Tichys Einblick
TE-Interview über deutsche Justiz in der Enge

Ralph Knispel: „Minderausstattung führt dazu, dass Menschen nicht mehr das tun können, was sie gelernt haben“

Über die Malaise der Justiz hat Oberstaatsanwalt Ralph Knispel ein ganzes Buch geschrieben. Für ihn ist es zum Teil eine ganz einfache Rechnung: Wenn der Mangel einen Staat regiert, funktionieren am Ende auch Polizei und Justiz nur so gut, wie sie eben können. Stattdessen schleichen sich Ohnmacht, Unvermögen und zuletzt auch der Fehlerteufel ein.

Oberstaatsanwalt Ralph Knispel

IMAGO / Rolf Kremming

Ralph Knispel, Jahrgang 1960, ist Oberstaatsanwalt in Berlin und seit 2016 Leiter der Abteilung Kapitalverbrechen am Kriminalgericht in Moabit. 2021 veröffentlichte er das Buch „Rechtsstaat am Ende. Ein Oberstaatsanwalt schlägt Alarm“, in dem er die mangelnde Funktionsfähigkeit unseres Rechtssystems analysiert und Lösungen vorschlägt.

Im ersten Teil des TE-Interviews mit dem Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel ging es um mangelnden Respekt vor Gericht, verniedlichende Medienberichte und den kriminellen Charakter der Aktionen sogenannter „Klima-Aktivisten“ der Letzten Generation.

Im zweiten Teil des TE-Interviews geht es nun um die Lage der Justiz zwischen Clans und Messertätern, Michael Ballweg und dem „Rentner-Putsch“, um Naivität als Problem, die Folgen der Minderausstattung am Beispiel der deutschen Hauptstadt und eine teils nur gefühlte Unsicherheit, die man trotzdem ernst nehmen muss.

Tichys Einblick: Herr Knispel, ein Kapitel in Ihrem Buch ist überschrieben: „Wenn gefühlte und tatsächliche Sicherheitslage auseinanderklaffen“. Auf die Gefahr hin, dass ich das ganz falsch interpretiere: Was wird da denn falsch empfunden? Wo irren sich die Menschen? Wissen sie zu wenig über die real stattfindende Kriminalität?

Ralph Knispel: Ich habe darauf hingewiesen, dass es natürlich eine objektive Lage gibt. Wenn Sie beispielsweise die Anzahl begangener Straftaten bezogen auf 100.000 Einwohner betrachten, dann gibt das nicht unbedingt das Gefühl in der Bevölkerung wieder, die sich relativ stark durch Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität oder von Körperverletzungen bedroht sieht. Das wird statistisch so nicht belegbar sein. Die Angst der Bevölkerung ist, laut renommierten Meinungsforschungsinstituten wie Allensbach und anderen, enorm groß und spiegelt sich nicht in den offiziellen Zahlen.

Interview zu Aktionen der Letzten Generation
Berliner Staatsanwalt: Hört auf, von „Aktivisten“ zu reden! Es sind Straftäter
Gleichwohl, und das war meine Forderung, muss sich die Politik dieser Sorgen trotzdem annehmen und die insbesondere betroffene Bevölkerung auch ernst nehmen. Das heißt nicht, dass wir an jeder Straßenecke einen Polizisten haben werden und wollen. Aber es wird nicht reichen, eine verängstigte Bevölkerung damit zu bescheiden, dass man ihnen sagt: Na ja, die Zahlen geben es nicht her, Berlin wird immer sicherer. Das sind ja so die einleitenden Formulierungen eines jeden Berliner Innensenators Jahr für Jahr bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik. Da fühlt sich die Bevölkerung bisweilen nicht ernst genommen. Und wenn Sie trotz Zunahme in manchen Bereichen – wir hatten ja zum Beispiel während Corona eine Zunahme der Straftaten gegen Vollstreckungsbeamte von 13 Prozent, wenn ich mich recht erinnere – dann allgemein sagen „Berlin wird immer sicherer“, dann dürfen und können Sie das der Bevölkerung nicht so konfrontativ entgegenhalten.

