Tichys Einblick
TE-Interview mit Jonathan Sieber

„Die Rückkehr zu vernunftorientierter Politik ist in der CDU nicht mehr möglich“

Jonathan Sieber war ein junges CDU-Mitglied und Vorsitzender des RCDS in Dresden. Doch er hat die Hoffnung verloren – ist ausgetreten. Eine politische Kraft, die keine ideologisch geprägte Politik macht, sondern Realpolitik für die vielen politisch Heimatlosen in Deutschland sei notwendiger denn je.

Jonathan Sieber

Jonathan Sieber ist nach dem Parteitag in Hannover aus der CDU ausgetreten. Die Frauenquote war der Anlass für den 24-Jährigen, nicht der Grund. Die Probleme in der CDU seien vielfältiger und reichten tiefer zurück. Auch wenn derzeit viele über eine Partei von Sahra Wagenknecht (Linke) diskutieren, eine Alternative wäre das für den Jura-Studenten nicht. In der jetzigen Parteienlandschaft sieht er eine solche Alternative allerdings auch nicht.

Tichys Einblick: Sie sind vor knapp zwei Monaten aus der CDU ausgetreten, Herr Sieber. Nachdem die CDU sich auf ihrem Parteitag in Hannover selbst eine Frauenquote verpasst hat. Sie sind mit einem großen, medialen Knall gegangen. Welche Reaktionen haben Sie seitdem erfahren?

Jonathan Sieber: Sehr unterschiedliche. Größtenteils positive. Im Wesentlichen sogar positiver, als ich gedacht hätte. In den sozialen Netzwerken gab es von linker Seite aber natürlich auch viel offene Verachtung.

Und wie war das sonstige Echo?

Da war einerseits Bedauern drunter. Die freundliche Kreisgeschäftsführerin aus meinem Heimatverband Halle hat mich zum Beispiel noch auf dem Herbstfest aufgefordert, zu bleiben, das Buffet sei ja so reichhaltig und ich könne mir meinen Austritt ja noch einmal überlegen. Aber so gut war das Buffet dann doch nicht.

Wie fielen die anderen Reaktionen aus?

Viele Bekannte aus der Partei haben mich angeschrieben oder angerufen und gemeint: Aus der CDU rauszugehen sei doch auch keine Lösung, auch wenn ich inhaltlich Recht hätte. Es fehle halt ein Angebot, wohin man wechseln könne. Daher gebe es nur die Möglichkeit, innerhalb der CDU etwas zu verändern. Aber diese Chance sehe ich eben nicht mehr als realistisch an.

Warum nicht?

Das Ziel muss es sein, eine Politikwende zu vollziehen. In vielen Bereichen. Eine grundsätzliche Wende zurück zu einer vernunftorientierten Politik für die Leute im Land. Dafür fehlt in der CDU mittlerweile die Basis. Wenn genug Leute das erkennen, wird sich außerhalb der Union eine neue Chance auftun.

Nun gibt es die Unzufriedenen doch auch tatsächlich innerhalb der CDU. Wieso lassen die sich nicht mobilisieren?

Das klingt jetzt merkwürdig: Aber das Grummeln innerhalb der Partei ist in den letzten Jahren schwächer geworden. 2018 war es noch groß. Als Angela Merkel Friedrich Merz als Nachfolger im Parteivorstand verhindert hat und die Delegierten stattdessen Annegret Kramp-Karrenbauer gewählt haben. Damals war das konservative, das liberale, also das bürgerliche Lager in der CDU noch deutlich stärker und besser organisiert. Aber seitdem hat es zahlenmäßig weiter abgenommen. Manche haben die Partei verlassen, andere sind in die innere Emigration gegangen. Die fehlen nun. Deswegen glaube ich nicht mehr, dass sich das Ruder in der CDU noch herumreißen lässt. Also bin ich gegangen.

Es war also mehr als die Reaktion auf einen Parteitag, auf dem sich die CDU selbst eine Frauenquote gegeben hat?

Ja, die undemokratische und kollektivistische Frauenquote war zwar eine Kriegserklärung an die Grundwerte der Partei, aber derer gab es schon viele. Uns jungen Leuten, die wir gemeinsam gegangen sind, war immer klar, dass der gleichzeitige Kohle- und Atomausstieg unter Merkel in ein Desaster führen wird. Von der Entwicklung der Bundeswehr unter 16 Jahren CDU-Führung müssen wir nicht reden. Die Bildungskompetenz junger Menschen rast auch in CDU-geführten Ländern in den Keller. Die aktuelle Inflationsrate ist Folge des massiven Gelddruckens der EZB zur Finanzierung der Südstaaten – mit dem Segen der deutschen Politik. Es wäre auch dringend nötig, schädlichen Entwicklungen im kulturellen Raum die Stirn zu bieten.

