Dr. Alexander Meschnig ist gebürtiger Österreicher, studierte Psychologie in Innsbruck und promovierte in Politikwissenschaft an der HU Berlin. Er lebt seit über 30 Jahren in Berlin, schreibt neben Büchern Artikel für die Achse des Guten oder Tumult und ist den Hörern zudem aus dem Radio-Angebot Kontrafunk bekannt wo er unter dem Format AudiMax Vorträge zu den aktuellen Themen unserer Zeit hält.
Im TE-Gespräch mit Alexander Meschnig sollte es grundsätzlich um die zunehmende Alltagsgewalt und Gewaltkriminalität von sehr jungen Tätern und die Frage nach den Ursachen gehen. Meschnigs Antworten führen allerdings rasch zu anthropologischen Grundlagen, die „wir“ zunehmend verkennen. Kein Wunder, dass „unsere“ Gesellschaft Herausforderungen in einer solchen Lage weniger gut gewachsen ist.
Die nun veröffentlichte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) stützt die Vermutung, dass Migration und mangelnde Integration zu den bestimmenden Faktoren der gestiegenen Jugendkriminalität gehört. Gegenüber dem Vorjahr Die nichtdeutschen Tatverdächtigen unter achtzehn Jahren nahmen um 49 Prozent (36,5 Prozent gegenüber 2019) zu, die deutschen nur um 18,5 Prozent (plus fünf Prozent gegenüber dem letzten Vor-Corona-Jahr 2019).
Tichys Einblick: Die von Jugendlichen begangene Gewaltkriminalität hat zuletzt eine größere Aufmerksamkeit in den Medien bekommen als sonst üblich. Es gibt die sozusagen extremen Taten von Freudenberg oder Heide, und dann gibt es eine polizeiliche Statistik wie die aus NRW, laut der Straftaten von Unter-14-Jährigen generell stark zugenommen haben. Sicher sind da auch Diebstahl und anderes dabei. Trotzdem stellt sich die Frage, ob hier eine Generation schon ziemlich früh verroht, und wenn ja, warum.
Alexander Meschnig: Die derzeit stattfindende Diskussion ist sicher nichts Neues. Eine einfache Google-Suche zeigt, dass wir ähnliche Fälle bereits in Deutschland hatten. Auch die Frage, ob und warum unsere Jugend verroht, wird immer wieder gestellt. Erinnern wir uns nur an die Diskussionen 2006 rund um die Rütli-Schule und den Brandbrief der Lehrer und Pädagogen zu den Verhältnissen in ihrer Schule. Schon vor mehr als zehn Jahren gab es den Aufschrei in den Medien über Enthauptungsvideos auf den Handys von Kindern und Jugendlichen oder das sogenannte „Happy Slapping“, also das Filmen von Gewalthandlungen an ausgesuchten Opfern. Jugendliche verprügeln Altersgenossen, misshandeln oder vergewaltigen sie und werden dabei von Mittätern mit dem Handy gefilmt. Die Filme werden danach wie Trophäen auf Schulhöfen und in Cliquen herumgereicht.
In Deutschland werden pro Jahr etwa zehn Kinder, also unter 14-Jährige, eines Tötungsdelikts beschuldigt. Diese Zahl ist konstant, aber so klein, dass man keine Verallgemeinerungen anstellen kann. Man weiß nur, dass in 90 Prozent der Fälle die Täter Jungen sind. Insofern ist der Fall in Freudenberg schon außergewöhnlich. Freudenberg und Heide sind wahrscheinlich deshalb so unerklärlich für uns, weil es Kinder sind, die töten oder quälen, Kinder, die in unserer Gesellschaft als schutzbedürftig und unschuldig gelten, nicht nur strafrechtlich, sondern zu großen Teilen auch moralisch. Das Bild des unschuldigen Kindes bekommt hier Risse. Wenn man den Medien glauben will, haben die beiden Täterinnen sich vorher über die Strafmündigkeit informiert. Es handelte sich also gar nicht um eine Affekthandlung, sondern um geplanten Mord, wenngleich die Tat, es sollen ja unzählige Messerstiche gewesen sein, mehr einem affektiven Rausch gleicht.