Wir müssen die Sorgen und Nöte einfach ernst nehmen und der Bevölkerung dann auch den Eindruck vermitteln – das ist auch die Aufgabe von Regierungsverantwortlichen –, dass ihre Sorgen ernst genommen werden und alles erdenklich Mögliche und Finanzierbare unternommen wird, um Straftaten zu vermeiden und aufzuklären. Und da gibt es den immensen Unterschied, dass Berlin seit vielen Jahren bei der Anzahl der Straftaten pro 100.000 Einwohner an der Spitze liegt, während wir bei der Aufklärungsquote zuletzt, glaube ich, bei etwas über 45 Prozent lagen. Tatsächlich hat sich diese Quote geringfügig erhöht, aber auf der anderen Seite können Sie sehen, dass in Bayern rund 20 Prozent mehr Straftaten aufgeklärt werden. Und auch das können Sie der Bevölkerung nicht als erhöhtes Sicherheitsgefühl verkaufen.

Tatsächlich haben Sie ja auch selbst schon ähnliche Fälle geschildert, etwa aus dem Kriminalgericht Moabit, wo einem Gewalttäter sein Messer von Justizbeamten sogar wiedergegeben wurde, bevor er damit Menschen verletzte. Abseits von Berlin gab es in Hamburg und Schleswig-Holstein ein monumentales Behördenchaos um den Amokläufer von Brokstedt. Sind wir da zum Teil einfach zu naiv für die Realität, die ja jeden Tag aufs Neue geboren wird?

Hüter von Recht und Gesetz?
„Rechtsstaat am Ende“: Doku-Schocker von Oberstaatsanwalt Knispel
Zu dem norddeutschen Fall will und kann ich mich nicht äußern, weil mir schon tatsächlich nicht alle Einzelheiten bekannt sind. Ich habe verschiedene Dinge gehört, die vielleicht auch andere Schlüsse zuließen. Den anderen Fall habe ich insofern höchstpersönlich erlebt, weil ich den selbst bearbeitet habe. Da ist tatsächlich ein Kollege von mir in seinem Dienstzimmer mit einem eingeschmuggelten Pflasterstein beworfen worden. Dabei ging das Fenster zu Bruch. Bei den vorangehenden Hauskontrollen war der Pflasterstein nicht gefunden worden. Ich gehe davon aus, mittlerweile würde zumindest das gelingen. Daneben hatte man seinerzeit bei dem hier ins Haus kommenden Menschen ein Messer gefunden und im Eingangsbereich sichergestellt. Und nachdem dieser Mensch den Kollegen angegriffen hatte, ist er nur aus dem Haus gewiesen und ihm an der Eingangspforte das Messer ausgehändigt worden, mit dem er dann kurze Zeit später mehrere Personen, darunter eine schwerst und lebensgefährlich, verletzt hat. Und das sind Dinge, wo sich einfach für mich und für uns die Frage auftut: Ist das dann noch eine angemessene Reaktion, wo man auf eine versuchte gefährliche Körperverletzung noch nicht einmal reagiert hat?

Tatsächlich hätte die Justiz in diesem einen Fall viel zu tun gehabt: Man hätte im Wohnheim des Beschuldigten nach Unterlagen suchen können, um beispielsweise zu prüfen, ob Vorstrafen vorliegen. Man hätte auch grundsätzlich schauen können, ob seine Wohnverhältnisse gefestigt sind. Und dann hätte man vielleicht über freiheitsentziehende Maßnahmen nachdenken müssen, durch die es nicht zu diesem anderen, schlimmen Delikt einer versuchten Tötung gekommen wäre. Es kam hinzu, dass dieser Mensch – und das Verfahren habe ich dann geführt – anlässlich seiner Vorführung beim Ermittlungsrichter gesagt hat: Er habe es eigentlich nicht verstanden, warum er ohne weitere Folgen einen Staatsanwalt körperlich attackieren, ihm sogar einen Schlag versetzen und einen Stein nach ihm werfen konnte. Der Beschuldigte beklagte, dass er erst jemanden niederstechen musste, um überhaupt vorläufig festgenommen zu werden. Und diese Fragen konnten wir ihm eigentlich nicht beantworten.

