Vor gut zwei Jahren sprach Tichys Einblick mit Russell Berman, Professor für German Studies in Stanford, über Trump, Biden und die Rolle von Medien und Menschen im Wahlkampf und darüber hinaus. Nun bieten die Midterms den Anlass zu einer Nachlese, wobei man zunächst einmal die Frage stellen muss, wie das Rennen um etliche Kongress- und Senatssitze nun wirklich ausging. Denn schon diese simple Faktenfrage ist – diesseits wie jenseits des Atlantiks – hochgradig umstritten. Es gilt der Satz: Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf. Die Präsidentschaftswahlen 2024 kommen bestimmt und werden – zusammen mit den dann zu vergebenden Sitzen in beiden Kammern – die nähere Zukunft der USA bestimmen.
Tichys Einblick: Sehr geehrter Professor Berman, es gab deutsche TV-Talkshows, in denen sich kurz nach den amerikanischen Midterms vier Journalisten einig waren, dass ein Sieg der Demokraten ein Sieg der Demokratie sei. Dass republikanische Kandidaten die Wahl gewinnen könnten, galt folglich als Gefahr für die Demokratie. Was sagt diese „Haltung“ über das Demokratieverständnis derer aus, die sie einnehmen?
Russell Berman: Es gab eine Zeit, wo ich die bundesrepublikanische Öffentlichkeit, die Diskussionskultur und folglich auch den Journalismus bewundert habe. Schnee von gestern. In den letzten Dekaden – eine Folge der Einigung vielleicht oder wahrscheinlicher wegen der neuen Medien und der durch sie verursachten Veränderungen – blicke ich mit Sorge auf einen oft verstellten, ja verkorksten Blick der deutschen Presse auf die Vereinigten Staaten. Journalisten vom Rang sind obsessiv fokussiert auf Donald Trump, was sich sonst im Land abspielt ist irrelevant, da nicht Teil der allgemein kolportierten Story.
Dabei kann man sehr wohl von Gefahren für die Demokratie sprechen, aber dabei geht es nicht um die Republikanische Partei. Was mich um den Schlaf bringt: die Forderungen nach Zensur im Internet, die Normalisierung eines Haltungsjournalismus, die Unterwanderung der freien Meinungsäußerung durch Cancel Culture, also die Kultur, in der es nicht mehr darum geht, den Gesprächspartner zu überzeugen, sondern darum, den Feind mundtot zu machen. Auch auf der langen Liste der Gefahren für die Demokratie: die Lahmlegung der Parlamente durch Polarisierung, mit der Folge, dass zunehmend durch exekutive Verordnungen des Präsidenten regiert wird – was im Kontext der Pandemiemaßnahmen zu ungerechtfertigten Freiheitseinschränkungen führte. Wer über Demokratiegefährdung sprechen will, sollte von unseren Covid-Erfahrungen reden.
Wie würden Sie das Endergebnis der Midterms beschreiben? Lässt sich das in zwei oder drei Sätzen zusammenfassen?
Die Republikaner haben schlechter abgeschnitten, als manche vorausgesagt haben, sie haben aber immerhin die Mehrheit im Kongress gewonnen. Das bedeutet, das politische Spiel ändert sich. Wir haben gesehen, dass manche von Trump bevorzugte Kandidaten verloren haben. Sein Zauberstab wirkt nicht mehr so wie einst. Aber auch einige der Sterne am Demokratischen Himmel haben versagt und fanden ihr vorzeitiges politisches Ende: Stacie Abrams in Georgia, Beto O’Rourke in Texas. Und die Republikaner gewannen mehr Stimmen bei den Minderheiten und bei Frauen, wider Erwarten – die Parteilandschaft verändert sich gerade substantiell.
Man muss ja sagen: In Georgia wird die Niederlage bei den Wahlen, die die Demokratin Stacie Abrams zum wiederholten Male erlitt, von einigen auf „anti-Blackness“ und „sizeism“ zurückgeführt, also auf angebliche Vorbehalte der Wähler gegen die Hautfarbe oder die Körpermaße von Abrams. Wodurch wurden Ihrer Meinung nach die republikanischen Niederlagen, die es gab, oder das Ausbleiben einer „roten Welle“ verursacht? War die „rote Welle“ überhaupt wahrscheinlich gewesen?
Die Republikaner hatten einige schwache Kandidaten. Zum Hintergrund: In manchen Staaten, beispielsweise New Hampshire, haben während den Vorwahlen, also bei der Vorauswahl der Kandidaten, die Demokraten ausgerechnet Trump nahestehende Republikaner auf verschiedenen Wegen unterstützt – mit dem Kalkül, dass diese leichter zu besiegen wären. Dieses Kalkül ging auf, der Zynismus wurde belohnt. Hinzu kommt die Abtreibungsentscheidung des Supreme Court, die wohl einige Wähler mobilisiert hat. Andererseits konnten Republikaner Kongresssitze in ehemals Demokratischen Hochburgen gewinnen, wie in New York.