Ob die heutige Jugend mehr und mehr verroht, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Jede Generation wirft ja in der Regel der Nachfolgenden vor, etablierte Werte und Normen zu zerstören. Fälle wie die in Freudenberg oder grundlose Gewaltattacken, wie sie täglich in den Medien berichtet werden, machen uns sprachlos. Das liegt meines Erachtens auch daran, dass wir nicht sehen wollen oder können, dass es so etwas wie das „Böse“ gibt und unsere Suche nach rationalen Gründen für Gewalt oft in die Irre geht. Gewalt und Lust hängen eng zusammen. Aus meiner eigenen Arbeit mit gewalttätigen jungen Männern in meiner Studienzeit weiß ich um das Gefühl der Macht, dass sich bei den Tätern einstellt. Es braucht keinen Grund um zuzuschlagen. Viele denken ja auch, dass das Selbstwertgefühl von Gewalttätern sehr niedrig ist. Meist ist aber das Gegenteil der Fall: ein maßlos übersteigertes Selbstbild, dass im Alltag immer wieder mit den realen Fähigkeiten oder dem vermeintlich zu geringen Respekt der Außenwelt kollidiert. Diese wahrgenommene Diskrepanz kann leicht in Gewalt umschlagen.
Warum tun wir uns schwer, solche Phänomene wahrzunehmen?
Unsere Gesellschaft ächtet Gewalt und hat ein Menschenbild, das – an Rousseau orientiert – im Menschen nur das Gute sehen will. Das Böse ist nur eine Folge von Irrtümern, Unwissen und mangelnder Aufklärung. Die Auffassung, menschliche Destruktivkräfte wären eine Art Fehlverhalten, das man sozialpädagogisch entfernen oder einbremsen kann, bleibt in meinen Augen ein Wunschtraum. Nach Kant ist das Böse radikal, insofern es als Neigung oder „Hang zum Bösen“ in der menschlichen Natur verwurzelt ist, das heißt es hat anthropologischen Rang. Gewalt wird also immer ein Teil von uns sein. Deswegen würde ich dafür plädieren, mehr die Opfer oder potentiellen Opfer zu schützen, als in jedem Täter Motive und Erklärungen für seine Handlungen zu suchen. Jeder Täter, der nicht auf der Straße ist, ist ein Täter weniger.
Im übrigen – das nur als Fußnote – gilt dieselbe Blindheit auch für die westliche Sicht auf den islamischen Terrorismus, wo auch stets nach Gründen dafür gesucht wird, warum wir angegriffen werden (westliche Dominanz, Ausbeutung, Rassismus etc.). Der Kriegsreporter und Psychotherapeut Eugen Sorg hat dazu alles Nötige gesagt: „Der radikale Islam braucht keinen Grund, um zuzuschlagen. Der Zerstörungswille ist immer schon vorher da. Der Westen kann sich verdrehen und verbiegen, wie er will, nichts wird den Hass der Radikalen beeinflussen. Er wird gehasst, weil er der Feind ist, und nicht, weil er sich falsch verhalten hat.“
Tatsächlich ist die Anzahl der Verbrechen im vergangenen Jahr, entgegen dem langjährigen Rückgang in den amtlichen Statistiken, insgesamt deutlich gestiegen. Das gilt auch für Jugendliche. Besonders deutlich war demnach auch bundesweit der Anstieg bei den Straftaten von Kindern: ein Plus von 35,5 Prozent gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019, wie aus der neuen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) hervorgeht.
Es ist allgemein so, dass nicht nur in Deutschland, Jugendliche und Heranwachsende für einen großen Teil der Gewalttaten verantwortlich sind. In den meisten Fällen wächst sich dieses Verhalten mit Mitte bis Ende 20 aus, wenn Berufsleben und Familiengründung anstehen. Insofern löst sich womöglich auch ein Paradoxon der letzten Jahre auf, in denen die Polizeiliche Kriminalstatistik stets von einer abnehmenden Kriminalität sprach. Statistiken können natürlich nur Informationen zum sogenannten „Hellfeld“ liefern, also Fällen von Kriminalität, die polizeilich registriert werden. Man geht davon aus, dass das „Dunkelfeld“ (die Differenz von registrierten und tatsächlich begangenen Straftaten) bei der Jugendkriminalität besonders groß ist. Das liegt zum Teil daran, dass Jugendgewalt sich meist unter Gleichaltrigen abspielt. Die Täter wie die Opfer sind übrigens zu über 80 Prozent männlich und im selben Alter.