Wagen Sie eine generelle Antwort? Woher rührt das Versagen?

Das ist zwiespältig. Zum einen hängt es natürlich mit der personellen Ausstattung zusammen. Ich will das gerne mit diesem Fall vergleichen. Wenn Ihnen Ihr Chefredakteur sagt: Du machst zu morgen mal drei Beiträge. Und Sie würden es schaffen, Sie machen morgen drei Beiträge, aber jeder einzelne Beitrag würde in der Qualität Einbußen erfahren. So ähnlich ist es natürlich bei der Polizei oder Justiz: Wenn Sie eine Minderausstattung an Personal haben, werden Sie Ihre Arbeit nicht so verrichten können, als wenn Sie gut ausgestattet sind und das tun, was Sie gelernt haben. Und das spielt natürlich bei ganz vielen Kollegen eine Rolle, dass einfach die Arbeitslast dazu führt, dass die Verfahren dann nicht in der Tiefe bearbeitet werden, die sie verdient haben. Das hat dann eben auch Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit und auf die Möglichkeit des Kollegiums, geeignete wie erforderliche Maßnahmen umzusetzen. Und so mag es dann eben auch zu diesen in der Öffentlichkeit als Pannen bezeichneten Vorfällen kommen. Natürlich. Und das muss man dann auch verstehen, dass diese Dinge in der Öffentlichkeit und den Medien, die unsere Arbeit natürlich auch kritisch begleiten, genauso dargestellt werden. Den seinerzeit beteiligten Kollegen kann und will ich keine Vorwürfe machen.

Hat es auch mit dieser Überlastung zu tun, wenn sich Anklagen sehr lange hinziehen, wenn Menschen monatelang in Untersuchungshaft sitzen wie zum Beispiel Michael Ballweg in Stammheim oder auch die Organisatoren dieses angeblichen „Staatsstreiches“. Da haben fünf Beschuldigte zehn Monate warten müssen, bis überhaupt eine Anklage kam. Herr Ballweg wartet heute noch darauf. Ist das aus Ihrer Sicht der normale und verhältnismäßige Gang der Dinge oder wie würden Sie das einordnen?

Was die Untersuchungshaft anbelangt, sind wir in der gesetzlich glücklichen Lage, dass es Fristen gibt: die Sechsmonatsfrist, innerhalb derer eigentlich eine Anklage erhoben und die Hauptverhandlung begonnen werden soll. Andernfalls sind die Akten dem Oberlandesgericht – in Berlin dem Kammergericht – vorzulegen, das dann über die weitere Untersuchungshaft entscheidet. Und natürlich gibt es eine Überlastung der Justiz, auch schon der Polizei, die ja letztlich für die Justiz ermitteln muss, die uns die Grundlage für eine Anklage und die Weiterführung eines Verfahrens liefert. Und wenn Sie da Personalnotstände haben und die Ermittlungen lahmen, weil das Personal einfach nicht vorhanden ist, das führt dann natürlich dazu – das ist das, was uns in den letzten Jahren zunehmend bekümmert –, dass wir in Deutschland zahlreiche Entlassungen aus der Untersuchungshaft haben, weil einfach nicht in angemessener Zeit ermittelt und verhandelt werden konnte.

Desaströse Zustände
Oberstaatsanwalt Knispel klagt an: „Rechtsstaat am Ende“
Ich glaube, der Deutsche Richterbund hat für das Jahr 2022 publiziert, dass es um die 70 Entlassungen alleine durch die Oberlandesgerichte gab. Da sind noch nicht mal die Fälle erfasst, bei denen der Haftbefehl schon vom Ermittlungsrichter oder dem Beschwerdegericht aufgehoben wurde. Das führt dann im weiteren Fortgang zu Verzögerungen in Prozessen, die wegen der Überlastung der Gerichte nicht innerhalb angemessener Zeit verhandelt werden können, bis hin zu ausufernden Prozessen. Nehmen Sie etwa ein Berliner Verfahren wegen Mordes, in dem es um ein Tötungsdelikt mit mehreren Angeklagten aus dem Milieu der „Hells Angels“ ging: Das Verfahren mit mehreren Angeklagten wurde über fünf Jahre geführt!

