wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte. Das ist der reine Hass, der da durchbricht. Da geht es ums Verunglimpfen von Personen. Eine vernünftige, faktenbasierte Oppositionsarbeit ist mehr als wünschenswert. Denn im Moment gibt es die nicht. Auch von der CDU nicht. Aber eine Hetzerei gegen bestimmte Personen ist eines demokratischen Parlaments unwürdig. Und das kreidet, glaube ich, auch die Bevölkerung der AfD an.

Ist das der Grund dafür, dass die AfD von der Unzufriedenheit vieler Menschen mit der Corona-Politik nicht profitieren kann?

Exakt so ist es. Ich hatte zum Beispiel Kontakt mit einer Initiative von Eltern, die Bedenken gegen die Impfung ihrer Kinder haben, und einer ähnlichen Gruppe von Krebskranken. Ich war da noch Mitglied im Gesundheitsausschuss und bot an, parlamentarisch aktiv zu werden. Beide Gruppen sagten: Das ist ja sehr nett, aber mit Ihrer Partei möchten wir nichts zu tun haben, weil wir dann gleich stigmatisiert werden. Es ist also eine Partei, mit der 85 Prozent nichts mehr zu tun haben wollen. Und das kann auch nicht mehr revidiert werden, meine ich.

Sie sind unmittelbar nach dem Austritt aus der AfD der Zentrumspartei beigetreten. Einer Partei, die zu Bismarcks Zeiten und in der Weimarer Republik als politische Stimme der Katholiken eine der wichtigsten in Deutschland war. Die CDU hat ab 1946 bekanntlich einen großen Teil der früheren Zentrumspolitiker – nicht zuletzt Konrad Adenauer – und vor allem Wähler übernommen. Übrig blieb nur ein großer Name für eine winzige Partei. Warum also dieser Schritt? 

Ex-AfD-Abgeordneter Uwe Witt beigetreten
Die Zentrumspartei ist wieder im Bundestag vertreten
Mir stellte sich eine grundsätzliche Frage: Wie erfüllst Du weiter Deinen Wählerauftrag? Alleine? Oder versuchst du irgendwo Anschluss zu finden? Zu einer der anderen Bundestagsparteien überzutreten, wäre nicht der Wählerwille gewesen. Also habe ich mich im gesamten Parteienspektrum umgesehen. Von der Zentrumspartei wusste ich über einen ausgeschiedenen AfD-Mann, der auch moderat war, dass sie dabei ist, sich komplett neu aufzustellen mit einer neuen Programmatik. Ich hab dann mit einigen Leuten gesprochen. Das war sehr positiv, ich hatte das Gefühl, angekommen zu sein. 

Ist das Katholische für die Zentrumspartei weiter sehr wichtig?

Nein. Es ist keine katholische Partei, aber eine Partei mit christlich-sozialen Wurzeln und auch mit christlicher, sozialer, freiheitlicher Programmatik. Ich bin Christ, aber kein Kirchgänger-Christ, der das wie eine Monstranz vor sich herträgt. Die christlichen Werte waren mir immer wichtig. Ich habe früher mit Behinderten und Arbeitslosen gearbeitet, mich immer auch um Randgruppen der Gesellschaft gekümmert. 

Wir brauchen eine Partei, die eine vernünftige, konservative, soziale, christliche Politik in Deutschland so macht, dass sie auf den Respekt der Menschen stößt. Sodass auch Leute, die nicht derselben Meinung sind, diese Politik akzeptieren können. Das ist es, was wir als Zentrum erreichen wollen. Es gibt eine politische Leerstelle. Wir haben eine rechtsextreme AfD, die sich selbst isoliert hat. Und die CDU ist, um diese AfD nicht zu nahe an sich herankommen zu lassen, noch weiter nach links gegangen. Dazwischen ist Luft.

Und da wollen Sie jetzt rein? 

Da sind wir eigentlich schon. Die Frage ist aber, ob wir in der Lage sind, diese Lücke zu schließen als Kleinstpartei. 

Nehmen wir einmal an, dem Zentrum gelänge das Wunder und es zöge in den nächsten Bundestag ein. Würde ihm dann dasselbe Schicksal wie der AfD bevorstehen? Also Verbannung hinter die Brandmauer „gegen rechts“ bei gleichzeitiger Selbstradikalisierung. Schließlich begann auch die AfD mit respektablen Professoren. 

