Sarah Atcho, 26 Jahre alt, ist eine Schweizer Sprinterin. Sie erreichte auf 200 Meter das drittbeste Ergebnis in der Geschichte der Schweiz, lief bei Olympia und erreichte zweimal das Finale der Weltmeisterschaft. In dieser Woche machte sie auf Instagram öffentlich, dass sie in Folge ihrer Booster-Impfung eine Perikarditis erlitt. Der Fall wurde medial breit rezipiert – oft aber auch heruntergespielt.
Im Interview erzählt sie die Geschichte ihrer plötzlichen Erkrankung und über ihr Umdenken, mangelnde Aufklärung und Impfdruck, die teils schäbigen Reaktionen auf ihre Veröffentlichung und ihre Sicht auf die Rolle von Medien und Politik. Hinsichtlich einer Kampagne für die Impfung, an der sie bedenkenlos teilnahm, übt sie auch Selbstkritik.
Tichys Einblick: Kurz nach Ihrer Booster-Impfung erlitten Sie eine Herzbeutelentzündung (Perikarditis). Jetzt haben Sie sich entschieden, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Können Sie unseren Lesern erzählen, wie es zu der Diagnose kam und wie der Verlauf der Erkankung war?
Sarah Atcho: Ich bekam meine Booster-Dosis am 22. Dezember und habe dann ein paar Tage Trainingspause gemacht, wie es nach der Impfung üblich ist. Nach Weihnachten bin ich dann für ein paar Tage mit meinem Freund nach Lissabon geflogen. Da merkte ich dann die ersten Symptome: immer wieder Schwindelgefühl und ein Druckgefühl auf meiner Brust, in der Herzgegend. Ich habe das als psychische Sache abgetan, als etwas, was sich mein Kopf vorstellt. Als ich dann in die Schweiz zurückkehrte und wieder mit meiner strikten Trainingsroutine begann, merkte ich, dass es mir wirklich nicht gut ging. Ich merkte, dass etwas anders war. Mein Arzt hat mich dann zum Kardiologen geschickt.
Er hat mein Herz erst via Ultraschall untersucht und festgestellt, dass sich um mein Herz Flüssigkeit angesammelt hatte. Dann hat er mein Blut auf Entzündungswerte untersucht und eben festgestellt, dass da etwas ist. Mein Arzt hat mir unmissverständlich klar gemacht, dass ich sofort aufhören muss zu trainieren. Wenn ich später hingegangen wäre und mehr und länger trainiert hätte, hätte es meine Situation wohl verschlimmert. Das kann ich natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber der Arzt war schon sehr eindeutig. Ich hatte insgesamt sogar noch Glück: Perikarditis kann ja sehr leicht auch viele schlimmere Folgen haben.
Ist die Krankheit denn nun ausgeheilt?
Ich habe eine Untersuchung am 28. Januar. Dann wird entschieden, ob ich wieder langsam mit dem Training anfangen kann. Nach dreißig Tagen müsse man einen Check-up machen, meinte mein Arzt. Normalerweise sollte dann alles wieder okay sein. Allerdings spüre ich aktuell wieder stärkere Schmerzen in der Brust. Als ich meine Geschichte auf Instagram gepostet habe, haben sich auch viele gemeldet, die das Gleiche durchgemacht haben, die monatelang erkrankt waren. Manche meinen, ich wäre zu optimistisch. Ich weiß nicht wirklich, was kommt. Ich will schnell sein. In dieser Situation sind Trainer und Team alle wirklich, wirklich verständnisvoll und unterstützen mich, dafür bin ich sehr dankbar.
Welche Auswirkungen hat das auf Ihre sportliche Laufbahn?
Ich will optimistisch bleiben. Die Weltindoormeisterschaften im März werde ich verpassen, ich kann nicht trainieren. Ich kann nicht trainieren, also kann ich da nicht teilnehmen. Aber das ist nicht ganz so schlimm. Ich will unbedingt für den Sommer fit sein.
Fühlten Sie sich gut über dieses mögliche Risiko einer solchen gefährlichen Nebenwirkung informiert, als Sie sich impfen ließen?