Das heißt, es war eine Strafkammer alleine fünf Jahre mit diesem einen Fall betraut und gebunden. Dasselbe gilt für die Polizei: Sie können natürlich Schwerpunkte bilden, an denen Sie Beamte vermehrt einsetzen. Wir hatten das mal in Berlin unter Justizsenator Heilmann und Innensenator Henkel. Das ist alles ganz schön. Aber ich vergleiche das mal mit einer Decke: Wenn die Decke zu kurz ist und man sie sich über die Füße zieht. Dann hat man warme Füße, aber oben friert man – oder umgekehrt. Das Personal, das Sie dort einsetzen, fehlt anderswo. So kommt es dann dazu, dass sich die anderen Verfahren hinziehen und nicht innerhalb angemessener oder vertretbarer Zeit verhandelt werden können, teilweise dann verbunden mit Entlassungen.

Ja, aber ist das nicht paradox: Muhamed Remmo, Angehöriger eines der kriminellsten Clans der Republik, wurde dank seiner kokainbedingt tropfenden Nase des schweren Raubs überführt. Nun kam er schon nach 1,5 Jahren Haft wieder frei und konnte in die Türkei reisen, weil im Berliner Maßregelvollzug kein Platz (inklusive Drogenentzug) frei war. Auf der anderen Seite lässt man Herrn Ballweg, der sein Haus verkauft hat und deshalb auch ins Ausland reisen könnte, seit Monaten in U-Haft sitzen. Ist hier nicht etwas aus der Balance geraten?

Zu dem Fall „Ballweg“ kann ich mich allein deshalb nicht äußern, weil ich nicht alle Einzelheiten kenne. Das andere, was Sie ansprechen, die Nichtaufnahme in den Maßregelvollzug, hat uns insofern befremdet, als die Empörung erst jetzt kam, als das vermeintlich prominente Mitglied einer arabischen Großfamilie betroffen war. Aber das Problem selbst, dass ein Maßregelvollzug Personen nicht aufnimmt, die eigentlich untergebracht werden müssen, das ist ein Umstand, der in Berlin seit Jahren hingenommen wird, uns ebenso lange umtreibt und von uns beklagt wird. Bei 541 Plätzen haben wir 600 Untergebrachte, die von 500 Bediensteten betreut werden. Und es ist seit Jahren bittere Realität, dass nicht alle aufgenommen werden können. Der nun öffentlich beklagte Vorfall mit dem Mitglied der arabischen Großfamilie hat uns deshalb überhaupt nicht erschüttert.

Daneben gibt es die ständige Rechtsprechung, dass es einer in Haft befindlichen Person nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn der Staat nicht genügend Plätze im Maßregelvollzug bereitstellt. Und das führte in diesem Fall dazu, dass diese Person entlassen werden musste. Also eine ganz normale rechtliche Folge, die für die Bevölkerung – das kann ich nachvollziehen – schwerlich oder überhaupt nicht verständlich ist.

Im Fall Ballweg und den anderen Fällen ist ja auffällig, dass man mit den Anklagen so lange braucht.

Bei den Anklagen müssen Sie natürlich sehen: Wie umfangreich ist ein Verfahren? Wie verhalten sich Beschuldigte oder Angeklagte und Verteidigung? Bedarf es weiterer Gutachten? Wir haben teilweise DNA-Gutachten bei Tötungsdelikten, auf die wir wochen- oder monatelang warten, obwohl das wissenschaftlich in ein, zwei Tagen möglich wäre. So verzögern sich natürlich Verfahren. Dass das aus Sicht der Beschuldigten manchmal unerträglich erscheint, kann ich nachvollziehen. Dass die Bevölkerung daran Anstoß nimmt, kann ich verstehen.

Müsste man nicht als ermittelnde Justiz schon wissen, weshalb man anzuklagen gedenkt? Hier geht es, glaube ich, unter anderem um den Vorwurf der Geldwäsche.