Zum Beispiel?

Ein Beispiel ist der Vormarsch der Cancel Culture, mit der unliebsame Meinungen unterdrückt werden. Das beste Beispiel dafür lieferte Merkel, als sie vom Staatsbesuch in Südafrika aus dazu aufrief, die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) in Thüringen rückgängig zu machen. Sie verletzte damit klar ihr verfassungsrechtliches Neutralitätsgebot. Das hat ihr das Bundesverfassungsgericht später auch offiziell bestätigt. Ein solches Verhalten hätte in der Partei und bei allen überzeugten Demokraten zu einem Aufschrei führen müssen. Aber die ideologische Politik ist im Allgemeinen auf dem Vormarsch. Auch aus Sicht eines überzeugten Klimaschützers ist es doch vollkommen unsinnig, die sicheren Atomkraftwerke abzuschalten, dafür aber massiv mehr Braunkohle zu verbrennen. Oder Wirtschaftsmigranten Wohnungen in Berlin zu bezahlen, anstatt von der gleichen Summe die zigfache Menge an Menschen in Afrika zu ernähren.

© Jonathan Sieber

So ist das aber eben mit der Ideologie. Schon vor meinem Austritt haben mich viele darauf angesprochen, dass es notwendig sei, ein Angebot zu schaffen, innerhalb dessen es möglich ist, zu einer vernunftorientierten Politik zurückzukehren. Die wollen das. Nur habe ich ihnen eben auch gesagt, dass das in der CDU nicht mehr möglich ist. Leider sind viele zu bequem und bleiben drin, obwohl ihnen klar ist, dass das mit der CDU nichts mehr wird.

Was ist die Alternative? Die Alternative für Deutschland?

Nein. Ganz eindeutig nein. Die AfD ist in den vergangenen Jahren von Radikalen und rechten Jogginghosen überrannt worden. Sie ist aus mehreren Gründen keine Alternative mehr. Das eine ist die inhaltliche Ebene: Die AfD vertritt mittlerweile Inhalte, die unserem Land schaden würden, würden sie umgesetzt. Zum Beispiel den Dexit, also den Austritt Deutschlands aus der EU und ihrem Binnenmarkt. Neben den großen wirtschaftlichen Schäden würden wir damit auch den gemeinsamen kulturellen Anspruch sabotieren, eine europäische Identität wahren zu wollen. Ein anderer Punkt ist der sozialpatriotische Ansatz, den die AfD vor allem im Osten vertritt. Das ist im Prinzip ein sozialistisches Gesellschaftsmodell, das dann aber nur Deutschen vorbehalten sein soll. Das muss bürgerliche, liberale und konservative Bürger abstoßen. Dazu kommt das Verächtlichmachen von Minderheiten, etwa wenn die Vorsitzende Alice Weidel von „Kopftuchmädchen,” “Messermännern“ und „anderen Taugenichtsen“ spricht und damit Frauen mit Kopftuch mit Taugenichtsen gleichsetzt.

Aus Ihrer Sicht ist die AfD nicht mehr anschlussfähig?

Nein. Das ist sie nicht. Denn auch auf der strategischen Ebene spricht alles dagegen, auf die AfD zu setzen. So unseriös, wie die Partei bislang aufgetreten ist – mit ihren Extremismus-Skandalen, Chaos-Parteitagen, Spendenaffären, mit dem internen Ämterkauf oder den politischen Intrigen bis hin zu Hassbriefen –, damit ist die AfD dermaßen als Marke verbrannt und in Verruf geraten, dass es sich keine Partei auch nur mehr annähernd leisten kann, mit ihr zusammenzuarbeiten. Das wäre politischer Selbstmord. Jeder, der mit der AfD zusammenarbeitet, handelt sich einen enormen Haufen an Problemen ein. Das hat mit der Inkompetenz der AfD zu tun und ist eine Situation, die sie sich selbst eingebrockt hat. Hieran sind nicht die Medien Schuld, auch wenn sie die AfD natürlich besonders auf dem Kieker haben.

Unzufriedene in der CDU, Unzufriedene in der AfD – wie groß wäre das Potenzial einer Partei, die diese Wähler anspricht?