Eine Partei muss sich selbst schützen. Der Fehler der frühen AfD war ihr schnelles Wachstum. Man konnte teilweise per Internet Mitglied werden. Die Leute später wieder loszuwerden, ist sehr schwer. Die Zentrumspartei hat in ihrer Satzung eine Klausel, wonach ab einer kritischen Größe die Aufnahme gestoppt wird. Dann gibt es einen Förderverein, in dem man erst ein Jahr Mitglied sein muss, bevor man in die Partei darf, wenn man sich bewährt hat – oder auch nicht.  

Ihr Wechsel hat zwar einiges Aufsehen erregt, aber das wird bis zur nächsten Bundestagswahl kaum anhalten. Wie wollen Sie in den verbleibenden drei Jahren als Solo-MdB Aufmerksamkeit für sich und die Zentrumspartei erregen? 

Ob ich Solo-MdB bleibe, weiß ich nicht. Das Zentrum soll aber kein Auffangbecken für AfD-Leute werden. Es muss sichergestellt sein, dass die Wurzeln der Partei erhalten bleiben. Bei vielleicht fünf Prozent der gegenwärtigen Mandatsträger der AfD könnte man sich Gedanken machen, ob sie aufgenommen werden könnten.

Wäre es nicht wichtiger für Sie, Unionspolitiker zu gewinnen? In der Merkel-Ära gab es in der Union zwar immer mehr Unzufriedene, aber die Fraktionen hielten bis auf ganz wenige Austritte wie den von Erika Steinbach, zusammen. Im Gegensatz zur AfD. Wie erklären Sie sich diese Geschlossenheit in einer Zeit, in der letztlich das gesamte Programm aufgegeben wurde. 

Asymmetrische Mobilisierung für wen?
"Die Existenz der AfD ist für linke Parteien Gold wert."
Die großen Parteien haben sich das Land nicht nur politisch aufgeteilt. Da steckt auch viel Geld drin. Dinge, die man eigentlich nur in Dritte-Welt-Ländern vermutet, sind auch hier gang und gäbe. Ein Bekannter war jahrzehntelang Oberbürgermeister einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen. Er starb als Immobilienmillionär. Sie wissen, was ich meine. Da schluckt man eben eine politische Kröte, dafür wird dann das Portemonnaie dicker. In der AfD gibt es das nicht. Im Gegenteil.

Wie sieht Ihr Abgeordnetendasein jetzt konkret aus?

Ich kann mich natürlich nicht auf Arbeit und Soziales und auch nicht auf meinen Wahlkreis Ostholstein konzentrieren. Ich bin jetzt für alle Themen für die Zentrumspartei deutschlandweit unterwegs. Mich sprechen jetzt auch viele Leute an, die Kreisverbände gründen wollen. 

Welche Position vertreten Sie und das Zentrum zur aktuellen Corona-Politik?

Ich bin geimpft und geboostert. Aber ich bin der Meinung, dass wir angesichts der aktuellen Situation keine Corona-Impfpflicht brauchen. In der Pandemie ist deutlich geworden, dass es große Vorteile gibt, gewisse Fragen nicht europäisch, sondern nationalstaatlich zu regeln. Die AfD hat diese politische Chance nicht genutzt, sondern lieber Zirkusveranstaltungen gemacht. 

Machen Sie sich Hoffnungen, über die laufende Legislatur hinaus Abgeordneter zu bleiben?

Ich gehe nicht davon aus, dass wir 2025 mit 15 Prozent in den Bundestag einziehen. Für mich geht es darum sowieso nicht, ich bin jetzt 62 Jahre. Dafür bin ich nicht in die Zentrumspartei gegangen, sondern weil ich den Eindruck habe, dass ich dort die Politik, die ich meinen Wählern in Schleswig-Holstein versprochen habe – christlich-sozial – umsetzen kann. Und wenn ich die Möglichkeit haben sollte, Brückenbauer zu sein für eine neue konservative Partei, die absolut auf dem Boden des Grundgesetzes und unserer parlamentarischen Demokratie fußt, dann tue ich das natürlich gerne. 

Haben Sie Jörg Meuthen nach seinem Austritt schon kontaktiert oder wollen Sie das tun? 

Es gab nach dem Austritt von Herrn Meuthen keine Gelegenheit mit ihm zu reden. Interessant fand ich, dass er auch Matthias Helferich als Grund für seinen Austritt nannte. Warten wir ab, ob Jörg Meuthen Kontakt mit mir aufnehmen wird.

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