Offener Wortwechsel
Bei Lanz: Oberstaatsanwalt Ralph Knispel über die Kapitulation der Berliner Justiz
Na ja, so einfach ist das nicht. Sie finden beispielsweise bei einer Person einen bestimmten Geldbetrag, den Sie auch beschlagnahmen. Aber je höher dieser Betrag ist, desto stärker wird die Verteidigung aktiv werden, weil Gelder im Raume stehen, die möglicherweise für andere Zwecke eingesetzt werden können. Da wird mit scharfen Schwertern gekämpft, und dann können Sie davon ausgehen, dass die Verteidigung, die in aller Regel auch fachlich wirklich gut und personell – technisch sowieso – stark aufgestellt ist, große und scharfe Geschütze auffährt. Und dann ist es eben nicht immer ganz leicht, die eigentlich gebotene Aufklärung zu betreiben. Denn zunächst reicht ja der Anschein bzw. die Annahme, dass Geld aus kriminellen Geschäften herrührt. Dann kommen die Einlassungen der Gegenseite, die muss man gegebenenfalls widerlegen. Das gestaltet sich einfach aufwendig und schwierig. Und wenn Sie dann noch einen Personalbestand haben, der unzureichend ist, dann ziehen sich solche Ermittlungen tatsächlich lange hin.

Sie haben sich erst vor kurzem fast schon optimistisch zum Stand der Strafverfolgung in Sachen Clans nahöstlicher Herkunft geäußert. Wie erfolgreich ist die Berliner Justiz wirklich in dieser Hinsicht?


Zum einen, und darauf lege ich wirklich Wert, müssen wir vorsichtig sein mit der Diktion. „Clan“ kommt eigentlich aus dem Gälischen und bezeichnet ethnisch abgeschottete Gruppen. Das mag auch hier zutreffen, heißt aber nicht, dass jedes Clan-Mitglied kriminell sein muss. Wir haben da einen Großteil von Menschen, die sich völlig rechtstreu verhalten und letztlich unter einer Verallgemeinerung leiden, die selbst vereinzelt von Polizei und Justiz bemüht wird. Natürlich gehören kriminelle Clan-Mitglieder ordentlich und angemessen verfolgt, ähnlich wie im Bereich der organisierten Kriminalität. Wir haben ganz viele Clans, wir haben auch Tschetschenen, die im großen Maße straffällig werden.

Vor ein paar Tagen habe ich mich kritisch angesichts eines LKA-Positionspapiers von 2012 geäußert, wo dann ein Jugendstadtrat in Neukölln [Falko Liecke, Anm. d. Red.] die Auffassung vertreten hat, dass wir, wenn dieses Papier öffentlich gemacht worden wäre, viele Straftaten von Clan-Mitgliedern hätten verhindern können. Ich bin da sehr vorsichtig, denn diese Zusammenhänge kennen wir schon seit vielen Jahren, sowohl in Berlin als auch in NRW und anderswo. Die werden deshalb sehr fokussiert strafverfolgt. Wir haben in Berlin sogenannte „Araber-Streifen“, die um die familiären Verbindungen bestimmter arabischer, türkischer oder sonstiger Clans genau Bescheid wissen. Nur, was es uns natürlich schwierig macht, in den Bereichen erfolgreich zu ermitteln: Wenn Sie in diesen Bereichen recherchieren wollen, stoßen Sie immer wieder auf Grenzen. Nehmen Sie nur die verdeckten Ermittler der Polizei, die werden Sie in solchen Clans kaum einsetzen können.

… weil es sich um ethnisch und kulturell abgeschottete Familien handelt.