Ich würde das Potenzial einer bürgerlichen Partei eindeutig nicht auf Unzufriedene aus CDU und AfD beschränken. Eine Forsa-Umfrage hat ergeben, dass 63 Prozent der Bürger keiner der etablierten Parteien Lösungskompetenz zutrauen. Die Unzufriedenen gibt es nicht nur im klassisch bürgerlichen Lager. Auch in der SPD gibt es viele Wähler, die sich eine vernunftorientierte, unideologische Politik zurücksehnen. Die wollen, dass sich Arbeit lohnt, Preise und Währung stabil bleiben, die EZB mit ihrer Geldmengenausweitung aufhört, dass unser Bildungssystem nicht immer weiter abfällt und Kinder immer schlechter rechnen und schreiben können. Die wollen auch nicht an jeder Ecke eine staatlich finanzierte Regenbogenflagge und vor dem Fußballspiel einen Kniefall für Black Lives Matter. All diese Leute könnte eine bürgerliche Partei mit realpolitischem Ansatz gewinnen. Doch um ihre Frage zu beantworten: Nimmt man alleine die Unzufriedenen aus CDU, FDP und der AfD, dann würde ich deren Potenzial bei zirka 20 Prozent aller Wähler verorten. Die FDP wäre danach sicherlich am Ende, die AfD würde eine reine Ost-Partei werden. Auch von den Freien Wählern und kleinen Parteien könnten sicherlich einige Leute gewonnen werden.

Nun hat Sahra Wagenknecht angekündigt, vielleicht eine Partei gründen zu wollen. Könnte die dieses Potenzial abdecken?

Ich glaube nicht, dass Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründen wird. Sie ist eine herausragende Rednerin und eine extrem gute Analytikerin. Aber eine Parteiengründung ist mit einem hohen organisatorischen Aufwand verbunden. Und so gut Wagenknecht reden und denken kann – eine Teamplayerin ist sie nicht.

Muss sie das denn sein? Eine solche Partei wäre ja auf sie zugeschnitten.

Wenn man in die jüngere Geschichte der Parteigründungen schaut, dann hat es öfters den Versuch einer „One Man Show“ gegeben: Das Team Todenhöfer, Bernd Luckes Alfa oder die Blaue Partei von Frauke Petry. Die sind alle gescheitert. Um erfolgreich eine neue Partei zu gründen, müssen Sie viel mehr zusammenbringen: Es gibt hohe Einstiegshürden. Daher braucht es Strategen, die diese Hürden erkennen, analysieren und überwinden können. Sie brauchen Geld, Verwaltung, Kontakte in Medien hinein, aber auch in den vorpolitischen Raum. Das schafft eine Sahra Wagenknecht alleine nicht. Und sie ist viel zu klug, um sich selbst derart zu verbrennen.

Unterstützer braucht sie. Aber es gibt, wie Sie selbst beschrieben haben, viele Unzufriedene, die bereit wären, Wagenknecht zu unterstützen. Die müsste sie doch nur einbinden?

Sahra Wagenknecht wäre für diese Unzufriedenen auf Dauer auch nicht die richtige Frau. Ihre Analysen sind oft klug, oft richtig. Die Lösungen, die sie daraus ableitet, sind es aber nicht. Nicht für die vielen politisch Heimatlosen, die es in Deutschland gibt. In ihren Lösungen ist Sahra Wagenknecht eine Sozialistin, die sich ein dunkelrotes Wirtschaftsmodell wünscht. Das ist doch nicht das, was die Menschen aus dem Mittelstand wollen. Wir haben in Deutschland schon heute die höchsten Energiepreise, die zweithöchsten Steuern in Europa. Da schreien die Menschen doch nicht nach mehr. Sie wollen stattdessen wieder mehr Freiheiten haben, weniger Geld an den Staat abdrücken und von der Bürokratie weniger gegängelt werden. Aber für all das steht doch nicht Sahra Wagenknecht.

Also werden Sie sich einer Partei von Sahra Wagenknecht nicht anschließen?

Nein.

Wie müsste eine Partei aussehen, der Sie sich anschließen können?

Wir brauchen in Deutschland eine politische Kraft, die aus der Mitte der Bevölkerung kommt. Die keine ideologisch geprägte Politik macht, sondern Realpolitik zum Wohle des Landes. Inhaltlich sind mir drei Werte besonders wichtig: Eine für mich interessante Partei muss Deutschland so erhalten, dass wir hier auch in 50 Jahren noch kulturell verwurzelt und in Freiheit und Wohlstand leben können. Eine Partei, die die Freiheitsrechte des Volkes garantiert und uns ermöglicht, unsere Träume selbst zu verwirklichen. Eine Partei, die den Wohlstand der Menschen nicht aufs Spiel setzt, den die Generationen vor uns aufgebaut haben. Eine Partei, die es uns ermöglicht, in dem kulturellen Rahmen, den wir kennen und lieben, alt zu werden, auch auf dem Land. Die das Erfolgsmodell Deutschland also fortführt. Wenn eine Partei diese Werte miteinander verbinden kann – kulturelle Verwurzelung, Freiheit und Wohlstand – dann wäre es für mich ein moralischer Imperativ, mich nochmal zu engagieren.

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