Die Diskussion zum Thema tritt offenbar in vielem auf der Stelle. Das gilt auch für die Ursachen von Jugendgewalt. Hier werden immer wieder verschiedene Faktoren angeführt: die Technik mit ihren Bildschirmen soll schuld sein, die sozialen Medien, TikTok oder Instagram mit ihrem Druck und ihrer Vereinsamung. Was dabei ein bisschen vergessen wird, sind die realen Lebensumstände der Kinder, zu denen natürlich auch das Smartphone in der Hand der Eltern, später der eigenen gehört.
Es gibt natürlich zahlreiche soziologische und psychologische Studien zu den Gründen von Jugendgewalt. Ich zähle nur ein paar auf: desolate Elternhäuser, die Abwesenheit von Vätern (in den USA wachsen 80 Prozent aller schwarzen Gefängnisinsassen ohne Vater auf), Gewalt in der Familie, fehlende Anerkennung, Statusprobleme, der Eintritt in die Pubertät, psychische Erkrankungen, das Fehlen von Gefühlen wie Empathie oder Reue, fehlende Impuls- und Selbstkontrolle, Drogenmissbrauch, exzessiver Medienkonsum und vor allem auch die eigene Peer-Gruppe.
Empirische Erhebungen zeigen, dass Gewalt überwiegend von männlichen Tätern an männlichen Opfern erfolgt, wenngleich Schlägereien unter Mädchen stark zunehmen. Orte der Gewalt sind weniger die Schulen als die Straße und öffentliche Räume. Fachleute beobachten auch eine zunehmende Brutalisierung von Gewalthandlungen, das Opfer wird auch dann noch weiter getreten, wenn es bereits wehrlos ist. Die Gruppen untereinander konkurrieren auch mit den verübten Gewalttaten, die die Gruppe auszeichnen und sie symbolisch über andere erheben. Die psychologische Dynamik innerhalb von Jugendgruppen ist sicher ein Schlüssel für die Gewaltbereitschaft, denn in der Anonymität kann man leichter mitmachen ohne dabei individuell verantwortlich zu sein. In jugendlichen Gruppenkonstellationen sind es oft Langeweile und das Bedürfnis nach Aktion, die zu Gewalt führen, Gruppendruck, Drogen und Alkohol senken die Hemmschwelle, die der Einzelne sonst nicht überschreiten würde. Der gerade in den Kinos laufende Film „Sonne und Beton“, der in der Berliner Gropiusstadt, einem sozialen Brennpunkt spielt, zeigt diese Dynamik in eindringlicher Weise.
Was ist mit Schulschließungen und den anderen Corona-Maßnahmen? Was hat das mit den Kindern angestellt?
Eine Sonderrolle in den letzten drei Jahren spielen sicher die Restriktionen und Einschränkungen rund um Corona, die vor allem Kinder und Jugendliche stark beeinträchtigt haben. Nicht nur die Psychiatrien für Kinder und Jugendliche hatten und haben vermehrt Zulauf, auch Psychotherapeuten berichten über ständig steigende Anfragen. Lehrer berichten davon, dass durch die Wegnahme vieler selbstverständlicher Freiheiten Kinder regelrecht verroht sind und nun, nach dem Ende der Einschränkungen, sozusagen ausbrechen um das Versäumte „aufzuholen“. Die Coronagesetze förderten auch die einseitige Präsenz einer virtuellen Cyberwelt, die exzessive Nutzung von Social Media und eine Trennung von der realen Welt mit noch nicht untersuchten Folgen. Die mit der Pandemie verordneten Lockdowns in Schulen haben auf jeden Fall psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen anwachsen lassen. Es würde hier empirischer Studien bedürfen um zu zeigen, ob dieser Anstieg vermehrt zu Gewalt und vor allem in welchen sozialen Kontexten führt.