Genau, und das sind natürlich Ermittlungsansätze, die ganz versperrt sind, weil Sie ganz große Schwierigkeiten haben, in solche Strukturen einzubrechen. Ich habe mich aber sehr wohl, das mag vielleicht Ihrer Frage zugrundeliegen, positiv geäußert, was die Clan- oder Gewerbekontrollen angeht. Denn die sind durchaus ein Erfolg. Das Thema sehe ich ganz leidenschaftslos, übrigens auch als Autofahrer. Früher gab es sogenannte Standkontrollen, volkstümlich auch Mausefallen genannt. Ich habe mich nie diskriminiert gefühlt, wenn ich da aus dem Verkehr herausgewinkt wurde. Nur weil ich ein Autofahrer bin, wie schrecklich! Nein, das gehörte einfach dazu, dass die Einhaltung von Gesetzen überprüft wird. Und so ähnlich ist es auch bei Gewerbebetrieben. Und das sollte uns natürlich schon zu denken geben, dass genau das dann in manchen politischen Kreisen als „Rassismus“ beklagt wird. Natürlich können Sie auch zwei Mitarbeiter des Ordnungsamtes da hinschicken, vielleicht einen alten Menschen wie mich und noch eine Dame im gleichen Alter. Stellen Sie sich vor, Sie gehen in so eine Einrichtung hinein, eine Shisha-Bar oder ähnliches, und wenn da dann 20, 30 Menschen, ordentlich gebaut, dem Staat gegenüber feindlich auftreten … Dann kommt die Frage: Darf ich mal Ihre Personalpapiere sehen? Die Vorstellung, dass dann alle sagen: „Aber natürlich, das machen wir doch gerne“, ist lebensfremd.

Doku-Schocker von Berliner Oberstaatsanwalt
Ralph Knispel: „Der Rechtsstaat ist mir ein heiliges Anliegen.“
Deswegen wird natürlich dort mit größerem Kräfteeinsatz hingegangen, sprich: Die Polizei ist dabei. Aber ansonsten sind das ganz normale, nicht diskriminierende Gewerbekontrollen: Da werden die Einrichtungen geprüft. Werden die arbeitsrechtlichen und Arbeitnehmervorschriften eingehalten? Wird dort versteuerter Tabak abgegeben? Und wenn all das eingehalten wird, dann verschwinden die Kontrolleure auch wieder relativ schnell. Das ist ganz normal. Wie man darin irgendeine Diskriminierung sehen kann, erschließt sich mir nicht.

Ich bin auch kein Freund der Begrifflichkeit der „1000 Nadelstiche“. Darum geht es gerade nicht. Das sind einfach Gewerbebetriebe, egal von wem unterhalten, die überprüft werden. Auch für die dort weilenden Gäste ist die Kontrolle dann relativ schnell vorbei, wenn sie nicht gesucht werden und nichts dabei haben, was verboten ist. Dann wird ein Polizist oder Ordnungsamtsmitarbeiter sie umgehend in Ruhe lassen. Nur die Funde, die wir dort immer wieder haben: Natürlich sind bisher keine Mörder festgestellt worden, keine mit Haftbefehl Gesuchten, aber gleichwohl gibt es immer Beschlagnahmen von Tabak und anderen unversteuerten Produkten, Verstöße gegen irgendwelche Arbeitnehmerschutzvorschriften … Und so lange wir da fündig werden, sind solche Kontrollen sinnvoll und geboten. Und das diskriminiert niemanden, und da werden wir in Maßen auch Erfolg haben. Bisher sind wir da erfolgreich, deswegen werden diese Kontrollen auch weiterhin stattfinden.

Das war jetzt das Thema Kleinkriminalität im Clanmilieu. Aber damit kommt man ja noch nicht an die größeren Nummern – Marke Bode-Museum, Grünes Gewölbe – heran.

Da kommt man natürlich mit Shisha-Bar-Kontrollen nicht weiter. Selbst in einem Polizeistaat werden Sie da nicht aufräumen können. Egal, wie gut Polizei und Justiz ausgestattet sind, solche Kriminalität wird weiter begangen werden. Das Einzige, was wir tun können und müssen, ist beispielsweise die Aufklärungsquote verbessern. Da müssen wir viel tun, da müssen wir gerade in Berlin von Ehrgeiz getrieben sein, um auch mit anderen Bundesländern mitzuhalten. Aber das ist ein weiter Weg, deswegen vergleiche ich das immer gerne mit einem Marathonlauf. Der wird nicht nach 100 Metern gewonnen. Da wird Personal und Geld investiert werden müssen. Ansonsten werden wir diesen Kampf verlieren, denn die andere Seite hat wirklich einen ganz erheblichen Vorsprung. Das ist einfach so.