Nein. Ich meine, die Impfung findet ja in diesen Impfzentren statt. Da ist kein spezifischer Arzt. Du kriegst einfach nur die Impfung und gehst. Bei meiner ersten Impfung sollte ich zumindest noch 15 Minuten warten, falls irgendeine Reaktion auftritt. Beim Boostern war es wirklich anders. Man hat nur die Impfung und dann die dazugehörigen Papiere bekommen.
Und, wissen Sie, ich hatte vorher noch nie irgendwas in diese Richtung gehört. Ich dachte, junge, gesunde Menschen können sich risikofrei impfen lassen, so wird es ja auch täglich gesagt. Ich denke, da machen die Medien ihren Job nicht richtig: Wir reden zurecht viel über das Leid, was Corona verursacht. Und es stimmt, Corona hat oft gefährliche Auswirkungen. Aber wir sollten auch offen über die Nebenwirkungen der Impfung sprechen, damit die Leute ihre Entscheidung informiert treffen können. Oft wird das aber einfach heruntergespielt oder ignoriert.
Es gibt Gerüchte über zunehmende Herzerkrankungen bei Sportlern, möglicherweise verursacht durch die Impfung. Medienberichte über entsprechende Fälle nehmen jedenfalls erkennbar zu. Ist das ein Thema unter Athleten?
Um ehrlich zu sein, hatte ich davon vorher nie gehört. Nur, seitdem ich die Perikarditis habe, schickt mein Trainer mir hier und da Artikel zu dem Thema.
Sie haben noch im November öffentlichkeitswirksam an einer Impfkampagne für die Schweizer Regierung und die Impfpolitik teilgenommen, als eine von 80 Prominenten. Wie kam es dazu?
In der Schweiz lief eine Kampagne, um die Menschen zum Impfen zu bewegen. Damit Leute sich damit auseinandersetzen. Und sie brauchten vielleicht jemanden, der sich als Sportler hinstellt und sagt: Ich bin geimpft. Das war, glaube ich, meine Rolle. Ich glaube, dass es damals auch richtig war.
Aber warum haben Sie Werbung für eine Impfung gemacht, von der Sie selbst sagen, dass Sie über deren Nebenwirkungen gar nicht informiert wurden?
Das ist eine gute Frage – eine Frage, die sich viele stellen sollten. Zu diesem Zeitpunkt, als ich die Kampagne gemacht habe, war die Lage für mich klar: Die Impfungen halfen, sie retteten Leben und senkten Hospitalisierungsraten, ich habe mich da auf die Wissenschaft in der Öffentlichkeit verlassen.
Ich stehe auch immer noch grundsätzlich dazu, dass die Impfung schützt und dass sie für Risikopatienten wichtig ist. Aber über die möglichen Nebenwirkungen hätte definitiv mehr aufgeklärt werden müssen, da bin ich auch selbstkritisch. Ich denke, die Lage ist jetzt, was die Gefahr angeht, aber auch eine andere als im November. Heute würde ich an einer Impf-Kampagne nur teilnehmen, wenn diese Impf-Risiken auch zur Sprache kommen.
Ich möchte aber positiv sagen: Ein Schweizer Bundesrat, Alain Berset, hat mich noch am Mittwoch angerufen. Er hat sich erkundigt, wie es mir geht, hat auch anerkannt, dass es tatsächlich eine Impfnebenwirkung ist und sich ehrlich dafür interessiert.
Sie klingen davon überrascht. Haben andere Ihre Erkrankung kleingeredet?
Ja, viele haben tatsächlich gesagt: „Oh, vielleicht hattest du das ja schon vorher.“ Aber ich bin mir sicher, dass es mit der Impfung zusammenhängt. Ich hatte ein ärztliches Check-up im November – da war alles gut. Ich habe mich mehrmals getestet – immer negativ. Es kann eigentlich nur an dieser Impfung liegen.
Sie sind mit Ihrer Geschichte auf der Social-Media-Plattform Instagram an die Öffentlichkeit gegangen. In den Kommentaren unter Ihrem Post finden sich viele unterstützende Worte, die Ihnen auch für Ihren Mut gratulieren. Schlug Ihnen auch Ablehnung entgegen?