Um nochmals auf den Fall in Freudenberg zurückzukehren. Den Einfluss der sogenannten sozialen Medien auf die zwischenmenschliche Kommunikation von Kindern und Jugendlichen kann man kaum überschätzen. Es gibt praktisch keine Fälle von Mobbing, ohne vorherige Beteiligung sozialer Netzwerke (das war offenbar auch in Freudenberg der Fall). Eine Studie ergab vor kurzem, dass zwei Drittel der 14- bis 24-Jährigen das Internet als Raum wahrnehmen, in dem Beleidigungen und Beschimpfungen der Normalfall sind. Man kann hier nur spekulieren, ob virtuelle und reale Welt gewissermaßen ineinander verschmelzen. Zwischen dem Wort – verbale Beleidigungen, Drohungen in der Anonymität des virtuellen Raumes – und der Tat besteht noch ein elementarer Unterschied. Aber vielleicht wird es für viele Heranwachsende immer schwieriger, hier eine Differenz für sich zu ziehen. Fakt ist jedenfalls, dass Auseinandersetzungen im Cyberraum in der realen Welt ausgetragen werden, eine Tendenz die wir in Zukunft wohl öfter beobachten können.
Werden Kinder wirklich umso leichter gewalttätig, je jünger sie sind, wie jetzt ein Experte in der Welt behauptete? Gibt es nicht eine normale Gewalthemmung, selbst bei jungen, moralisch noch nicht voll orientierten Menschen? Geht es bei der auch um Spaltungen in der Gesellschaft?
Was man nicht leugnen kann, ist etwas, das man eine neue Qualität der Gewalt nennen könnte. Liest man sich Polizeiberichte wie in Berlin durch, fallen einem die Vielzahl von Meldungen auf, bei denen es keine Ursachen für die Tat gibt. Es heißt hier lapidar: „aus noch unbekannten Gründen“, „ohne Vorwarnung“, „unvermittelt“, „ohne für Außenstehende erkennbares Motiv“, „anlasslose Brutalität“. Diese Begriffe zeigen, dass Zufall und Belanglosigkeit eine bedeutende Rolle spielen. Das Opfer ist austauschbar, ein Streit wird absichtlich eskaliert, es braucht keinen Grund um zuzuschlagen oder, wie vermehrt zu beobachten, mit einem Messer zuzustechen (siehe meine Ausführungen zum „Bösen“). Ein leichtes Anstoßen, ein Blickkontakt, eine Verletzung der „Ehre“ oder einfach nur die Lust auf Gewalt verwandeln unsere Städte und Straßen zum Teil in Kampfzonen, in denen auch die Polizei nichts mehr zu melden hat. Es gibt, auch wenn Politiker das gerne bestreiten, No-Go-Areas, um die man nachts gerne einen größeren Bogen macht, nicht nur hier in Berlin.
Vielleicht gibt es noch einen, gewissermaßen unterschwelligen Grund für die steigende Gewaltenthemmung. Ich würde es die zunehmende Abschaffung des Männlichen nennen, also die Abwertung und Diskreditierung männlicher Verhaltensweisen. Es gibt für Männer kaum mehr Räume, in denen sie ihre Emotionen und Kraft positiv ausleben können. Männliche Verhaltensweisen gelten inzwischen als toxisch, aus der Zeit gefallen und abzuschaffen. Wir leben in einer zunehmend feminisierten Welt, in der vor allem Jungen schwer Bestätigung finden. Sehr deutlich wird das an den Schulen, die im wesentlichen – insbesondere Grundschulen – von Frauen dominiert werden. Es gibt kaum männliche Lehrer, vielfach gibt es auch keine Väter zu Hause die als Vorbild fungieren könnten. Jungs in einem bestimmte Alter wollen aber durch Kraft, Aggression und Lautstärke Anerkennung, man will Regeln brechen, seine Emotionen spielerisch ausleben. All das ist nun moralisch verboten. Eine Gender- und Diversity-Pädagogik in den meist linksgrün dominierten Schulen trifft hier auf Jungen aus patriarchalen Zuwanderergemeinschaften, was an Absurdität kaum zu überbieten ist. Unser Aggressionstabu führt, wenn man sich die reale Gewalt an manchen Schulen etwa in Berlin vor Augen führt, zu solch bizarren Vorwürfen wie der der Mikroaggressionen, die sich in Blicken und Bemerkungen ausdrücken sollen. Ich glaube, es braucht wieder vermehrt Räume in denen männliche Jugendliche ihre Kraft und Energie ausleben können und sie gleichzeitig diszipliniert und kanalisiert wird.