Also ein Marathonlauf gegen das organisierte Verbrechen, das leuchtet durchaus ein. Aber wie sinnvoll ist in diesem Zusammenhang eigentlich eine Razzia mit hunderten Polizisten bundesweit, die 25 angebliche „Putschisten“ festnehmen? Die juristische Aufarbeitung erwarten wir ja erst noch. Letztlich sieht das ja auch ein bisschen nach einer PR-Maßnahme für die SPD-Innenministerin aus.

Es gibt sicherlich Einsätze, bei denen man, wenn man das als Steuerzahler sieht, die Frage stellen kann, ob die noch der Sache dienen oder schon der Selbstdarstellung einzelner Personen. Es muss ja nicht nur um Frau Faeser gehen, da können Sie quer durch die Republik gehen, da haben Sie alle politischen Farben vertreten. Gleichwohl, was den Kräfteeinsatz angeht, kann ich nur empfehlen, mal einen Polizeieinsatz zu begleiten. Natürlich erscheint mancher Kräfteeinsatz überbordend, wo man sich – zumal wenn es friedlich bleibt – hinterher die Frage stellt: War das jetzt wirklich nötig? Aber wenn Sie sehen, wie schnell Polizeibedienstete ins Fadenkreuz der Kritik geraten oder sich körperlicher Gegenwehr ausgesetzt sehen, sieht die Sache schon anders aus. Wenn Sie beispielsweise in Kreuzberg oder Neukölln sind, da werden Sie feststellen, dass Sie, wenn sie da Zweier- oder Dreierteams hinschicken, sich innerhalb kürzester Zeit einer Vielzahl von Personen ausgesetzt sehen, die mindestens verbal oder gar körperlich diese Kräfte angehen, bis hin zu größeren Übergriffen zum Nachteil von Polizeibeamten. Und so wird manch großer Kräfteeinsatz genau so gewählt, um jedweden Widerstand schon im Keim ersticken zu können. Und da wird es dann zum Teil schon beckmesserisch, wenn man sagt, 25 Polizisten sind zu viel. Das ist dann auch schwierig für die Einsatzplanung.

Na ja, bei solchen Straßeneinsätzen würde ich Ihnen recht geben. Aber bei der Frau im Rentenalter, die festgenommen wurde, weil sie angeblich Herrn Lauterbach entführen wollte, wäre der gleiche Kräfteeinsatz wohl übertrieben. Provokant formuliert: Bindet der „Kampf gegen rechts“ oder gegen Corona-Kritiker Kräfte, die wir anderswo besser brauchen könnten?

Ich gebe Ihnen die Provokation mal provokant zurück: Stellen Sie sich mal vor, da hätte eine Streifenbesetzung, am besten ein gemischtes Team aus Beamter und Beamtin, beide um die 50, vielleicht etwas dickleibig, an der Tür geklopft: „Guten Tag, Frau Richterin, wir würden gerne mal durchsuchen.“ Und dann stürzen da irgendwelche Leute heraus, schießen und erschießen vielleicht jemanden. Da wären vermutlich Sie und Ihre Kollegen die ersten, die sagen würden: Wie kann man denn dort in einer solchen Besetzung hingehen? Man denke nur an die Gefahr, die darin steckt: Die wollten Lauterbach entführen! Genau für diesen Fall müssen Sie vorher eine Güterabwägung treffen. Wir hatten ja vor vielen, vielen Jahren den Fall eines Staatsanwalts, der von einem Mann erschossen wurde, der wegen eines Verkehrsdeliktes angeklagt war. Am Amtsgericht gab es damals nirgendwo Eingangskontrollen. Aber nach dem Vorfall waren sie alle viel, viel schlauer. Im Gegenzug: Wenn die Gefahr dann doch nicht bestanden hat, sieht man sich im Nachhinein natürlich der Lächerlichkeit preisgegeben. Da mag dann einiges übertrieben erscheinen, ist es aber nicht.


Lesen Sie im ersten Teil des TE-Interviews mit dem Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel über mangelnden Respekt vor Gericht, verniedlichende Medienberichte und den kriminellen Charakter der Aktionen sogenannter „Klima-Aktivisten“ der Letzten Generation.


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