Ich denke, mit meinem Post stehe ich genau in der Mitte dieser zwei Seiten. In meinem Post sage ich nicht, dass ich gegen die Impfung bin, und nicht, dass ich für die Impfung bin. Obwohl die Tatsache, dass ich mich habe impfen lassen ja zeigt, dass ich gerade für die Impfung bin.
Aber ich spreche auch offen über die Nebenwirkungen der Impfung, die ich erfahren habe. Leute haben mir dann Vorwürfe gemacht: Sie ändern Ihre Meinung, erst impfen lassen und dann rumheulen. Das verstehe ich nicht. Natürlich bin ich traurig, weil ich jetzt erkrankt bin. Wem nicht gefällt, was ich zu sagen habe, soll es einfach nicht lesen, finde ich.
In Ihrem Post bitten Sie am Ende um Verständnis, dass Sie Ihre Geschichte teilen. Das hat uns etwas verwundert. Eigentlich wäre es doch das Normalste der Welt, so eine Geschichte zu erzählen. Haben Leute versucht, Sie davon abzubringen?
Ja. Meine Familie und Freunde waren besorgt, dass man mich angreifen würde, wenn ich davon erzähle. Aber ich finde, es ist wichtig, darüber zu sprechen. Niemand will wirklich über diese Problematik reden. Man wird schnell mundtot gemacht. Dabei ist es doch gar nicht ein Statement für oder gegen die Impfung, sondern schlicht eine Realität, die ich und andere erleben.
Viele Athleten sind zu mir gekommen und meinten: Oh Gott, ich wusste gar nicht, dass uns das passieren kann. Wir als Sportler sind doch die Gesündesten der Gesunden. Viele haben sich danach nochmal ärztlich checken lassen. Ich würde auch sagen: Lasst euch im Zweifel nach der Impfung nochmal untersuchen.
Ihre Booster-Impfung war am 22. Dezember. Zu diesem Zeitpunkt wusste man schon, dass Omikron sich verbreitet und eine Infektion mit diesem Virus für eine junge, gesunde Frau wie Sie sehr risikoarm verläuft. Haben Sie sich aus persönlichen, medizinischen Grünen boostern lassen oder auch aus gesellschaftlichem Druck und dem Druck der staatlichen Maßnahmen?
Beides, würde ich sagen. Einerseits kenne ich Geschichten von anderen Athleten, die nach einer Covid-Infektion wirklich schwere Verläufe hatten. Wir wissen ja auch nicht, mit welcher Virusvariante wir uns infizieren, ob es Omikron oder eine schwerere Variante ist. Andererseits will ich auch regulär trainieren. Wenn wir in der Schweiz in Sporthallen trainieren wollen, müssen wir beispielsweise dreifach geimpft sein. Um ehrlich zu sein: Wenn du ein normales Leben haben willst, musst du halt geimpft sein. Das hat auf jeden Fall auch eine Rolle gespielt.
Finden Sie diesen sozialen Druck, sich impfen zu lassen gerade bei jungen Menschen übertrieben?
Ich denke, dass Zwang ein Problem ist. Manche Länder führen Impfpflichten ein – dafür habe ich kaum Verständnis. Als erwachsene Menschen sollten wir für uns selbst entscheiden können. Junge, gesunde Ungeimpfte sind glaube ich nicht diejenigen, die unsere Krankenhäuser füllen. Ältere Leute haben natürlich leider ein erhöhtes Corona-Risiko, da ist das etwas komplizierter.
Ich finde, Menschen sollten hier tun, was sie für richtig halten. Wenn du ungeimpft bist und dann erkrankst, und dann vielleicht einen schweren Verlauf erleidest, ist es halt dein Risiko. Wenn die Erkrankung dann deine Karriere beendet, ist es dein Problem. Es ist deine Verantwortung – genauso wie ich mich für den Booster entschieden habe und jetzt ein Problem habe, mein Problem. Ich habe mich für den Booster entschieden und sitze jetzt in der Scheiße. Anderen kann es andersherum genauso gehen.