In den Fällen von Freudenberg und Heide spielte ja das Gerücht oder die auf Video festgehaltene Tatsache eine Rolle, dass die Täter nicht durchweg, aber zum Teil Migrationshintergrund haben. Wie würden Sie diesen Faktor bewerten? Was ist das Spezifische an der Transformation einer Gesellschaft durch fortgesetzte Massenmigration? Was sind die Folgen?
Ob der Migrationshintergrund in Freudenberg und Heide eine Rolle spielte, lasse ich mal außen vor. Wir wissen ja wenig über den familiären Hintergrund der Täterinnen. Aber in der Tat ist das Verhältnis von Gewalt und Migration eines der meist tabuisierten in Deutschland. Die gewalttätigen Angriffe auf Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte bei den Silvesterfeiern 2022 in Berlin und anderen Städten haben die massiven Probleme der Zuwanderung in Deutschland wieder schlagartig sichtbar gemacht.
Von den registrierten Intensivtätern in Berlin, in der Regel männliche Jugendliche, die mehr als zehn schwere Straftaten im Jahr begehen, sind 80 Prozent arabischer oder türkischer Herkunft. Diese polizeibekannten Intensivtäter verüben fast 50 Prozent der bekanntgewordenen Straftaten dieser Altersgruppe. Bei den Silvesterrandalen in Berlin hatten von 145 Tatverdächtigen 110 einen ausländischen Pass (einige davon mit Doppelpass), die meisten Täter waren Afghanen und Syrer. Bei allen Gewaltdelikten, Raub und Vergewaltigungen sind junge Männer mit muslimischem Hintergrund an der Spitze. Auch wenn es von vielen Vertretern der politischen und medialen Elite hartnäckig geleugnet wird, es gibt einen Zusammenhang von Massenmigration aus tribalistischen Gemeinschaften und neuen Formen von Gewalt.
Kollektivistische Gemeinschaften, die um Familie, Sippe und Clans zentriert sind, haben immer ein höheres Gewaltpotenzial als individualistische Gesellschaften. Die im westlichen Kulturkreis funktionale Differenzierung der Gesellschaft, die Zunahme von Affektzwang und Selbstregulierung, hat die Gruppenbindungen schwächer werden lassen. Das Individuum gewinnt Distanz von Familie und Sippe, Ich und Wir sind nicht mehr identisch. Einzelne Normverletzungen innerhalb der Gruppe sind keine persönliche Angelegenheit mehr; die Ehre wird nicht mehr über einen Gruppencode hergestellt, der Rache oder Sühne bei Abweichungen von moralischen Normen beinhaltet. Gewalt wird mehr und mehr geächtet, Aggression als Schwäche gesehen.
Es braucht keine detaillierte soziologische Expertise, um zum Schluss zu kommen, dass Migranten aus zutiefst verrohten und korrupten Staaten wie Afghanistan, Syrien, Marokko, Algerien oder dem Irak eine Gefahr für unsere Gesellschaft sein können, insbesondere da sie auf eine Justiz und eine Polizei treffen, die auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen innerhalb ethnischer und religiöser Gruppen nicht vorbereitet ist. Nimmt man noch die enttäuschten Erwartungen hinzu, das Ausharren in Massenunterkünften, das Fehlen einer Leistungs- und Arbeitskultur (Voraussetzungen, um in der westlich-säkularen Gesellschaft zu reüssieren), Sprachbarrieren und religiöse Dogmen, so ist es keine gewagte Prognose – und bereits täglich Realität –, dass in deutschen und westeuropäischen Städten in Zukunft gewalttätige Formen der „Konfliktlösung“ immer öfter der Fall sein werden.
Gibt es noch andere Spaltpilze, die in gleicher Weise als Motiv in Frage kommen?
Ein Thema das bis dato noch gar nicht in der Öffentlichkeit debattiert wird, ist die Veränderung der Geschlechterkohorte. Die schlichte Tatsache, dass sich die gesellschaftlich bedeutsame Kohorte junger Männer durch die ungeregelte Einwanderung drastisch verschoben hat – und dadurch auch das Geschlechterverhältnis –, ist noch viel zu wenig Gegenstand der Reflexion. Seit September 2015 kamen monatlich tausende junge Männer nach Deutschland. Damit wurde das gewachsene demographische Gleichgewicht der Geschlechter zerstört. In der Altersgruppe zwischen 18 und 36 Jahren dürfte das Ungleichgewicht bereits bei mehr als einer Million liegen. Ohne detaillierte psychologische Analyse kann man vereinfacht sagen, dass in Gesellschaften mit Männerüberschuss sich Konflikte in der Regel verschärfen – ein bis dato von der Politik vollkommen tabuisiertes Thema, das uns zukünftig vermehrt beschäftigen wird.