Also gab es keine Stärkung des Präsidentenlagers in den Midterms, wie es einige Gazetten wollten?
Die Demokraten haben verloren – weniger als vorausgesagt, aber immerhin verloren. Ab Januar haben die Republikaner den Kongress. Biden wird kaum weitere Gesetze durchbringen, ohne Kompromissbereitschaft. Kompromisse – welch radikaler Gedanke in diesen Zeiten!
Kann man denn sagen, dass sich der Souverän frei entschieden hat? Oder gab es Argumente, Agitationen, Praktiken, die über den normalen Wahlkampf hinausgingen?
Das Volk hat gewählt. Ich glaube nicht, dass die Ergebnisse in irgendeinem bedeutungsvollen Sinn gefälscht worden sind. Es gibt allerdings eine Unart in der amerikanischen politischen Kultur, wenigstens seit der Jahrtausendwende, dass Wahlverlierer die Ergebnisse in Frage stellen. Die Demokraten begannen damit 2000 mit der Niederlage Gores, und die Demokratin Abrams setzt es in Georgia bis zum heutigen Tage fort, wo sie nun zum zweiten Mal verloren hat. Der Meister in diesem Spiel ist natürlich Trump, wenn er es nicht erfunden hat. Meines Erachtens sind die Wähler dieser Behauptungen aber müde. Vor allem ist es wichtig festzustellen: Der Souverän hat entschieden und zwar für eine gespaltene Regierung. Über diese Botschaft sollte man nachdenken.
Man hat in diesen Tagen immer mal wieder gehört, wie republikanische Politiker und ihre Anhänger davon sprachen, dass die USA keine „Demokratie“, sondern eine „constitutional Republic“, also eine Republik mit einer Verfassung, seien. Hat das irgendeinen tieferen Sinn? Droht hier eine Verfassungskrise, falls sich Republikaner und Demokraten nicht mehr auf so grundlegende Dinge einigen können?
Die Behauptung, das Land sei keine Demokratie, ist – bei normalem Wortgebrauch – sinnlos. Es ist eine Demokratie innerhalb der Bedingungen der Moderne oder Postmoderne. Der Maßstab ist nicht Athen, sondern etwas Zeitgemäßes. Unser Regierungssystem beinhaltet offensichtlich mehr als bloß Mehrheitsentscheidungen. Moderne Demokratien sind mehr als ein ewiges Plebiszit. Deshalb spricht man auch von „liberalen Demokratien“, die bereit sind, individuelle Rechte und Minderheitenrechte gegen Mehrheiten, gegen eine „Tyrannei der Mehrheit“ zu verteidigen – oder gegen die Parteiherrschaft der „Volksdemokratien“ sowjetischer Art.
Wie sehen Sie die Rolle von Trump seit den Midterms? Ist ihm die Niederlage auf die eine oder andere Art zuzuschreiben? Welche Chancen hätte er als Präsidentschaftskandidat 2024?
Trump hat noch einen unübersehbaren Einfluss bei gewissen Wählerschichten, aber weniger als vorher. Wir haben gesehen, dass andere, jüngere Republikaner, vor allem Gouverneure, im Wahlkampf erfolgreich waren. Und Trump ist auch manchmal sein eigener Feind, zum Beispiel bei seinem kürzlichen Treffen mit Kanye West – eine lange, wenig erbauliche Geschichte, aber Trump sollte mehr auf gute Berater hören und sich nicht mit bizarren Figuren identifizieren lassen. Er hat seine Kandidatur bekanntgegeben. Die Demokraten brennen für ihn als Kandidaten – da er schlagbar ist –, aber bei den Republikanern rührt sich Widerstand.
Wäre DeSantis der bessere Spitzenmann der Republikaner? Wer dürfte es am Ende werden?
DeSantis ist vielversprechend, er ist aber nicht der einzige. Es wird ein Wettkampf bei den Republikanern sein, und das ist gut so. Die Demokraten haben es schwer, sich von Biden zu befreien. Zurzeit sieht es in etwa so aus, obwohl noch allerlei dazwischen kommen könnte: Biden würde Trump besiegen, aber knapp und ohne Mehrheit im Kongress. DeSantis oder manch ein anderer Republikaner würde Biden besiegen. Für deutsche Leser ist wichtig zu wissen: Biden und die Demokraten sind, im Kern, protektionistischer als die Republikaner. Womit Trump nur gedroht hat, das führt Biden heute aus. Wenn deutsche Unternehmen Elektro-Autos oder irgendetwas sonst in den USA verkaufen wollen, sollten sie auf Republikaner setzen.