Und was bedeutet dieser Jungmänner-Import ganz konkret? Mit welchen Unterschieden müssen wir da rechnen?
Nehmen wir einfach ein menschliches Grundgefühl wie die Wut. Wird sie im Westen allgemein als ein Zeichen der Schwäche, des Fehlens von Kontrolle und einer individuellen Unbeherrschtheit betrachtet, so wird Aggression von der muslimischen Community akzeptiert und oft auch als erwartetes Verhalten von Männern in Konflikten angesehen. Nicht zu reagieren wird als Zeichen von Schwäche interpretiert, als Verlust der Fähigkeit, seine eigene Ehre und die seiner Familie oder Gruppe zu verteidigen.
Während in der westlichen Welt eine Vielzahl von Therapeuten und Selbsthilfebüchern auf das Innenleben der Individuen zielen und darauf, dass wir es selbst sind, die unser Leben durch Reflexion und Einsicht verändern können, sind solche Sichtweisen in der muslimischen Kultur kaum vorhanden. Selbstkritik ist ein westliches Modell. In der arabisch-islamischen Welt sind klare Hierarchien, überlieferte familiäre Traditionen und religiöse Regeln dominant. In der Regel wird das Problem des Versagens nicht in der Erziehung oder dem eigenen Verhalten gesehen, sondern es wird nach Gründen außerhalb seiner selbst gesucht. Mit dieser Denkweise geriert man sich stets als Opfer fremder Mächte, eine Sichtweise, die durch den stereotypen Diskurs der Diskriminierung oder des Rassismus ständig bestätigt wird. Wie sehr die tägliche Realität auch ausgeblendet wird, auf Dauer wird man nicht um die Tatsache herumkommen, dass gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen in bestimmten Einwanderermilieus weit verbreitet sind.
Es ist ein ziemlich düsterer Frühlingsbeginn geworden dieses Jahr, zumindest aus dieser Sicht, selbst wenn man alle anderen Krisen (Banken, Krieg, Inflation) weglässt. Was müsste geschehen, damit die Zustände sich bessern?
Schauen wir uns einmal konkret an, was nach den gewalttätigen Übergriffen auf Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte Silvester 2022 in Berlin passiert ist. Die Bürgermeisterin Giffey rief einen runden Tisch ein, der am Ende zu den üblichen Formeln und Strategien kam. Elternarbeit und Schulsozialarbeit stärken, außerschulische Jugendsozialarbeit fördern, starke Stadtteile und Orte für Jugendliche schaffen und am Ende, sozusagen als Zugeständnis an die davon betroffene Bevölkerung: klare Konsequenzen bei Straftaten und Grenzüberschreitungen.
Im Prinzip also immer mehr vom Gleichen, wie ein Metronom das ständig tickt. Nur sprechen alle Erfahrungen dafür, dass diese groß angekündigten Schritte wenig bis gar nichts bringen werden. Mit der Massenmigration im September 2015 haben wir die bereits vorhandenen Probleme der Zuwanderung potenziert. Das wichtigste wäre zunächst mal eine Revision der Politik der unbegrenzten Einwanderung. Schulen, Kommunen, Polizei sind bereits jetzt heillos überfordert. Entgegen Merkels Diktum „Wir schaffen das“ bin ich der Meinung, dass wir langsam aber sicher in eine Art Selbstzerstörungsmodus eingetreten sind. Was das Gewaltproblem anbelangt, plädiere ich nochmals dafür, die Opfer in den Mittelpunkt zu stellen. Die realen Opfer von Gewalt erhalten hierzulande kaum Unterstützung und spielen auch in der öffentlichen Diskussion keine Rolle. Das Geld, das zur Resozialisierung eines Täters oder Intensivtäters investiert wird, sollte eher seinen Opfern zur Verfügung gestellt werden. Denn jeder, der von Gewalt betroffen ist, wird niemals mehr dasselbe Leben wie davor führen können.